Bedrohte Waldbestände Deutschlands 725-Milliarden-Euro-Schatz ist in Gefahr

Der deutsche Wald stirbt – und mit jedem Baum wird auch ein finanzieller Wert vernichtet. Sechs Milliarden Euro seien so allein durch die aktuellen Waldschäden verloren gegangen, so eine Studie. Und das war erst der Anfang.
Wanderer im Nationalpark Harz laufen an abgestorbenen Fichten vorbei

Wanderer im Nationalpark Harz laufen an abgestorbenen Fichten vorbei

Foto: Klaus-Dietmar Gabbert / dpa-Zentralbild

Waldsterben, ein Thema der Achtziger? Wer das glaubt, muss heute nur in den Wald der Kindheit zurückfahren. In das Heimatdorf im Westerwald – wo der alte grüne Fichtenforst sich in eine braune Brachfläche voller Baumstümpfe verwandelt hat. Oder in den Nationalpark Harz, den Kiefernwald in Brandenburg oder im Hunsrück: Kahle Baumgerippe ragen vielerorts in den Himmel, wo jahrzehntelang eine grüne Walddecke war.

Noch nie sind in Deutschland so schnell so viele Bäume abgestorben wie 2020, konstatiert auch der aktuelle Waldbericht der Bundesregierung. Der Wald ist in seinem schlechtesten Zustand seit Beginn der Erhebungen 1984. Drei Dürrejahre in Folge, der massive Borkenkäferbefall, Stürme und Waldbrände haben nicht nur zum Absterben vor allem der Fichten geführt – auch die Laubbäume leiden. Vier von fünf Bäumen haben lichte Kronen, darunter auch 80 Prozent der Eichen und 89 Prozent der Buchen.

Waldsterben im Siegerland

Waldsterben im Siegerland

Foto: Reinhold Becher / imago images

Rund 250.000 Hektar Wald – vor allem Fichtenforste – sind komplett abgestorben und müssen wieder aufgeforstet werden. Damit geht es nicht nur dem deutschen Wald schlecht, auch die private und kommunale Forstwirtschaft leidet. Tatsächlich ist der Wald auch ein enormer Wirtschaftsfaktor. Pro Jahr werden in Deutschland, einem der waldreichsten Land der EU, rund 70 Millionen Kubikmeter Holz geschlagen. Das Geschäft mit dem Holz bringt laut Thünen-Institut jährlich rund 8,5 Milliarden Euro in Deutschland ein .

Preis für Fichtenholz ist um 35 Prozent eingebrochen

Das aktuelle Waldsterben bringt derzeit auch Tausende Kommunen in Deutschland in Bedrängnis. Denn: Auf etwa einem Drittel der Staatsfläche stehen Bäume, der Staat ist ein wichtiger Eigentümer. Doch was lange eine stabile Einkommensquelle war, entpuppt sich nun als ein existenzielles Problem: Der Preis für Fichtenholz, einst die Basis der deutschen Forstindustrie, ist seit 2018 um 35 Prozent eingebrochen. Es ist so viel schadhaftes Fichtenholz am Markt, dass sich dafür oft keine Abnehmer mehr finden.

»Aktuell ist die Rendite vieler deutscher Forstbetriebe sogar negativ. Dies liegt an den hohen Kosten der Waldschadensbeseitigung und den niedrigen Holzpreisen«, sagt Georg Kappen, Mitautor einer Studie zum globalen Wert der Wälder  der Unternehmensberatung Boston Consulting Group (BCG). Mit anderen Worten: Das gesamte, auf Holzeinschlag basierende Geschäftsmodell, steht infrage.

Kappen plädiert daher für eine Neubewertung des Waldes. Vor dem Hintergrund des Waldsterbens sowie der Klima- und Ökokrise des Planeten haben er und Kollegen in dieser Studie errechnet, wie viel der Wald global wirklich wert ist – und wie stark er aktuell an Wert verliert.

Dabei hat Kappen nicht nur die Holzproduktionsleistung, sondern auch alle weiteren messbaren Ökosystemleistungen des Waldes mit einberechnet. »Der Wald liefert als Wertbeitrag viel mehr als das Holz: Er bindet CO₂ aus der Atmosphäre, filtert Luft, speichert Wasser, ist Naherholungsgebiet. Und er liefert einen aktiven Beitrag zu Biodiversität und damit zur Stabilität vieler Ökosysteme. Das sollte in zukünftigen Vergütungsmodellen honoriert werden«, sagt Kappen.

Der deutsche Wald ist rund 725 Milliarden Euro wert

Den umfassenden BCG-Berechnungen zufolge kommt der deutsche Wald damit auf einen Wert von rund 725 Milliarden Euro. Für die Kalkulation wurden alle bezifferbaren ökologischen Faktoren des Waldes – vor allem die Klimaregulation als CO2-Speicher – sowie seine sozialen und kommerziellen Werte einberechnet.

Auch die aktuellen Waldschäden – rund zwei Prozent der deutschen Waldfläche – hat BCG entsprechend errechnet: Sie liegen bei rund sechs Milliarden Euro. Und damit nur bei rund der Hälfte des Wertverlusts der geschädigten Fläche, weil auch abgestorbenes Holz CO₂ speichert und teils verwertet werden kann, so die Berechnung.

