Getreidemangel als Kriegsfolge Weltweite Sorge um Weizen aus Russland und der Ukraine

Getreidebauer in Brandenburg: Deutschland ist nicht auf Getreideimporte angewiesen, braucht aber Dünger
Foto: Patrick Pleul/ picture alliance/dpaDie Versorgung innerhalb der EU mit Weizen und Agrarprodukten ist laut Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) trotz des Kriegs in der Ukraine sichergestellt. »Die Versorgung innerhalb der EU ist nicht gefährdet«, erklärte Özdemir am Mittwoch.
Die Agrarminister der EU-Mitgliedstaaten sollten am Mittwoch virtuell zu einem informellen Treffen zusammenkommen. Thema ist laut Bundeslandwirtschaftsministerium die Lage auf den Agrarmärkten nach der Invasion Russlands in der Ukraine.
Laut Zahlen des Ministeriums ist Russland für zehn Prozent und die Ukraine für weitere vier Prozent der globalen Weizenexporte verantwortlich. Abnehmer sind jedoch primär die Länder in Nordafrika, die Türkei und Länder in Asien. Die EU und Deutschland haben demnach einen Selbstversorgungsgrad von 100 Prozent, die Versorgung in der EU sei somit nicht gefährdet.
Wenn Dünger teurer wird
Die Auswirkungen der Krise auf die Agrarmärkte werde dennoch genau beobachtet. »Weltweit ist nicht zuletzt wegen der stark gestiegenen Energiekosten mit Preissteigerungen bei Agrarrohstoffen und bei Düngemitteln zu rechnen«, erklärte Özdemir weiter. Es sei nicht auszuschließen, dass auch die Verbraucherpreise ansteigen würden.
Die Weizenpreise hatten auf dem globalen Markt zuletzt Rekordstände erreicht. An der europäischen Börse Euronext wurde eine Tonne Weizen am Mittwoch für 354 Euro gehandelt. Erst Ende Februar hatte der Weizenpreis wegen der Invasion Russlands in der Ukraine ein Rekordhoch erreicht.
Derweil warnen verschiedene Hilfsorganisationen und Verbände vor den Folgen des Ukrainekriegs für die Lebensmittelproduktion. Denn mehr als die Hälfte der Nahrungsmittel, die das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (WFP) in Krisenregionen verteilt, stammt eigenen Angaben zufolge aus der Ukraine.
»Putins Krieg überzieht nicht nur die Ukraine mit unermesslichem Leid. Die Auswirkungen werden weit über die Grenzen der Region zu spüren sein«, sagte der Direktor des WFP in Deutschland, Martin Frick. Das WFP ist in mehr als 80 Ländern aktiv. Schon jetzt seien knapp 280 Millionen Menschen von akutem Hunger betroffen. Die Welt könne sich keinen weiteren Konflikt leisten.
Schon jetzt sei Stickstoffdünger sehr teuer und knapp, teilte der Deutsche Bauernverband kürzlich mit. Der für Landwirte wichtige Stickstoffdünger wird aus Erdgas hergestellt – sollten also die Gaspreise durch die Eskalation noch weiter steigen, würde das auch die Kosten für Bäuerinnen und Bauern in die Höhe treiben.
Für Länder in Afrika, Nordafrika und Westasien hat der Weizenimport eine deutlich größere Bedeutung. So waren die Kosten für Lebensmittel etwa ein wichtiger Faktor im sogenannten Arabischen Frühling, eine Serie von Massenprotesten. »Die soziale Stabilität in diesen Ländern hängt vom Brotpreis ab«, sagt Martin Banse, Agrarexperte und Chef des Thünen-Instituts für Marktanalyse.
Teures Brot könnte politische Unruhen fördern
Ägypten – mit mehr als 100 Millionen Einwohnern das bevölkerungsreichste Land der arabischen Welt – importiert einen großen Teil seines Weizens aus Russland und der Ukraine. Gleiches gilt für Tunesien. Dort sind vor allem arme Menschen dringend auf Brot angewiesen. Experten in Tunesien warnen bereits vor heftigen Preissteigerungen wegen des Kriegs. Künftig könnte zwar Getreide etwa aus Argentinien oder Rumänien kommen – aber ob das reicht, ist unklar. Andere Staaten in Westasien stehen vor ähnlichen Problemen.
Die Türkei kaufte 2020 rund 65 Prozent ihres Weizens aus Russland. Eine Verschlechterung der Beziehungen zu Moskau könnte die Einfuhren verteuern. Wenn nun etwa erneut die Brotpreise steigen – die Türkei leidet gerade unter einer besonders hohen Inflation – könnte das auch den Ärger über die Regierung des Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan weiter befeuern.
Kurzfristig kann eine mögliche Versorgungslücke laut Agrarexperte Banse nicht von der EU geschlossen werden. Sie sei zwar lange ein wichtiger Lieferant von Weizen für diese Länder gewesen, aber dann von der Ukraine und Russland aus dem Markt gedrängt worden. Zudem seien die Speicher in der EU nicht besonders gut gefüllt. »Die Lager sind zurzeit, ich will nicht sagen leer, aber ziemlich leer, sodass hier Europa kurzfristig nicht so schnell in die Bresche springen kann«, betont Banse.