Weniger Geld, mehr Arbeit
Kürzere Arbeitszeiten und längerer Urlaub, warnt Bundeskanzler Helmut Kohl, bringe »die Wettbewerbsfähigkeit in Gefahr«. Und die Bundesbank rät zur »Reduzierung des Lohnkostendrucks«.
In der tiefsten Krise der Nachkriegszeit versucht die deutsche Industrie, diesem Ratschlag zu folgen. Überall im Lande werden - nicht ganz freiwillig - Vereinbarungen zwischen Firmenleitungen und Betriebsräten getroffen, um Kosten zu senken und die Betriebe wettbewerbsfähiger zu machen.
Die Belegschaften sollen auf Lohnerhöhungen, Weihnachtsgeld, Fahrtkostenzuschüsse und andere Zahlungen verzichten, die ihnen im Boom zugestanden wurden; oder sie sollen sich zu längeren Arbeitszeiten verpflichten, um den eigenen Arbeitsplatz zu sichern.
Den spektakulären Auftakt dazu bildete die Sparaktion bei der angeschlagenen Lufthansa. Die beiden zuständigen Gewerkschaften, ÖTV und DAG, stimmten einem Sanierungstarifvertrag zu. Danach wird es für die rund 50 000 Lufthansa-Beschäftigten ein Jahr lang keine Einkommenserhöhungen geben. Die Anfangsgehälter für neue Mitarbeiter werden um bis zu 25 Prozent abgesenkt.
Ist die Existenz des Unternehmens bedroht, sind viele Betriebsräte und Gewerkschaften zu Zugeständnissen bereit, selbst wenn die Ursachen der Schwierigkeiten keineswegs in den hohen Lohn- und Lohnnebenkosten liegen, sondern im Mißmanagement der Führungsetage. Beispiele gibt es viele.
Die Mannheimer BASF Magnetics GmbH, die Tonbänder, Videobänder und Computerbandcassetten herstellt, ist durch jahrelange Fehlentscheidungen ihrer Führungskräfte in die Krise geschlittert. Doch als das Überleben der Firma bedroht war, verzichtete die Belegschaft in einem »Solidarvertrag« auf Teile ihres Einkommens. Sie nahm eine Kürzung der Jahresprämien sowie eine Nullrunde bei den außertariflichen Angestellten hin und ließ sich die Lohnerhöhungen gegen die freiwilligen Zulagen aufrechnen.
Der Konzern verpflichtete sich im Gegenzug, die verlustträchtige Tochter bis Ende 1995 weiterzuführen. Der Sanierungsversuch ist allerdings an die Bedingung gekoppelt, daß die Firma von 1994 an zumindest ein annähernd ausgeglichenes Ergebnis erwirtschaftet. Bleiben die Verluste hoch, wird das Unternehmen - trotz Lohnverzicht - geschlossen.
Hauptverantwortlich für hohe Lohnkosten sind oft die Unternehmensleitungen selbst. In Zeiten harten Wettbewerbs um qualifizierte Arbeitnehmer boten sie eine ganze Reihe übertariflicher Leistungen. Zusätzlich zu Lohnkosten von 100 Mark zahlen deutsche Industrieunternehmen im Durchschnitt 37 Mark gesetzlich festgeschriebene Zusatzkosten, etwa Beiträge für die Sozialversicherung, aber auch knapp 47 Mark für betriebliche Sozialleistungen wie Urlaubs- und Weihnachtsgeld, Boni und betriebliche Altersversorgung.
Die krisengeschüttelte Sportwagenfirma Porsche überweist ihren Beschäftigten mit die höchsten Löhne in der Automobilindustrie. Das Unternehmen benötigt für die Montage seiner Modelle, die kaum automatisiert ist, besonders fähige Arbeiter. Damit sie nicht zu den benachbarten Firmen Mercedes-Benz, Bosch oder Audi in Neckarsulm abwanderten, gibt Porsche seinen Mitarbeitern eben mehr.
Das ging gut, solange es der Firma gutging. Nachdem Porsche aber durch eine katastrophale Personal- und Modellpolitik tief in die Krise steuerte, sind alle Kosten eine enorme Belastung, auch die Lohnkosten.
Kurzfristig hilft es dem angeschlagenen Unternehmen, wenn es den Beschäftigten nur noch 55 Prozent eines Monatsgehalts als Weihnachtsgeld zahlt statt, wie bisher üblich, ein volles Gehalt. Das spart rund 20 Millionen Mark, reduziert aber die für dieses Jahr erwarteten Verluste von mindestens 240 Millionen Mark nur wenig. Aus der Krise helfen der Firma jedoch nur neue Modelle, deren Entwicklung der Vorstand und die zerstrittenen Familieneigentümer mehr als ein Jahrzehnt lang verschlafen haben.
Wieviel Luft sich ein Betrieb bei den Lohnkosten verschaffen kann, hängt von deren Anteil am gesamten Produktionsaufwand ab. In den hochautomatisierten Spinnereien und Webereien der Textilindustrie beispielsweise beträgt der Lohnanteil am Umsatz gerade mal 20 Prozent.
Deshalb zielen die Arbeitgeberforderungen auch nicht allein auf die Lohnhöhe, sondern zugleich auf die Arbeitszeit: In den Unternehmen verhandeln Betriebsräte und Geschäftsleitungen längst über Arbeitszeitmodelle, die eine längere Nutzung des teuren Maschinenparks erlauben. Bei Mercedes-Benz zum Beispiel ist für das Lkw-Werk in Wörth eine um zehn Prozent verlängerte Produktionszeit vereinbart worden.
Die Chefetage in Stuttgart drohte, den neuen leichten Lkw ansonsten beim tschechischen Hersteller Lias fertigen zu lassen. Dank längerer Montagezeiten werde die Produktion des Fahrzeugs nun, erklärt die Firmenleitung, nicht teurer als in der Tschechischen Republik.
Erstaunlich, daß sich die gewaltigen Differenzen - ein deutscher Arbeiter verdient rund 16mal soviel wie sein tschechischer Kollege - so leicht überbrücken lassen.
Oder hatte die Unternehmensleitung nur geblufft?