KONJUNKTUR Wesentliche Risiken
In den letzten zwei Wochen düste Otto Graf Lambsdorff durch drei Kontinente und guckte sich die Konjunktur an: in Amerika, in Saudi-Arabien und in Jugoslawien.
Anfängliche Zweifel waren rasch verflogen. »Das Schlimmste scheint hinter uns zu liegen«, faßte der Wirtschaftsminister seine Eindrücke zwischen dem Weltwirtschaftsgipfel von Williamsburg und der Welthandelskonferenz von Belgrad schließlich frohgemut zusammen. Die weltweite wirtschaftliche Erholung, meinte Lambsdorff, berechtige zu »vorsichtigem Optimismus«.
Wohl kaum. Während Lambsdorff dem Volk noch unverdrossen gute Laune einlöffelt, merken die Außenhandelskaufleute in den deutschen Unternehmen wenig von der vermeintlichen Wende der Weltkonjunktur. Im Gegenteil: Das Auslandsgeschäft wurde erheblich schwieriger, der Export ist eingebrochen.
Die Statistiker vermelden ungewohnte Minuszahlen. Im April sackte die Ausfuhr um 2,7 Milliarden Mark unter das Niveau vom Vorjahr, um 6,3 Milliarden unter den Stand vom März.
Auch die Bestellungen reißen ab. Im April gingen acht Prozent weniger Orders aus dem Ausland ein als vor einem Jahr (siehe Graphik).
MAN-Vorstand Wilfried Lochte klagt über »Ausfälle im Auslandsgeschäft«, Werner Schmidt, Vertriebsleiter bei VW, ortet »Marktwiderstände« außer Landes, und Egon Overbeck, Vorstandsvorsitzender bei Mannesmann, »wesentliche Risiken«.
Die Kaufschwäche durchzieht fast alle Märkte, sie gilt für Frankreich, Belgien oder Italien ebenso wie für Übersee. Im ersten Quartal fielen die Lieferungen nach Kanada um elf Prozent gegenüber dem ersten Quartal 1982, nach Australien um 29, nach Südafrika sogar um 38 Prozent.
Im Ostblock sieht es ähnlich aus. Die Polen drückten ihre Bezüge aus der Bundesrepublik noch mal um elf, die Ungarn um 30 und die Rumänen um 44 Prozent. Einzig die Sowjets nahmen für den Bau ihrer langen Gasleitung nach Sibirien mehr Ware ab.
Die bisher recht spendablen Opec-Staaten müssen beim Einkauf knausern. Allein im ersten Quartal verringerten die Länder des Ölkartells ihre Importe aus Deutschland um mehr als anderthalb Milliarden Mark.
Die schnelle Wende markiert das vorläufige Ende eines neuen deutschen Wunders. Drei Jahre lang war der Export die beste und zuletzt einzige Stütze der heimischen Konjunktur. Und diese Stütze bricht nun auch noch weg. Nur
das Auslandsgeschäft verhalf vielen Firmen beim Überleben in der Flaute. Dem Eifer der Außenhändler war es zu verdanken, daß die Defizite in der deutschen Leistungsbilanz weggebügelt wurden. 1982 kletterte der Exportüberschuß auf die Weltrekord-Marke von 51,3 Milliarden Mark.
All das schafften die Deutschen gegen einen globalen Trend. Denn der Welthandel schrumpfte seit geraumer Zeit bereits, nahezu sämtliche Staaten notierten Minusraten. Amerikaner und Japaner etwa büßten 1982 fast ein Zehntel ihres Exportgeschäfts ein. Doch die Deutschen legten nochmals zu.
Der Kölner Maschinenbau-Konzern Klöckner-Humboldt-Deutz etwa machte im vorigen Jahr 61 Prozent seiner Geschäfte in der Fremde, der Leverkusener Chemie-Riese Bayer 63 Prozent. Daimler-Benz aus Stuttgart führte 66 Prozent seiner Autos aus, und Bilfinger + Berger aus Mannheim erbrachte 73 Prozent seiner Bauleistung im Ausland.
