Weltwirtschaftsforum in Davos Experten verzweifeln an der Mega-Krise
Davos - Die Szene erinnert an die Zuschauerfrage bei "Wer wird Millionär?". Manager und Finanzexperten zuhauf sind beim Weltwirtschaftsforum in Davos zum "World Economic Brainstorming" gekommen. An runden Tischen sollen sie die Probleme der Welt im Jahre 2008 analysieren. Und Lösungsszenarien präsentieren. Sie dürfen per Fernbedienung abstimmen: Welche Risiken finden sie am bedrohlichsten? Wachsende Ungleichheit in der Welt? Als die Ergebnisgrafik aufleuchtet, ist der Balken hinter dieser Antwort ziemlich kurz - am längsten fällt er bei zwei Themen aus: Missmanagement der aktuellen Krise - und das Fehlen einer koordinierten Antwort.

Hektischer Handel an Brasiliens Börse: Wie kommt man aus der Krise?
Foto: AFPWährend in Deutschland an diesem Mittwoch der Dax abstürzte und sich die US-Börsen mühsam wieder in die Gewinnzone bewegten, hatten die globalen Entscheider aus Wirtschaft und Politik beim Auftakt ihres Treffen in den Schweizer Bergen nur ein Thema im Kopf: die Kredit-, Finanzen-, Börsenkrise.
Und die wenigsten wissen wirklich, wie es nun weitergehen soll. In Davos macht sich hinter der feierlichen Kulisse Ratlosigkeit breit. Denn so heiß in den Gesprächsrunden auch diskutiert wird: Wenn Lösungsmöglichkeiten für das derzeitige Finanzdebakel gefragt sind, gehen die Meinungen weit auseinander.
"Die Märkte suchen verzweifelt nach Führung"
Condoleezza Rice, die eigentlich die Bedeutung von Optimismus und Idealen zum Kernthema ihrer Rede machen wollte, traf die allgemeine Gipfel-Stimmung in einem Nebensatz. Weltweit wachse das Gefühl, "dass Globalisierung etwas ist, was uns passiert - nicht etwas, was wir kontrollieren", sagte die US-Außenministerin. Ihre dunkle Kluft ließ in diesem Moment an Trauerkleidung denken. Ansonsten verkündete sie Durchhalteparolen: "Die US-Wirtschaft ist belastbar, ihre Struktur gesund. Sie wird ein treibender Motor weltweiten Wirtschaftswachstums bleiben."
Doch die Stimmung in den Gesprächsrunden in Davos ist eine andere. Dort wird immer wieder dringlich eine "konzertierte Aktion" verlangt und "Leadership". John Studzinski vom Investment-Giganten Blackstone: "Wonach die Märkte derzeit verzweifelt suchen, ist Führung." Großinvestor George Soros fordert gar einen "neuen Sheriff" für die Finanzmärkte, eine Aufsichtsbehörde.
Doch welche Institution soll das sein? Und sollen wirklich die Notenbanken die geforderte "konzertierte Aktion" ausrufen, wie es manche nun fordern? "Zentralbanken können nicht für Wohlstand sorgen", sagt Harvard-Ökonom Larry Summers in Davos. Nobelpreisträger Joseph Stiglitz: "Ich glaube, die Notenbanken haben die Kontrolle über das System verloren." Auch Soros kritisiert die US-Notenbank Fed wie selten zuvor: Sie habe jahrelang auf eine falsche Niedrigzinspolitik gesetzt. Das viele billige Geld habe die US-Verbraucher zu völlig unvernünftigem Konsumverhalten getrieben. Der frühere Notenbankpräsident Alan Greenspan "wird im Rückblick nicht gut aussehen", glaubt Soros. Und auch Nachfolger Ben Bernanke müsse Kritik auf sich nehmen, weil die Fed "ein bisschen am Steuer geschlafen" habe.
Wer soll denn der Krisenwächter sein?
Von einer konzertierten Aktion der Notenbanken ist jedenfalls ohnehin nichts zu spüren - denn die Europäische Zentralbank (EZB) wird erst mal stillhalten und die drastische Zinssenkung der Fed nicht nachmachen. EZB-Präsident Jean-Claude Trichet fände das noch zu früh: Man müsse erst sehen, was die Konjunktur mache, sagte er in Brüssel. Noch rechne er mit robusten zwei Prozent Wachstum im Euro-Raum.
In Davos gab es Kritik von Finanzmanagern an dieser Haltung: Jetzt sei doch ein Schulterschluss von Europa und USA gefragt. Andere riefen nach einer Reform des Internationalen Währungsfonds (IWF): Er solle zu einem globalen Warnsystem weiterentwickelt werden. Doch auch daran glauben nicht viele: "Das wird doch seit Jahrzehnten gefordert", sagt Marc Uzan, der Leiter des Thinktanks "Reinventing Bretton Woods Committee". Ob Krisen in Asien, in Mexiko, in Russland, immer werde nach einem Warnsystem gerufen - aber noch immer arbeiteten Finanz-Aufsichtsbehörden wie die deutsche Bafin im nationalen Alleingang.
Worauf sich beim "World Economic Brainstorming" alle einigen können: Mehr Kooperation zwischen Staaten wäre ein Anfang, um solche Krisen leichter in den Griff zu bekommen. Und doch weiß jeder, dass die Realität anders aussieht - gerade in der größten Volkswirtschaft der Welt, den USA, wird gern im Alleingang entschieden.
Nicht nur Präsidentschaftsbewerberin Hillary Clinton plädiert für eine Auszeit in der Doha-Runde der Welthandelsorganisation. Auch die Milliardenhilfen, mit denen ausländische Staatsfonds derzeit die angeschlagenen US-Investmentbanken päppeln, treiben schon einige Wahlkämpfer zu spitzen Bemerkungen über den Schutz vor fremdem Kapital.
"Wenn einer losrennt, laufen alle in die gleiche Richtung"
2008 sei wegen der Wahlen in den USA nicht gerade "ein großartiges Jahr", um langfristige Strategien für eine sinnvolle Finanzpolitik auszuarbeiten, sagt Henry Kissinger bei der Eröffnungspressekonferenz von Davos. Und JP-Morgan-Chef James Dimon bringt die Sache so auf den Punkt: Die Probleme seien so komplex, "das können Sie hier nicht so einfach weglösen".
Manche versuchen, der Krise mit Zweckoptimismus zu begegnen. RWE-Chef Jürgen Grossmann spottet, die Ereignisse der vergangenen Tage zeigten doch, "dass viele Kapitalmarktanleger sehr jung sind. Wenn einer losrennt, laufen alle in die gleiche Richtung". Die deutsche Wirtschaft sei doch gut aufgestellt, da habe sich auch in den vergangenen Tagen nichts geändert.
Ähnliche Durchhalteparolen verkündet China-Mobile-Chef Wang Jianzhou für sein Land. Sicher, die chinesischen Börsen seien enger mit dem internationalen Finanzsystem verstrickt als früher, und auch der Export würde unter einer US-Rezession heftig leiden. "Aber ich bin sehr optimistisch für die chinesische Wirtschaft."
Dann muss er weg. Für die Frage nach den drohenden gigantischen Abschreibungen, die offenbar auch der Bank of China wegen risikoreicher Subprime-Geschäfte drohen, bleibt keine Zeit mehr.