Doch das könnte nur der Anfang sein. Laut BCG-Berechnungen könnte der Flächenschaden bis 2050 durch Trockenheit und Schädlinge wie den Borkenkäfer auf zehn Prozent des deutschen Waldes anwachsen. Der Wert des Waldes würde dadurch um 25 Milliarden Euro sinken.

Kranke Kiefern mit ausgetrockneten Baumkronen in den Niedersächsischen Landesforsten im Landkreis Gifhorn

Kranke Kiefern mit ausgetrockneten Baumkronen in den Niedersächsischen Landesforsten im Landkreis Gifhorn

Foto: Julian Stratenschulte / dpa

Die Politik hat den Ernst der Lage erkannt – theoretisch jedenfalls. Um den deutschen Wald zu retten, wurden seit 2019 von Bund und Ländern sowie aus dem Konjunkturpaket insgesamt 1,5 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt – so viel wie nie zuvor. Mit dem Geld soll privaten und kommunalen Waldeigentümern geholfen werden, die Schäden im Wald zu beseitigen, diesen wieder aufzuforsten und an den Klimawandel anzupassen.

Der Wald wird vor allem vom Totholz befreit

Guckt man sich allerdings an, wohin das Geld geflossen ist, wird klar: Der ökologische Nutzen ist begrenzt. »Bisher liegt der Fokus der Waldbesitzer vor allem auf der Bewältigung der Waldschäden, dafür wurde mehr Geld beantragt als vorgesehen war«, sagt eine Sprecherin des Bundeslandwirtschaftsministeriums (BMEL) auf Anfrage. Mit anderen Worten: Mit dem Geld wurde bislang vor allem Totholz aus den Wäldern geräumt, erst in diesem Jahr erwartet das BMEL vermehrt Anträge zur Wiederaufforstung.

Der zweite große Batzen – rund 500 Millionen Euro aus dem Konjunkturpaket – geht in die sogenannte Bundeswaldprämie. Das Ministerium will damit eine »schnelle und unbürokratische Hilfe für den Kommunal- und Privatwald« bieten. Bereits 4000 Kommunen hätten hier einen Antrag gestellt, pro Hektar Waldbesitz bekommen sie je nach Nachhaltigkeitszertifizierung PEFC oder FSC 100 bis 120 Euro. Das BMEL will damit angeschlagenen Kommunen helfen und zugleich den ökologischen Waldumbau vorantreiben. »Das funktioniert – bereits jetzt ist die zertifizierte Fläche aufgrund der Prämie um 550.000 Hektar angestiegen«, sagt die Sprecherin. Dies sei die doppelte Fläche des Saarlands.

»Konjunkurpaket für Waldbesitzende«

Umweltorganisationen teilen die Begeisterung des Ministeriums nicht. »Das ist vor allem ein flächengebundenes Konjunkturpaket für Waldbesitzende, nicht unbedingt für den Wald«, sagt Nicola Uhde, Waldexpertin vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). »So fließt viel Geld in ein ›Weiter so‹ in der Forstwirtschaft. Was unsere Wälder jetzt aber brauchen, ist eine ökologische Waldwende.« Außerdem sei das Leerräumen der Waldschadensflächen kontraproduktiv – schließlich schütze das Totholz den Boden gegen das Austrocknen und die jungen Baumtriebe gegen den Wildverbiss etwa durch Rehe. »Für eine Waldprämie brauchen wir ökologische Mindeststandards in den Waldgesetzen. Eine Zertifizierung der Wälder nach PEFC ist viel zu niedrigschwellig, die hat so gut wie keine Lenkungswirkung«, sagt Uhde.

Deshalb kämpft Uhde derzeit für harte ökologische Kriterien bei der neuen Waldklimaschutzprämie, die in der kommenden Woche auf der Agrarministerkonferenz besprochen werden soll. »Wir fordern, Steuergelder nur solchen Waldbesitzern zu geben, die ihren Wald erkennbar in den Dienst des Gemeinwohls stellen – also damit etwa alte, artenreiche Mischwälder erhalten, die CO₂ speichern und zudem als kühler und vielfältiger Erholungsort für die Menschen dienen.« Im Moment werde jedoch eher wieder eine sozial ungerechte, pauschale Flächenprämie »auf Basis einer abenteuerlichen Berechnung der durchschnittlichen CO2-Bindung« angedacht – »nach dem Gießkannenprinzip: Wer viel hat, bekommt viel.«

Bleibt noch die Frage, welche Arten nun gepflanzt werden sollen, wenn es darum geht, den Wert des Waldes auch in Zeiten des Klimawandels zu erhalten. Dazu wird derzeit eilig geforscht und debattiert – angesichts der Dürreschäden auch unter Eichen und Buchen ist die Frage nicht leicht zu beantworten. Hört man sich um, fallen immer wieder die Namen trockenresistenterer Arten wie Linde oder Hainbuche, auch der tiefer wurzelnde Weißdorn oder Buchensorten aus Ungarn oder Griechenland, die an weniger Niederschlag gewöhnt sind, werden genannt. Doch eigentlich weiß das derzeit niemand genau, zu schnell schreitet der Klimawandel in den letzten Jahren voran. »Am besten ist es, möglichst wenig in die natürlichen Prozesse von Wäldern einzugreifen – einfach mal nichts zu tun. Wälder stabilisieren sich auf lange Sicht von selbst«, sagt Uhde.

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version hieß es, Deutschland sei das waldreichste Land der EU. Tatsächlich haben Länder wie Schweden oder Spanien mehr Wald. Wir haben die Stelle korrigiert.

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