Währungskrise Warum Europa zur Super-Nation werden muss

Euro-Symbol: Eine leuchtende Zukunft für die Gemeinschaftswährung?
Foto: dapdEuro-Müdigkeit macht sich breit. Die Bürger sind des Rettens überdrüssig. Der Grundton der Debatte hat sich verändert. Lasst uns endlich eingestehen, dass die Währungsunion ein Irrtum war, sagen die Gelduntergangspropheten. Denn unter dem Euro-Regime werden so unterschiedliche Nationen wie Griechenland und Deutschland in eine gemeinsame monetäre Zwangsjacke geschnürt, die keinem der beteiligten Völker passt. Schluss, aus, Ende - das sei die beste Lösung.
Tatsächlich ist es relativ leicht, eine negative Zukunftsvision für den Euro auszubreiten. Warum die Währungsunion bestehen bleiben soll, ist dagegen schwieriger zu begründen. So tief ist die Krise, in der Europa derzeit steckt, dass es einiger Fantasie bedarf, um sich vorstellen zu können, wie das Euro-Land in zehn oder zwanzig Jahren aussehen kann: Schließlich sind die Schulden der europäischen Volkswirtschaften heute so hoch wie nie zuvor; die Wettbewerbsfähigkeit der beteiligten Volkswirtschaften driftet immer weiter auseinander; die politischen Gemeinsamkeiten in der europäischen Politik scheinen ausgeschöpft.
Es steht viel auf dem Spiel: Wenn es nicht gelingt, der grimmen Gegenwart eine positive Euro-Vision entgegenzustellen, dann dürfte die Euro-Zone tatsächlich zerfallen. Dann ist der Gelduntergang programmiert.
Es geht um nichts weniger, als durch einen kollektiven Willensakt den scheinbar vorgezeichneten Lauf der Geschichte zu ändern. Die Euro-Vision ist ein Generationenprojekt. Ein weit über das Wirtschaftliche hinausreichendes europäisches Gesamtkonzept ist nötig. Die Euro-Krise lässt sich nicht so einfach "lösen", auch wenn Politiker das immer wieder versprochen haben in den vergangenen Jahren. Bestenfalls steht Europa am Beginn eines langen Weges, der gesäumt sein wird von Rückschlägen, Widerständen und Widersprüchen.
Wozu der ganze Aufwand?
Wozu der ganze Aufwand? Wieso solch ein Kraftakt historischen Ausmaßes? Warum sollte man den Euro retten? Die beste Antwort lautet: Weil es ihn gibt. Der Euro ist eine Realität. Die Währung fußt auf Institutionen, die in den vergangenen Jahrzehnten aufgebaut worden sind. Das gemeinsame Geld hat gemeinsame Erfahrungen gebracht, die sich ins kollektive Gedächtnis der Europäer eingebrannt haben. Ein historischer Prozess lässt sich nicht einfach ungeschehen machen. Wer heute glaubt, man könnte zum Europa der mittleren 90er Jahre zurückkehren, der unterliegt einem gefährlichen Irrtum.
Hätten sich die Europäer in den 90er Jahren nicht auf den Weg zum Euro begeben, könnte man sich in der Tat fragen, ob man das Projekt der Geldvereinheitlichung heute angehen würde. Aber da es den Euro gibt, ist der Weg zurück in die Zukunft keine Option. Falls der Euro scheitert, wird Europa sich in nationalen Gegensätzen aufreiben, wird der Binnenmarkt zerfasern, droht eine katastrophale Wirtschaftskrise, steht der Wohlstand für weite Teile der Bevölkerung zur Disposition, drohen soziale Unruhen, politische Umstürze und internationale Spannungen. Europa würde in einen lange überwunden geglaubten Zustand der Kleinstaaterei zurückfallen - ein Anachronismus in der beginnenden Epoche der Mega-Mächte USA, China, Indien ... Die Zukunft des Euro ist, so gesehen, eine Schicksalsfrage für Europa.
Um eine Vision zu entwickeln, beginnt man am besten mit der Fehleranalyse. Was ist schiefgelaufen in Europa?
Knapp gesagt: Eine Währungsunion souveräner Staaten bei offenen, hoch entwickelten Kapitalmärkten funktioniert nicht. Weil für einzelne Regionen die Zinsen und der Wechselkurs immer zu niedrig sind, für andere aber zu hoch, bilden sich Unwuchten heraus - einige Regionen boomen, andere darben, die Verschuldung erreicht exzessive Höhen.
