Unternehmen Wechselt täglich
Immer wieder ist Heinrich von Pierer in den vergangenen Wochen nach Pilsen gereist, um über Konditionen und Konzepte zu verhandeln. Und immer wieder mußte er feststellen, daß kurz vor ihm ein anderer mit ganz ähnlichen Absichten dagewesen war.
Pierer ist der designierte Vorstandsvorsitzende des Münchner Elektrokonzerns Siemens. Der andere ist Eberhard von Koerber, Deutschland-Chef des schwedisch-schweizerischen Konzernverbunds ABB. Beide wollen sich im böhmischen Pilsen am tschechischen Industriekonzern Skoda beteiligen.
Jeder der adligen Manager sieht in Pilsen eine Chance, die Struktur seines Konzerns abzurunden, neue Märkte zu erschließen - und den eigenen Ruhm schnell zu mehren. Insbesondere Pierer, der erst vor kurzem zum Nachfolger des Siemens-Chefs Karlheinz Kaske gekürt wurde, möchte seinen Aufsichtsräten rasch beweisen, daß sie die richtige Wahl getroffen haben.
Die beiden ehrgeizigen Manager schreckt das Beispiel von VW offenbar nicht: Der Wolfsburger Autokonzern war gerade bei Auto-Skoda eingestiegen, da brach der Absatz weg. Die erhofften Chancen auf den Märkten des Ostens sind reichlich vage, zunächst droht das wirtschaftliche Chaos.
Die riesige Staatsfirma mit rund 38 000 Mitarbeitern ist bei westlichen Investoren dennoch begehrt. Wird der Mischkonzern, der bislang in 21 Sparten zersplittert ist, erst einmal saniert, könnte Skoda, so die Hoffnung der Interessenten, ein wichtiger Brückenkopf für das Geschäft mit dem östlichen Europa werden.
Skoda ist vor allem in den Wachstumsbereichen Energie und Transport stark. Dort erzielt der Konzern rund die Hälfte seines Umsatzes.
Das Unternehmen hat Kraftwerke im gesamten Ostblock gebaut und 21 Atommeiler mit Reaktoren bestückt. Die Umrüstung der Kernkraftwerke auf westlichen Standard und ihre Wartung versprechen eine Dauerbeschäftigung.
In den osteuropäischen Staaten werden zudem viele neue Kraftwerke gebraucht. Alle Volkswirtschaften des ehemaligen Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe, die russische eingeschlossen, leiden unter Energiemangel.
Der zweite wichtige Bereich ist der Lokomotivbau. Skoda fertigt etwa 500 Maschinen pro Jahr, besonders konstruiert für die Weiten der Tundra und die Schneefelder Sibiriens. Jede zehnte dieser robusten Zugmaschinen wurde von westlichen Bahngesellschaften geordert.
An den Skoda-Bereichen Energie und Transport war zunächst eine Reihe führender Weltkonzerne interessiert. Die US-Firmen General Electric und Westinghouse sowie die französische Gruppe Alcatel-Alsthom, die den Schnellzug TGV baut, zogen bald ihre Bewerbung zurück. Die Tschechen schraubten ihre Forderungen immer höher, als sie das starke Interesse der großen Konzerne spürten.
Schließlich blieben nur Siemens und ABB übrig. Beide sind bereit, den Kaufpreis und den Investitionsaufwand von mehr als einer Milliarde Mark aufzubringen. Für Siemens geht es vor allem darum, im Osten einen Vorsprung vor Alcatel-Alsthom zu gewinnen. Der Multi aus München ist Systemführer beim Bau des deutschen Hochgeschwindigkeitszuges ICE, der mit dem französischen TGV wetteifert. Bekommt Siemens den Zuschlag bei Skoda, steigen die Aussichten, den deutschen Schnellzug auch in Osteuropa zu vermarkten. Das würde auch ABB nützen: Der Konzern ist der größte ICE-Zulieferer.
Doch mit ihrer wirtschaftlichen Logik konnten die Deutschen in Prag niemanden überrumpeln. Die Tschechen, die sich offenbar den erfahrenen West-Managern nicht gewachsen fühlten, sicherten sich Helfer: Die amerikanische Weltbank-Tochter International Finance Corporation (IFC) verhandelt mit den Elektromanagern.
Zudem wurde in den Verhandlungen um Skoda mit einemmal eine politische Dimension spürbar. Nach dem Einstieg von VW bei Auto-Skoda waren in der tschechischen Öffentlichkeit Vorbehalte gegen eine weitere »Germanisierung« laut geworden.
Da lief die Lobby-Maschinerie der Konzerne an.
Die Konkurrenten aus München und Mannheim taten alles, um die antideutschen Einwände auszuräumen. Die ABB-Manager nutzten ihren Vorteil: Sie betonten immer wieder, ihr Unternehmen sei »ein Verbund aus schwedischen und Schweizer Firmen«.
Pierer und Koerber mußten inzwischen den Tschechen weit entgegenkommen. Der Einstieg im Osten wird schwieriger als erwartet.
Beide Konzernmanager glaubten anfänglich, die unternehmerische Führung bei Skoda schon mit einer Minderheitsbeteiligung zu bekommen. Inzwischen mußte Siemens sich bereit erklären, die Mehrheit zu übernehmen. Einige verlustreiche Sparten wie der Leitungsbau, so versprachen die Münchner, sollen weiter betrieben werden.
Für die Sparten Energie und Transport legten die Interessenten unterschiedliche Ausbaupläne vor. ABB ist mehr an der Kraftwerksseite des Skoda-Deals interessiert als an der Bahntechnik. Turbinen aus Pilsen, meinen ABB-Manager, könnten in China wie in Europa verkauft werden, wenn sie mit dem Gütestempel von ABB versehen wären.
Siemens hat dagegen keine Lokproduktion im Programm und plant deshalb in Pilsen eine Großfertigung auch für den Bedarf im Westen. Bei Skoda sollen vorrangig Untergrundbahnen gebaut werden. Als Pilotprojekt haben die Bayern die geplante Metro in Warschau ausersehen.
Wer schließlich in Pilsen - mit viel Geld und großen Plänen - einziehen wird, ist offen. Der Verhandlungsstand wechselt fast täglich. Am Donnerstag der vergangenen Woche sah sich Pierer schon am Ziel, die Tschechen hatten ihn überraschend nach Pilsen zitiert.
Doch die Verkäufer wollten nur neue Zahlen sehen. Tags darauf signalisierten sie, es werde an einem anderen Konzept für Skoda gearbeitet.
Offenbar möchten die Tschechen nun das Skoda-Kombinat in zwei gleich große Konzerne aufteilen. Die Bahntechnik und der Kraftwerksteil könnten dann gesondert privatisiert werden.
Die ABB-Manager wären mit dem Kraftwerksbau zufrieden. Siemens setzt weiter auf ein Gesamtkonzept für Skoda und hofft, damit die Tschechen zu überzeugen.
Der Münchner Konzern sei schließlich selbst eines der größten Elektrokonglomerate der Welt. »Die beiden Elektrosparten mit ein und demselben Partner«, sagt Pierer, »nur das macht Sinn.«