GRUNDIG Wie auf dem Basar
Alain Gomez, Chef des französischen Konzerns Thomson-Brandt, hatte es eilig. Gleich nachdem er mit dem Fürther TV-Unternehmer Max Grundig einig war, flog der Staatsmanager noch am späten Abend mit Grundigs Privatjet nach Paris zurück.
Am nächsten Morgen, Freitag vorvergangener Woche, legte Gomez dem französischen Industrieminister Jean-Pierre Chevenement die Absichtserklärung vor, wonach Thomson 75 Prozent der Grundig-Anteile zum Preis von knapp einer Milliarde Mark übernehmen soll. Chevenement war einverstanden. Wenige Stunden später gab ein Pressesprecher den neuesten Coup des im Frühjahr verstaatlichten Unternehmens bekannt.
Anderntags feierten die Pariser Zeitungen die Akquisition des größten französischen Elektrokonzerns als eine historische Entscheidung, die ganz Europa unter der Führung Frankreichs vor der japanischen Elektronikflut rette.
In der Tat wird Thomson-Brandt, wenn die Franzosen die Grundig-Werke übernehmen, mit einem Schlag zum größten Anbieter von Fernseh- und Videogerät in Europa. Im Weltmaßstab wird das Unternehmen, das bislang mit 130 000 Mitarbeitern rund 16 Milliarden Mark umsetzt, dann an vierter Stelle S.120 hinter Philips und den Japanern Matsushita und Hitachi stehen.
Die weitverzweigte Unternehmensgruppe soll nach dem Willen der französischen Regierung mit einer Investitionshilfe von 20 Milliarden Mark innerhalb von fünf Jahren zum Kernstück der französischen Elektroindustrie ausgebaut werden.
Nachdem sich Thomson-Brandt durch Zukäufe in der Militärelektronik, im Telephongeschäft und im Hausgerätemarkt ausgedehnt hatte, stand seit Mitte der siebziger Jahre die Expansion bei der Unterhaltungselektronik an. Den Franzosen ging es auch in diesem Bereich von Anfang an darum, »eine Vormachtstellung zu erobern«.
Das Ziel war hoch gesteckt. Denn Thomson war auf dem internationalen TV-Markt ins Abseits geraten, weil die Regierung dem Konzern das nationale Secam-System für das Farbfernsehen aufgezwungen hatte; in den meisten anderen Ländern der Welt gilt das Pal-System. Gegen den Ansturm der japanischen Konkurrenz konnten sich die Franzosen nur mit Schutzzöllen und administrativen Hemmnissen schützen.
Ohne Zugriff auf deutsches oder japanisches Know-how, das wußten die Franzosen, würden sie ihr Ziel kaum erreichen können. Sie übernahmen deshalb zunächst kleinere Firmen wie Nordmende (1977) und Saba (1980) und erkauften sich damit einen Anteil von rund 20 Prozent am deutschen Fernsehmarkt.
Fehlendes Know-how erhielten die Franzosen auch, als sie vom kränkelnden AEG-Konzern die Ulmer Bildröhrenfabrik Videocolor und von dem Schwarzwälder Familienunternehmen Steidinger die größte europäische Plattenspielerfirma Dual übernahmen.
Bei Videocolor zum Beispiel hatten die Techniker eine Fernsehröhre entwickelt, die den bei Thomson gebauten Mattscheiben weit überlegen war. Nachdem die Ulmer Techniker auch die Thomson-Röhren verbessert hatten, wurde das deutsche Werk kurzerhand geschlossen. Thomson verlegte die Produktion nach Italien und Frankreich und speiste die Zulieferer des Ulmer Werks mit einer kargen Vergleichsquote ab.
Doch mit diesen vier eilig eingesammelten Firmen hatten die Franzosen noch nicht genug: Sie boten AEG-Chef Heinz Dürr Ende 1981 an, ihm die notleidende Tochterfirma Telefunken abzunehmen. Damit, so spekulierten die Franzosen, bekämen sie nicht nur eine der renommiertesten deutschen Marken, sondern auch das, was ihnen am meisten fehlte: eine leistungsfähige Grundlagenforschung.
Diesmal pokerten Thomson-Manager jedoch zu hoch. AEG war nicht bereit, das von den Franzosen für die Telefunken-Übernahme geforderte Aufgeld zu zahlen. Statt dessen wurde Dürr handelseinig mit Max Grundig, den im Frühjahr dieses Jahres die Angst umtrieb, sein »Lebenswerk« könnte durch die japanische Konkurrenz »in Frage gestellt werden«.
Zusammen mit Telefunken und zwei oder drei anderen Firmen, so die Vision des 74jährigen Fürther Unternehmers, müßte unter Grundigs Führung ein »europäisches Bollwerk gegen die Japaner« errichtet werden.
Um den Euroverbund möglichst rasch verwirklichen zu können, schickte Grundig seinen Vertrauten, den Ex-Bankier Ludwig Poullain, zu geheimen Verhandlungen mit Bosch, ITT, Philips und Thomson-Brandt, die sich den ganzen Sommer über hinzogen.
Bei den deutschen Wunschpartnern, wo Poullain zuerst anklopfte, stieß er sofort auf Widerstand. Bosch-Blaupunkt und die deutschen ITT-Statthalter waren lediglich an Kooperationen, nicht jedoch an einem Verbund unter der von Grundig gewünschten Vorherrschaft interessiert. Ihnen gefiel auch nicht, daß Grundig immer wieder darauf bestand, Thomson-Brandt müsse in den Euroverbund mit einbezogen werden.