Die Märkte allein richten es nicht
Derartige Ungleichgewichte korrigieren sich nicht von selbst - die Märkte allein richten es nicht. Sie haben es in der Vergangenheit nicht getan und sie werden es auch in der Zukunft nicht tun. Damit der Euro überleben kann, muss das Projekt vom Kopf auf die Füße gestellt werden: Ursprünglich war die Währungsunion ein zuvorderst politisches Projekt, mit dem das Zusammenwachsen der Völker Europas befördert werden sollte. Dieses starke Motiv ignorierend, wurde sie aber viel zu lange als rein ökonomisches Projekt behandelt. Damit die Währungsunion in Zukunft wirtschaftlich reibungsarm funktionieren kann, braucht sie jedoch unbedingt einen Überbau an paneuropäischer Staatlichkeit, Solidarität und Identität.
In groben Umrissen sieht die Euro-Vision so aus:
- Die Währungsunion entwickelt sich zu den Vereinigten Staaten von Euro-Land weiter. Einem Super-Staat mit gemeinsamer Regierung (der heutigen Kommission), einem Parlament mit echten Initiativrechten und einer Länderkammer (dem heutigen Ministerrat).
- Es gibt einen europäischen Präsidenten, der vom Volk gewählt wird, er steht der europäischen Regierung vor.
- Das europäische Parlament entscheidet über eigene Einnahmen (Steuern, Sozialabgaben, Zölle, Schulden) und eigene Ausgaben.
- Teile der europäischen Sozialstaatlichkeit werden auf die europäische Ebene verlagert, insbesondere eine Basisabsicherung für Arbeitslose, womöglich auch eine Basisrente; nationale Regelungen können die gemeinschaftlichen Unterstützungsniveaus aus den nationalen Haushalten aufstocken.
- Der europäische Super-Staat verfügt über eine vereinheitlichte Armee, die billiger und schlagkräftiger ist als 17 (oder 27) nationale Streitkräfte.
Der europäische Super-Staat muss eine Super-Demokratie sein, in der alle Macht vom europäischen Volk ausgeht. Damit eine Super-Demokratie lebendig sein kann, muss sie sich auf eine europäische Super-Nation stützen: Das Zusammengehörigkeitsempfinden der Europäer wird durch einen zunehmend grenzüberschreitend geführten öffentlichen Diskurs gestärkt. Austausch und Verständigung über gemeinsame Fragen werden öffentlich in gemeinsamen, grenzüberschreitenden Medien erörtert. Englisch findet als Zweitsprache, in der der transnationale Diskurs stattfindet, immer mehr Verbreitung. In den Schulen wird eine gemeinsame europäische Geschichte gelehrt.
Eine europäische Identität ergänzt die nationale
So wie im 18. und 19. Jahrhundert die Nationalstaaten nicht einfach vom Himmel fielen, sondern sich als Folge von bewusst vorangetriebenen Vereinheitlichungsprozessen vollzogen, so braucht Europa heute eine Art super-nation building. Die Nationalitäten verschwinden nicht, aber sie verlieren ihre trennende Bedeutung. Eine europäische Identität ergänzt die nationale.
Ökonomische und politische Aspekte greifen ineinander. Selbstverständlich gibt es dann einen europäischen Finanzminister und Euro-Bonds, also gemeinschaftlich garantierte Super-Staatsanleihen. Es gibt ein teilweise vergemeinschaftetes Schuldenmanagement und eine gemeinsame Kapitalmarktregulierung, so dass eine echte Lösung der Schuldenkrise möglich wird und eine Wiederholung unwahrscheinlich.
Diese Euro-Vision funktioniert nur, wenn alle ihre Bestandteile realisiert werden. So wäre zum Beispiel eine stärkere fiskalische Vereinheitlichung ohne europäische Demokratisierung schlechterdings verfassungswidrig - sie würde eine Beamtendiktatur etablieren. Eine Super-Demokratie wiederum kann nicht entstehen ohne europäische Super-Identität und nicht ohne gemeinsame Medien.
Die Euro-Vision ist ein Super-Projekt, um die Super-Krise abzuwenden.