Um so unangenehmer wirkt jetzt die Auftragsflaute, von der nahezu alle betroffen sind, die Hersteller von Personen- wie von Lastkraftwagen, von Werkzeug- wie von Druckmaschinen, von Chemikalien oder auch Textilien.
Eine einheitliche Erklärung für den Rutsch haben die Betroffenen nicht. »Wir wissen nur«, sagt Siemens-Chef Karlheinz Kaske, »daß die Zeiten schwierig sind und vorläufig nicht leichter werden.«
Der wirtschaftliche Stillstand in den Industrieländern, die sinkenden Einnahmen der Ölstaaten sowie die Zahlungsschwierigkeiten der Entwicklungsländer sind nach der wohl zutreffenden Erkenntnis des Siemens-Vorstands die Hauptursachen.
Recht haben aber wohl auch die Manager der Hoechst AG, die auf die Aufwertung der Mark verweisen. Wenngleich die deutsche Valuta gegenüber dem Dollar nach wie vor kraß unterbewertet ist (was deutsche Waren im Dollar-Raum verbilligt) - in Europa ging der Preisvorteil, den deutsche Exporteure mit einer zu schwach bewerteten Mark hatten, durch die Währungsneuordnung im März verloren.
Die Wirtschaftsforscher trugen bisher wenig dazu bei, Aufstieg und Fall der Exporte zu deuten. Stets schwanken die Wissenschaftler zwischen Wenn und Aber, Einerseits und Andererseits.
So hat das Berliner DIW-Institut, seltsam genug, jetzt eine »Erholung der Aufträge aus dem Ausland« entdeckt, die »vermutlich« schon bald zu einer Zunahme der Ausfuhr führen werde. Dem stehe »allerdings« eine weltweite Investitionsschwäche entgegen.
Das industrieeigene Kölner IW-Institut verbreitet den Glaubenssatz von einer »Weltwirtschaft im Aufwind«, in dessen »Sog« die deutsche Ausfuhr um ganze 0,5 Prozent »zulegen« werde.
Das Münchner Ifo-Institut putzte erst die bombige Stimmung der Unternehmer heraus ("Optimismus wächst") und verkündete einen Monat später das Gegenteil ("Optimismus wieder gedämpft"). In etlichen Branchen, so das jüngste Ifo-Urteil, habe sich die Auftragslage »verschlechtert«, die Exportaussicht »eingetrübt«. Manche Hersteller zeigten sich nun »deutlich verunsichert«. Die Forscher wohl auch.
Was auch immer die Ursachen für den Export-Rückgang bei den einzelnen Unternehmen sein mögen: Sie alle haben etwas damit zu tun, was Hans Günter Müller, der Vorstandsvorsitzende beim Anlagenbauer Demag in Duisburg, »die Verfolgung optimistischer Wunschvorstellungen« nennt.
Es ist der unbändige Glaube an ein grenzenloses Wachstum, wenn schon nicht mehr in der allzu kleinen Heimat, so doch in der großen weiten Welt.
Daß vielleicht auch das weltweite Wachstum auf Grenzen stößt, wollen die exportbesessenen Deutschen nicht fassen. Daß der jüngste Aufschwung nichts anderes ist als eine ganz normale Folge eines zuvor übersteigerten Aufschwungs, mögen sie nicht wahrhaben; und auf wessen Kosten sie eigentlich immer noch mehr exportieren wollen, können sie nicht sagen.
Die deutschen Unternehmen werfen mehr Ware auf den Weltmarkt als das doppelt so große Volk der Japaner, fast soviel wie die viermal so großen Vereinigten Staaten.
Nur ein Hundertstel der Erdbevölkerung bewohnt die Bundesrepublik. Mehr als ein Zehntel aller Exporte bestreiten diese Deutschen.
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WENDE IM EXPORTGESCHÄFT Veränderungen der Ausfuhr und der Auftragseingänge aus dem Ausland gegenüber dem Vorjahr in Prozent Warenausfuhr plus minus Jan. Febr. März Apr. Auslandsorders der Industrie plus minus Jan. Febr. März Apr.
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