Als Grundig schließlich merkte, daß auch die Franzosen seine Vorstellungen nicht teilten, entschloß er sich, ganz aus seiner Firma auszusteigen. Die Zeit drängte. Die Japaner begannen nämlich im Sommer, ihre Überproduktionen an Videorekordern zu Schleuderpreisen auf den deutschen Markt zu drücken. Es zeichnete sich ab, daß Grundig auch im laufenden Geschäftsjahr - zum drittenmal - rote Zahlen schreiben würde.
Da besann sich Grundig auf seinen Partner Philips. Doch die Niederländer, die derzeit selbst nicht sehr liquide sind, waren allenfalls bereit, mit 51 Prozent bei Grundig einzusteigen. Und da sie ohnehin nicht so recht glauben mochten, daß Grundig wirklich aufgeben wollte, verschleppten sie die Verhandlungen. S.121
Nachdem klar war, daß von Philips und den Deutschen nicht mehr allzuviel zu erwarten war, steuerte Grundig auf eine Lösung mit den Franzosen hin. Ende Oktober waren sich Thomson-Chef Gomez und Grundig einig. Nur die Preisfrage war noch zu klären.
Anfang November kam Gomez mit seinen Leuten nach Fürth und präsentierte Grundigs Finanzmanagern einen Fragebogen, mit dessen Hilfe die Franzosen einen angemessenen Preis für das Fürther Unternehmen ermitteln wollten. Doch damit kamen sie nicht weit.
»Hier geht es nicht um eine Schraubenfabrik«, schimpfte Poullain, als er das penible Rechenwerk der Franzosen sah, »sondern um eine strategische Kaufentscheidung mit europäischer Perspektive.« Anhaltspunkt für den Kaufpreis könnten allein die 370 Millionen Mark sein, die Philips für seinen 24,5-Prozent-Anteil an Grundig gezahlt habe.
Diese Vorgabe indes schien die Franzosen nicht zu interessieren. Sie begannen, wie auf einem orientalischen Basar zu feilschen.
Statt der geforderten 1,1 Milliarden Mark boten sie lediglich die Hälfte. Als Grundig drohte, die Verhandlungen abzubrechen, erhöhte Gomez sein Angebot auf 75 Prozent der geforderten Summe. Schließlich legte er dann, als Grundig zögerte, noch einmal 100 Millionen Mark drauf. Grundig war einverstanden.
Der französische Staatskonzern, der seit zwei Jahren Verluste macht, hat nicht genug eigenes Geld, um den Neuerwerb bezahlen zu können. Doch das Geld kommt aus der Staatskasse.
Die neuen Partner einigten sich auch gleich noch, was mit der AEG-Tochter Telefunken geschehen soll. Grundig, so schlugen die Franzosen vor, solle 75 S.123 Prozent von Telefunken übernehmen; der Rest bleibt bei der AEG. Damit würden die Franzosen nicht nur in Fürth, sondern auch bei Telefunken in Hannover den Ton angeben.
Gomez drängte, die endgültigen Verträge bis zum 31. Januar zu unterschreiben. Er befürchtete offenbar, daß der sprunghafte Firmensenior sich alles noch einmal anders überlegen könnte. Am Ende akzeptierten die Franzosen aber den 31. März. Diesen Termin hatte Poullain vorgeschlagen. Er kalkuliert, daß es nach dem 6. März eine absolute Unionsmehrheit gibt und ein CDU-Wirtschaftsminister die kartellrechtliche Ausnahmegenehmigung für den Kauf erteilt.
Um ihren Coup aber schon vorher abzusichern, zogen die Franzosen das Geschäft sogleich auf die höchste politische Ebene. Das Industrieministerium in Paris erklärte den Aufkauf kurzerhand zu »einem politischen Test« für die deutsch-französische Freundschaft. Staatspräsident Francois Mitterrand äußerte in einem Brief an Bundeskanzler Helmut Kohl die Hoffnung, daß die deutsche Regierung auf alle Fälle den Handel unterstützen werde.
Dabei übersehen die Franzosen, die fast täglich über ihre Botschaft in Bonn Druck machen, daß der Bundeswirtschaftsminister erst entscheiden kann, wenn das Bundeskartellamt die Fusion abgelehnt hat. Er kann keineswegs vorher die Minister-Erlaubnis geben.
Und ob er es überhaupt kann, ist fraglich. Nach Ansicht des Branchendienstes »markt intern« kämen die Verträge mit den Franzosen einem »Ausverkauf nationaler Interessen« gleich.
Daß die Fusion Arbeitsplätze in Deutschland sichert, behauptet nicht einmal mehr Max Grundig. Sie sichere allenfalls, so der Firmenchef in einem Brief an seine Belegschaft, Jobs »in der europäischen Unterhaltungselektronik«.
Was auf diesem Feld geschieht, würde künftig jedoch vor allem in Paris bestimmt. Die dort mitregierenden Kommunisten haben bereits erkennen lassen, wie das dann für die Arbeitnehmer in Grundig- oder Telefunken-Werken aussähe.
Die Operation Grundig, so »l'Humanite«, die Parteizeitung der Kommunisten, werde mit öffentlichen Mitteln finanziert. Der Erwerb großer Marktanteile in Europa müsse deshalb vorrangig dazu dienen, Arbeitsplätze in Frankreich zu sichern. Ein französischer Staatskonzern, so die »Humanite«, habe schließlich »nicht die gleiche Aufgabe wie ein westdeutscher Kapitalist«, nämlich »immer mehr aus Deutschland nach Frankreich zu exportieren«.