Warteschleife Visa, die Freiheit nehm ich dir

Millionen Deutsche sind in diesen Wochen verreist. Ihr wichtigster Ausrüstungsgegenstand: die EC-Karte, mit der sich weltweit Bargeld abheben lässt. Weil deutsche Banken diesen Service klammheimlich einschränken, könnte manch einer mit leeren Taschen dastehen.
Karte mit V-Pay: Wie soll man das bloß als Fortschritt verkaufen?

Karte mit V-Pay: Wie soll man das bloß als Fortschritt verkaufen?

Foto: obs/ Visa Europe

Meine Kreditkarte ist kaputt. Genauer gesagt ist sie überzogen. Das erfahre ich, als ich aus einem New Yorker Hotelzimmer meine heimische Bank anrufe.

"Tja, Limit liegt bei 2000 Euro, Herr König."

Die sind dummerweise bereits für Flieger und Mietwagen draufgegangen - ich war also schon pleite, als ich bei Avis vom Parkplatz rollte. Vorschläge, wie man diese missliche Situation beheben könnte, hat mein Bankberater nicht.

"Und die EC-Karte?", frage ich. "Mein Konto ist proppevoll."

"Damit können Sie an US-Automaten kein Geld abheben, Herr König."

Aus purer Verzweiflung probiere ich es trotzdem. Und siehe da: Gleich der erste Automat spuckt klaglos 200 Dollar aus. Das war vor 15 Jahren.

Bei unserem ersten US-Trip 1983 hatte mein Vater noch mit Geldgürtel und Traveller-Schecks hantiert. Aber ich konnte fortan weltweit Cash ziehen - für mich war das Globalisierung vom Feinsten. Das Maestro-Symbol in der oberen rechten Ecke der Karte, es verhieß grenzenlose Freiheit.

Demnächst lieber wieder den Geldgurt umschnallen

Vor einigen Monaten bekam ich eine neue EC-Karte (die nun eigentlich Girocard heißt). Nur zufällig fiel mir auf, dass das Maestro-Logo verschwunden war. Stattdessen prangte in der Ecke nun ein Symbol des Bezahlsystems V-Pay.

Zunächst dachte ich mir nichts dabei. Doch dann erreichten mich beunruhigende E-Mails von Lesern, die die Vorzüge von V-Pay bereits kennen und fürchten gelernt hatten. Andreas G. etwa schrieb mir aus der Mongolei. Mit Maestro habe er in Ulan Bator stets problemlos Bargeld abheben können. Mit V-Pay sei dies nicht mehr möglich.

Das liegt daran, dass V-Pay, eine Marke des Visa-Konzerns, überspitzt gesagt fast nirgendwo auf der Welt funktioniert. Hält man sich in Westeuropa auf, gibt es kein Problem. Besucht man hingegen die Randgebiete der zivilisierten Welt, zum Beispiel die USA, Kanada, China, Südamerika, Australien, Ozeanien oder Japan, dann heißt es, den Geldgürtel umschnallen.

Weitgehend unbemerkt hat sich das neue System in den vergangenen Jahren ausgebreitet. In Deutschland haben mehr als hundert Banken rund 18 Millionen V-Pay-Karten an ihre Kunden ausgegeben. Darunter sind BW-Bank, Comdirect, DKB, Landesbank Berlin, Postbank, Targobank, Sparkassen, PSD sowie Volks- und Raiffeisenbanken.

Banken lieben V-Pay. Das System gilt als sicherer als der ältere Maestro-Standard. Nach Visa-Angaben hat es bei V-Pay seit der Einführung im Jahr 2007 keinen einzigen Betrugsfall durch Skimming gegeben, eine verbreitete Betrugsvariante, bei der Kartendaten und PIN ausgelesen werden.

Ein Downgrade, den keiner will

Aber mal ehrlich: Stellte man Sie vor die Wahl, ob Sie lieber eine Karte besäßen, mit der man in New York, Rio und Tokio bezahlen kann - oder eine, mit der man fast nirgendwo Geld bekommt, die aber total sicher ist - welche würden Sie nehmen?

Genau, die gute alte Maestro-Karte.

Das wissen natürlich auch die Banken. Das Einsatzgebiet von V-Pay ist so lächerlich klein, dass es nicht einmal Werbegenie Don Draper aus der US-Serie "Mad Men" gelänge, Kunden diese enorme Einschränkung als Fortschritt zu verkaufen.

Mit dem Dilemma gehen viele Banken folgendermaßen um: Sie reden die Nachteile des Systems klein, so gut es eben geht.

Bei Comdirect etwa befindet sich auf dem kuvertierten Blatt, auf dem neue V-Pay-Karten kleben, unten ein vier mal drei Zentimeter großer Kasten. Dort steht in Mini-Schrift V-Pay sei "außerhalb Europas nur eingeschränkt verfügbar".

Die Commerzbank-Tochter findet, sie informiere die Kunden ausreichend. Sie verweist auf eine Broschüre, die man zusätzlich verschicke. Darin steht, dass "V-Pay nicht im gesamten Ausland verfügbar" sei. Übersetzung: V-Pay ist auf fünf von sechs Kontinenten nutzlos.

Die Postbank verschickte 2011 Broschüren, in denen eine Landkarte abgebildet war. Die meisten Länder waren gelb eingefärbt, was universelle Einsetzbarkeit von V-Pay suggerieren sollte. Es handelte sich allerdings nur um eine Europakarte. Und die in der Broschüre aufgestellte Behauptung, V-Pay funktioniere "in vielen Ländern" außerhalb der EU, war schlichtweg falsch. Laut Visa-Homepage kann man V-Pay nicht einmal im EU-Land Kroatien nutzen.

In vielen Bundesländern sind noch Sommerferien. Wie viele ahnungslose Bankkunden werden da wohl mit zu geringer Bargeldreserve in ferne Länder aufgebrochen sein, irrigerweise glaubend, sie könnten mit ihrem EC-Plastikkärtchen am Reiseziel Geld abheben?

Die Banken empfehlen Kunden zum Bargeldabheben als Alternative übrigens eine Kreditkarte. Vermutlich eine von Visa.

Hatten auch Sie ein besonderes Serviceerlebnis? Dann schreiben Sie an warteschleife@spiegel.de .

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