Wall Street US-Notenbank senkt Zinsen drastisch - Wall Street und Dax stabilisieren sich
Washington - Es ist ein Tag des dramatischen Auf und Ab - erst in Deutschland, jetzt in den USA. Zur Handelseröffnung an der Wall Street gaben die großen Aktienindizes deutlich nach. Der Leitindex Dow Jones verlor in den ersten Handelsminuten mehr als drei Prozent, insgesamt 368 Punkte, auf 11731 Zähler. Der technologieorientierte Nasdaq Composite büßte mit einem anfänglichen Minus von 4,9 Prozent sogar noch stärker ein. Ähnlich der marktbreitere S&P-500-Index .

Ratlosigkeit an der New York Stock Exchange: Leitzinssenkung verpufft
Foto: APDoch dann erholten sich alle drei Indizes im Laufe der ersten Stunden wieder. Sie blieben im Minus - allerdings auf moderatem Niveau. Ähnlich auch der deutsche Aktienindex Dax , der heute mit mehr als fünf Prozent minus in den Handel gestartet war - der niedrigste Stand seit Dezember 2006. Es folgte ein zeitweise hektisches Auf und Ab, der Dax bewegte sich den ganzen Nachmittag um die Null-Prozent-Marke bevor er am Abend mit minus 0,3 Prozent fast auf Vortagesniveau schloss.
Grund für die Stabilisierung: Die US-Zentralbank hatte mit einer drastischen Maßnahme auf die weltweiten Kursstürze reagiert - und den Leitzins um satte 75 Basispunkte gesenkt. Eine Maßnahme, die zum Teil heftiges Kopfschütteln bei Analysten und Konjunkturexperten auslöste: Die Zinssenkung sei "fast eine Panikreaktion der Fed", sagte Henrik Enderlein von der Hertie School of Governance. "Sie hat festgestellt, dass sie die Rezession nicht aufhalten kann."
Allerdings verspricht sich Enderlein von den Zinssenkungen nicht viel: "Die Leitzinssenkung war ein Versuch, die Panikstimmung ein wenig abzuschwächen." Sie sei jedoch nur ein "Tropfen auf dem heißen Stein" und schon verpufft.
"Die Fed hat etwas Dramatisches getan", sagte auch der Marktstratege Al Goldman von A.G. Edwards. "Dennoch ist es im Großen und Ganzen so, dass wir entweder bereits in einer Rezession sind oder aber darauf zusteuern."
Bush kann sich umfangreicheres Notpaket vorstellen
Das scheint auch das Weiße Haus zu befürchten und reagierte auf die Börsenturbulenzen der vergangenen Tage. US-Präsident George W. Bush könne sich vorstellen, für sein Notfallpaket zur Belebung der US-Wirtschaft noch mehr Geld zur Verfügung zu stellen, sagt eine Regierungssprecherin. Konkrete Zahlen nannte sie nicht.
Auf dem Wall-Street-Parkett wurde die überraschende Zinssenkung zwar begrüßt - aber sogleich folgte der Ruf nach mehr. US-Börsenguru Jim Cramer forderte stellvertretend für viele: "Die Fed hat so lange mit deutlichen Schritten gewartet, nun müssen die Zinssenkungen noch drastischer ausfallen."
Tatsächlich gehen Marktbeobachter von weiteren schnellen Zinssenkung der Notenbank aus. So könnte die Fed nach Einschätzung der Commerzbank den Leitzins bereits kommende Woche bei ihrer regulären Sitzung erneut senken. "Die Federal Reserve hat heute ein klares Signal zu einem Kurswechsel bei ihrer Geldpolitik gegeben", sagte USA-Experte Patrick Franke. Der Zinssatz liegt jetzt bei 3,5 Prozent. Franke erwartet für kommende Woche - beim Treffen des geldpolitischen Ausschusses (FOMC) - eine weitere Senkung um 0,5 Punkte auf dann drei Prozent.
Abschreibungen ausgewählter Banken in US-Dollar *
Citigroup | 24,6 Mrd. | |
Merrill Lynch | 23,6 Mrd. | |
UBS | 14,4 Mrd. | |
Morgan Stanley | 9,4 Mrd. | |
Bank of America | 5,3 Mrd. | |
Credit Suisse | 4,7 Mrd. | |
HSBC | 3,4 Mrd. ** | |
Deutsche Bank | 3,2 Mrd. ** | |
JP Morgan Chase | 2,9 Mrd. | |
Barclays | 2,7 Mrd. ** | |
Bear Stearns | 2,7 Mrd. | |
Wachovia | 1,7 Mrd. | |
Dresdner Bank | 840 Mio. ** | |
Commerzbank | 425 Mio. | |
Hypo Real Estate | 584 Mio. | |
Postbank | 89 Mio. ** |
** nur 3. Quartal
Auch von der Europäischen Zentralbank verlangen die Wall-Street-Händler niedrigere Zinsen. Jürgen Stark, Chefvolkswirt der Europäischen Zentralbank (EZB), schließt Zinssenkungen jedoch bislang aus. Die Ertragslage der Unternehmen sei günstig, die privaten Haushalte stünden gut da, sagte er am Vormittag in einem Interview mit dem "Deutschlandfunk". EZB-Präsident Jean-Claude Trichet hatte Zinssenkungen zuletzt ebenfalls ausgeschlossen.
Als Grund für ihre heutige Zinssenkung nannte die US-Notenbank Fed schwächere wirtschaftliche Aussichten und steigende Risiken beim Wachstum. Darüber hinaus gebe es Informationen, wonach sich der Immobilienmarkt weiter abkühlen könnte. Auch für den Arbeitsmarkt gebe es negative Signale. Im Gegensatz dazu seien die Inflationsrisiken in den kommenden Quartalen moderat.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) warnte angesichts der Nervosität auf den Aktienmärkten vor Panik. "Es gibt keine Anzeichen für eine Rezession in Deutschland. Das muss man ganz deutlich sagen", sagte sie. "Wir haben unsere eigene spezifische Lage in Europa. Und wir haben volles Vertrauen in die Europäische Zentralbank." Deutschland ist nach Meinung der Kanzlerin nicht mehr so stark abhängig von der Entwicklung in den USA.
Zinsentscheidung nicht einhellig
Die Zinsentscheidung der US-Notenbank ist indes nicht einhellig getroffen worden. Gegen eine Zinssenkung habe das Ausschussmitglied William Poole gestimmt. Poole - Präsident der regionalen Notenbank von St. Louis - sei der Überzeugung gewesen, dass eine schnelle Zinssenkung vor der regulären Sitzung des geldpolitischen Ausschusses in der kommenden Woche nicht nötig sei.
Der Leitzins ist der fundamentale Zinssatz, zu dem sich die Banken untereinander Geld leihen. Je niedriger der Zinssatz ist, desto leichter können Kredite vergeben werden. Auf diese Weise sollen Unternehmen zu Investitionen angeregt werden. Neben dem Leitzins senkte die Fed auch den Diskont-Satz um 0,75 Prozentpunkte auf vier Prozent. Zum Diskont-Satz können sich die Banken direkt bei der Fed Geld leihen.
Seit dem Sommer hat die Fed den US-Leitzins inzwischen um insgesamt 1,75 Prozentpunkte gesenkt. Die Fed steht im Einklang mit dem Kurs von US-Präsident George W. Bush, der in der vorigen Woche ein riesiges Konjunkturpaket angekündigt hat, das bis zu 145 Milliarden Dollar ausmachen soll.
sam/ssu/AP/AFP/dpa/Reuters