INDIEN Wahnwitziger Betrag
Indiens Industrie-Minister George Fernandes wurde grob: »Wer behauptet. daß ich mich nach den Interessen eines verdammten Multis richte«. wetterte der ehemalige Gewerkschaftsboß. »den nenne ich einen Hurensohn.«
In Rage brachte den Sozialisten, der Willy Brandt zu seinen Freunden rechnet, ein bislang weder bewiesener noch widerlegter Vorwurf: Fernandes soll sich, das jedenfalls behauptet ein Abgeordneter der oppositionellen Partei der früheren Ministerpräsidentin Indira Gandhi. mit 25 Millionen Mark bestechen haben lassen -- von Managern des Elektrokonzerns Siemens.
Der Korruptions-Vorwurf gegen ein einflußreiches Mitglied des Kabinetts Desai bildete den Höhepunkt einer Anti-Multi-Kampagne, in deren Mittelpunkt der Münchner Konzern, immerhin Westdeutschlands größtes Elektro-Unternehmen, steht.
Zusammen mit Siemens-Managern sind die Chefs der indischen Staatsfirma Bharat Heavy Electricals Ltd. (BHEL). des größten öffentlichen Herstellers von Energieausrüstungen. unter Beschuß geraten, weil sie eine Umstellung ihrer Produktpalette auf deutsches Know-how planen.
»Die langfristige Kooperation mit Siemens«. warnte auch die angesehene Wirtschaftszeitung »Business Standard«, »hemmt ausgerechnet auf einem Schlüsselgebiet wie der Kraftwirtschaft die eigene Entwicklung.«
Seit zwei Jahren schon kooperieren Siemens -- über seine Tochtergesellschaft KWU -- und BHEL beim Bau von Turbinen und Generatoren für Kraftwerke mit einer Leistung von 200 bis 1000 Megawatt: Die Münchner hatten 1976 gegen die Konkurrenz des Schweizer Konzerns BBC, der englischen General Electric, der deutsch-französischen Kombination MAN/ Alsthom und des US-Giganten General Electric die Ausschreibung für diese Turbosätze gewonnen.
Die deutsch-indische Zusammenarbeit ließ sich so gut an, daß beide Partner sich darauf verständigten, dem auf 15 Jahre befristeten Know-how-Kontrakt durch ein neues Abkommen auch auf
Transformatoren, schwere Motoren: Hochspannungs-Schalter und Turbosätze unter 200 Megawatt auszudehnen
Diese Großkooperation rief die Russen auf den Plan, die Mitte der sechziger Jahre den Indern ein Turbinenwerk für Turbosätze bis 200 Megawatt gebaut hatten.
Für die Kommunisten stand viel auf dem Spiel: Die BHEL-Manager waren dahintergekommen, daß die Russen-Turbinen wesentlich schwerer als die Siemens-Version sind und erheblich höhere Materialkosten verursachen.
Die Bharat-Manager und die Statthalter der Multitochter Siemens India (Jahresumsatz 1976/77: rund 220 Millionen Mark. 6000 Beschäftigte) waren bereits im Frühjahr über den geplanten Technologie-Transfer handelseinig. Doch dann blieb das Projekt hängen: Die Regierung in Neu Delhi genehmigte das Bündnis nicht.
Dieses Zögern des zuständigen Foreign Investment Board (FIB) nutzte die pro-sowjetische Lobby zu einer Offensive gegen die neue Energie-Achse. Nicht nur die Redakteure von Linksblättern und die von Kommunisten beherrschten Gewerkschaften machten Stimmung gegen den deutschen Multi. Auch Mitglieder des Kabinetts Desai. allen voran Chemieminister Hemwati Nandan Bahuguna. griffen das Bundnis mit den Siemens-Bossen an.
Die Münchner Technologie-Verkäufer behaupteten dagegen, sie seien den Indern weit entgegengekommen. So sollen die Know-how-Importeure aus Delhi ungehinderten Zugang zu den Entwicklungs-Labors in der Bundesrepublik erhalten. Auch einseitige Kündigung der Zusammenarbeit auf einzelnen Produktgebieten soll zulässig sein. Reinhold Braun. Siemens-Vertriebsmanager. Abteilung Übersee: »Die Inder sind uns nicht auf Gedeih und Verderb ausgeliefert.«
Dieser gute Wille hat gute Gründe. Ein Regierungsausschuß in Delhi berät zur Zeit, ob der fünftgrößte Elektrokonzern der Welt auf dem 630 Millionen Menschen großen Markt demnächst zurückstecken muß. Nach dem vor fünf Jahren erlassenen »Foreign Exchange Regulation Act« (FERA) nämlich dürfen Ausländer an indischen Firmen grundsätzlich nur noch höchstens zu 40 Prozent, bei bestimmten Technologie-Produzenten ausnahmsweise bis zu 60 Prozent beteiligt sein.
Selbst wenn die Siemens-Manager ihre ferne Tochter (Beteiligung: 51 Prozent) über diese Hürden bringen, droht ihnen eine weitere FERA-Vorschrift: Fremdbeherrschte Unternehmen dürfen nur 50 Millionen Rupien (rund 12 Millionen Mark) oder maximal 25 Prozent ihrer Umsätze mit Handelsgeschäften bestreiten.
Die Siemens-Manager liegen weit über diesem Limit. Sie vertreiben nicht nur Elektrokabel aus einer in der Nähe von Bombay gelegenen Firma. an der sie selbst mit 20 Prozent beteiligt sind. sondern zusätzlich Kleinmotoren eines mit den Deutschen liierten Unternehmens in Kalwa bei Bombay.
Zwei Multis traten wegen der strengen indischen Regeln bereits den Rückzug aus dem Subkontinent an. IBM schloß in diesem Jahr seine Indien-Niederlassung. Und Coca-Cola holte schon 1977 die rot-weiße Fahne ein. nachdem die Inder die Übergabe der Kapitalmehrheit und Preisgabe des Coca-Geheimrezeptes verlangt hatten.
Soweit sind die Münchner noch nicht. Und daß der Vorwurf der Bestechung sie um ihr Renommee bringen könnte, halten sie für unwahrscheinlich. »Schon der wahnwitzige Betrag«, so Heinz Georg Salge, ehemaliger Siemens-Chef in Indien, »müßte doch jedem klarmachen, wie haltlos der Vorwurf gegen uns ist.«