
Präsidentschaftswahlen in den USA Noch mal vier Jahre Trump?


Trump Mitte Oktober bei einem Wahlkampftermin
Foto: MANDEL NGAN / AFPEs gibt historische Momente, bei denen man später noch ziemlich genau weiß, wo und wie man davon erfahren hat. Der Mauerfall 1989, die Terroranschläge vom 11. September 2001, für mich gehört auch der 9. November 2016 in diese Reihe. Ich wachte morgens auf und schaute aufs Handy. Ungläubig entnahm ich der SPIEGEL-Headline, dass Donald Trump tatsächlich zum 45. US-Präsidenten gewählt worden war. Wahnsinn!
Am Mittwoch wissen wir - vielleicht -, wer das wichtigste Regierungsamt der Welt künftig ausüben wird. Vielleicht aber auch nicht. Möglich, dass die umkämpfte US-Präsidentschaftswahl in beispiellose juristische Schlachten ausartet, die die Feststellung eines Wahlergebnisses womöglich über Wochen verzögern. Denkbar, dass Donald Trump eine knappe Niederlage nicht anerkennt und Amerikas Institutionen noch weiter beschädigt. Oder dass es zu wüsten Unruhen kommt, weil die jeweils andere Seite das Wahlergebnis nicht akzeptieren mag.
Vor vier Jahren haben wir an dieser Stelle darüber diskutiert, wie die Präsidentschaft Trumps die Welt verändern könnte. Wie würde die Welt 2021 aussehen? Einige Aspekte dieses Szenarios sind Realität geworden, andere nicht. Vieles ist zumindest tendenziell so eingetreten wie vorhergesagt und hätte das Potenzial, in einer zweiten Amtszeit voll zur Geltung zu kommen.
Denn angesichts der Umfragen lässt sich auch ein klarer Sieg Trumps nach wie vor nicht ausschließen.
Ketten von Konflikten
Anlässlich von Trumps Amtsantritt im Februar 2017 sah mein Vier-Jahres-Szenario für die Weltwirtschaft in Kurzform so aus:
Im Jahr 2021 wird der wirtschaftliche Austausch zwischen den Staaten rapide geschrumpft sein. Viele Güter sind für die Verbraucher merklich teurer. Globale Konzerne haben sich aufgespalten in nationale Einheiten. Die internationale Arbeitsteilung wird zurückgedreht, produziert wird wieder verstärkt vor Ort. Ganze Nationen verlieren merklich an Wohlstand, was wiederum Verteilungskämpfe schürt.
Eine von Trump losgetretene Kette von Handelskonflikten würde zu wüsten Gegenreaktionen führen, so die damalige Erwartung. China und die Eurozone würden US-Einfuhrbeschränkungen mit Vergeltungsmaßnahmen beantworten. Die Logik aus Schlag und Gegenschlag würde den internationalen Austausch schrumpfen lassen - mit gravierenden Folgen für den Wohlstand und deutlich steigenden Preisen.
Parallel dazu würde die Trump-Regierung wichtige wirtschaftliche Institutionen schleifen: Die US-Notenbank Fed würde ihre Unabhängigkeit verlieren. Die Welthandelsorganisation WTO würde in Bedeutungslosigkeit versinken, weil sich ihre wichtigsten Mitglieder - die USA vorneweg - nicht mehr an das multilaterale Regelwerk halten würden.
Ein Realitätscheck knapp vier Jahre später zeigt: Ganz so schlimm ist es (noch) nicht gekommen. Aber die Tendenz stimmte.
Eine Industrierezession
Trumps Handelskrieg richtete sich vor allem gegen China. Peking reagierte entschlossen mit Gegenmaßnahmen. Ein zwischenzeitlicher kleiner Handelsdeal zwischen beiden Ländern dämpfte das Risiko einer Eskalation. Im Konflikt mit der EU blieb es vor allem bei Drohungen und Gegendrohungen. Kleinere US-Handelspartner, insbesondere Kanada und Mexiko, beugten sich weitgehend amerikanischen Wünschen und unterschrieben ein um einige Sozialstandards ergänztes nordamerikanisches Freihandelsabkommen, das in USMCA umbenannt wurde.
Die WTO hat gelitten, auch weil die USA sich weigern, neue Richter für die WTO-Schiedsgerichte zu berufen, sodass die Berufungsinstanz ihre Arbeit Ende 2019 einstellen musste. Die Fed ist massiv unter den verbalen Druck des US-Präsidenten geraten , was ihre Unabhängigkeit infrage gestellt hat (achten Sie auf den Zinsentscheid am Donnerstag).
Der Welthandel ist nicht implodiert wie in den Dreißigerjahren, aber er bröckelt (Freitag veröffentlicht Chinas Zollbehörde neue Zahlen). Die Industrie ist schon vor der Coronakrise in eine weltweite Rezession geschlittert, was gerade im produktions- und exportlastigen Deutschland spürbar ist (Mittwoch gibt es Neuigkeiten vom Maschinenbau). Dazu kam: Trump und die Republikaner haben mit einer massiven Steuersenkung die Binnenkonjunktur angekurbelt - und damit auch die US-Nachfrage nach Importen, was den Zollwirkungen entgegenwirkte.
Ein Vakuum und seine Profiteure
Unter einer Präsidentschaft Trumps würden besonders gravierend die internationalen Beziehungen leiden, so die Vorhersage 2017. Das globale Regelwerk und das Institutionengefüge, das die USA selbst nach dem Zweiten Weltkrieg aufgebaut und über Jahrzehnte gestützt hatten, würden schweren Schaden nehmen.
2021, nach vier Jahren Trump, ist von dieser Ordnung nicht mehr viel übrig. Der Twitter-Präsident hat stets deutlich gemacht, dass ihm wenig daran lag, von Partnern und Kontrahenten als berechenbar oder gar vertrauenswürdig angesehen zu werden. Lieber agierte er mit dem Moment der Überraschung und setzte darauf, Amerika stärker erscheinen zu lassen, als es eigentlich war, indem er anderswo Unfrieden und Zwietracht säte, auch zwischen traditionellen Verbündeten wie den Europäern.
Amerikas Rückzug als Weltmacht hat ein Vakuum hinterlassen, das zum Teil von anderen Mächten gefüllt wurde. Der Rollenwechsel der USA in den internationalen Beziehungen ist unter Trump nicht so umfassend gewesen wie vor vier Jahren angenommen.
Die USA haben sich nicht aus Europa und Asien zurückgezogen, aber ihr Bekenntnis zum Beistand ist schwächer geworden. Aus wichtigen internationalen Verträgen - dem Pariser Klimaschutzabkommen, dem Atomabkommen mit Iran - sind die USA ausgestiegen; das Abkommen zur Begrenzung nuklearer Mittelstreckenraketen mit Russland haben sie ohne Anschlussvertrag auslaufen lassen. Es gab Konfrontationen bei Gipfeln mit westlichen Partnern - sowie erratische, schlagzeilenträchtige Aktionen, etwa Trumps Treffen mit Nordkoreas Diktator Kim Jong Un.
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Auch das gehört zur Bilanz: Im Nahen Osten nähern sich Israel und einige Golfanrainer an. Die USA sind als Schutzmacht in der Region geblieben, wenn auch mit teils zweifelhaften Prioritäten. Unter Trump verlegten die USA etwa ihre Botschaft nach Jerusalem, zur Freude amerikanischer Evangelikaler, während US-Rüstungsfirmen die Saudis im großen Stil mit Waffen versorgen.
Trump hat sich, allem martialischen Wortgetöse zum Trotz, nicht als Kriegstreiber hervorgetan. Aber das geostrategische Vakuum hat, wie 2017 vorhergesagt, tatsächlich neue Konflikte begünstigt. Der Nato-Staat Türkei betreibt eine destabilisierende Außenpolitik - in Syrien, Libyen und jetzt in Aserbaidschan. Zwischen Ankara und den EU-Nachbarn Griechenland und Zypern droht der Streit um Gasvorkommen zu eskalieren. Zwischen China und Indien schwelen bewaffnete Grenzkonflikte.
Klar, die USA sind nicht für jede Aggression auf der Welt verantwortlich. Aber ohne die Klammer des amerikanischen Hegemonieanspruchs als Weltpolizist geraten Konflikte rund um den Globus leichter außer Kontrolle. Selbst traditionell eher pazifistisch gesinnte Länder wie Schweden sehen sich nun zur Aufrüstung gezwungen. Die Bedingungen für Rüstungswettläufe sind rund um den Globus gegeben.
Die Wiederwahl wäre ein fatales Signal
In den vergangenen vier Jahren haben sich Strukturen und Institutionen als beruhigend widerstandsfähig erwiesen. Ein einzelner US-Präsident kann die Globalisierung beschädigen, aber gewachsene internationale Handelsverflechtungen kann er nicht so einfach durchtrennen. Nationale und internationale Behörden - von der Fed bis zur Nato - existieren fort, verfolgen ihre Aufträge und leisten beharrlich Widerstand. Aber wie lange noch?
Weitere vier Jahre mit Trump als US-Präsident würden massive Schäden anrichten. Dass vieles von dem, was unser Vier-Jahres-Szenario von 2017 beinhaltete, bislang nicht eingetreten ist, bedeutet - leider - nicht, dass die damaligen Vorhersagen falsch waren. In der Tendenz hat sich Vieles bestätigt. Vier weitere Jahre mit Trump und seinem Clan am Ruder würden viele Beschädigungen irreparabel machen.
Eine Wiederwahl des Amtsinhabers wäre deshalb ein fatales Signal. Nicht zuletzt, weil ein Wahlsieg Trumps eine der großen Stärken der westlichen Demokratie als Regierungsform infrage stellen würde: ihre Fähigkeit zur Selbstkorrektur.
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