ARBEITGEBER-FONDS Wie die Gewerkschaften
Der Hauptvorstand der Industriegewerkschaft Bergbau beriet in der vergangenen Woche emsig darüber, ob die Gewerkschaft in den nächsten Tagen alle Bergarbeiter zum Streik aufrufen soll.
Anlaß dieser Überlegungen war nicht etwa der Wunsch nach höheren Löhnen oder kürzerer Arbeitszeit, sondern die Tatsache, daß der Unternehmensverband Ruhrbergbau seine Mitgliedfirmen aufgefordert hat, Beträge in einen sogenannten Solidaritätsfonds der Arbeitgeber zu zahlen. Jede Zechengesellschaft an Rhein und Ruhr muß für jede Tonne Kohle, die im Laufe dieses Jahres gefördert wurde, fünf Pfennig entrichten. Aus den Pfennigbeträgen soll ein Kapital von sechs Millionen Mark gebildet werden, über dessen Verwendung man zunächst schwieg.
Die Sammelaktion war bereits am 18. September in einer Mitgliederversammlung des Unternehmensverbandes Ruhrbergbau beschlossen worden. Zwar sollte möglichst unauffällig gesammelt werden, aber Mitte Oktober hatte der Vorsitzende der Industriegewerkschaft Bergbau, Heinrich Gutermuth, den Millionenfonds bereits gewittert. Offenbar hatten ihn die Arbeitsdirektoren der Zechen - die meisten sind arrivierte Gewerkschaftsfunktionäre - orientiert.
Obwohl man anfangs in der Zentrale der Bergarbeitergewerkschaft nicht genau wußte, welchen Zwecken die sechs Millionen Mark dienen sollen, protestierte Gutermuths Gewerkschaftsorgan »Die Bergbauindustrie« aufs Geratewohl: »Dieser Fonds ist eine ungeheuerliche Provokation der Arbeiter- und Angestelltenschaft im Bergbau und darüber hinaus in ganz Deutschland. Wenn es um Lohn- und Gedingefragen geht, dann wird nicht um fünf, sondern um einen Pfennig gefeilscht. Hier bei diesen Vorgängen spielen sechs Millionen überhaupt keine Rolle.«
Gutermuth argwöhnte, daß der Solidaritätsfonds des Bergbaus dazu beitragen soll, die Wahlpropaganda für Adenauers dritte Thronbesteigung im nächsten Jahr zu finanzieren. Die Ruhrindustrie falle in ihre alten Sünden zurück, war in der Bergarbeiterzeitung zu lesen. Vor 25 Jahren hätten der ehemalige Vorsitzende des Rheinisch-Westfälischen Kohlensyndikats, Kirdorf, und der Aufsichtsratsvorsitzende der Vereinigten Stahlwerke, Thyssen, Industriegelder gesammelt, um Hitler zur Macht zu verhelfen. Jetzt wolle man die Partei stützen, die »den Managern und Besitzerkreisen steigende Profite garantiert«.
»Wir warnen jene Kräfte ausdrücklich«, drohte das Bergarbeiterorgan, »künstlich am Leben erhaltene Vorstellungen weiter zu verfolgen. Wer diese Warnung mißachtet, darf sich nicht wundern, wenn es für ihn ein böses Erwachen gibt.«
Gutermuth ahnte aber gleich: »Das hat nicht der Wimmelmann von sich aus gemacht. Da sind andere Leute im Hintergrund.« Bergassessor a.D. Wimmeimann, der Vorsitzende des Unternehmensverbandes Ruhrbergbau, gestand dann auch - von soviel Vertrauen des Gewerkschaftsführers gerührt - am 19. Oktober während des »Steinkohlentages« in Essen, daß er und sein Verband nur eine Anordnung des Vorstandes der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände e.V. ausführen. Schon vor einiger Zeit haben nämlich die 38 Vorstandsmitglieder dieses Spitzenverbandes der Arbeitgeber unter dem Vorsitz des Generaldirektors Dr. Hans-Constantin Paulssen beschlossen, für jeden einzelnen westdeutschen Wirtschaftszweig einen sogenannten Solidaritätsfonds zu bilden. Die einzelnen Arbeitgeberverbände sollen sich -mit den Solidaritätsfonds im Rücken - in kritischen Situationen zu Gefahrengemeinschaften zusammenschließen und den Gewerkschaften die Zähne zeigen.
Solche auf Industriefonds gestützten Schutz- und Trutzbündnisse waren vor 1933 durchaus üblich, wurden aber im »Dritten Reich« abgeschafft und kehrten nach dem zweiten Weltkrieg zunächst nur in bescheidenem Rahmen wieder. Erst in den letzten Monaten festigte sich in der Zentrale der Arbeitgeberverbände die Ansicht, daß es an der Zeit sei, eine Arbeitgeber-Schutzgemeinschaft großen Stils mit starkem finanziellem Rückhalt zu schaffen.
In der gesamten Industrie wird im Lauf der nächsten Jahre die Arbeitszeit verkürzt werden - eine Entwicklung, die bereits im Gange ist und zweifellos zu Preiserhöhungen führen wird. Nach dem Bergbau hat die Eisen- und Stahlindustrie ebenfalls einen höheren Preis für ihre Produkte durchgesetzt. Die Folgen werden sich sehr bald bemerkbar machen. Der Generaldirektor des Volkswagenwerks, Nordhoff, erklärte bereits, daß Rückwirkungen auf die Preise der Automobil-Industrie unausbleiblich seien.
Deshalb forderte der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Fritz Berg, vor kurzem auf dem Lederfabrikantentag in Heidelberg, die Industrie dürfe sich künftig nicht mehr mit den Gewerkschaften zu einem Lohn-Preis-Kartell zusammenfinden, was in letzter Zeit immer häufiger geschehen sei.
Freilich sei die Einigung auf Kosten der Verbraucher der bequemste Weg, weil die Verbraucher nicht wie die Gewerkschaften streiken können und die Auswirkungen überspitzter Lohnsteigerungen erst spüren, wenn die Preise nachziehen. Aber gerade darum sei es jetzt höchste Zeit, betonte Berg, »daß die Unternehmer auch einmal nein sagen«. Deshalb der Solidaritätsfonds.
Finanzkräftige Industriegruppen haben schon vor längerer Zeit Streik-Durchhaltekonten bei den Großbanken eingerichtet. Die Arbeitgeberverbände der Metallindustrie, der Textilindustrie und der chemischen Industrie schlossen sich zu einer starken »Schutzgemeinschaft« zusammen, die über Millionenbeträge verfügt.
Jetzt drängt die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände darauf, daß auch die weniger gut verdienenden Unternehmergruppen in die gemeinsame Abwehrfront einschwenken. Gerade diese schwachen Verbände und die kleinen Fabrikanten der weniger gewinnträchtigen Branchen haben es den Gewerkschaften bisher leicht gemacht, ihre Forderungen durchzusetzen..
Die Solidaritätsfonds sollen in erster Linie dazu dienen, so sagt die Arbeitgeberzentrale, die schwachen, nachgiebigen Unternehmer bei Arbeitskämpfen finanziell zu stützen. Da die Betriebe bei Streiks keine Löhne zu zahlen brauchen, genügt es, ihnen die laufenden Kosten (Steuern, Mieten, Lagerkosten usw.) zu ersetzen. Deshalb brauchen die Fonds auch nicht so stark aufgefüllt zu werden wie etwa die Streikkassen der Gewerkschaften. Der Unternehmensverband Ruhrbergbau glaubt, mit sechs Millionen Mark auszukommen. Die Industriegewerkschaft Bergbau verfügt dagegen über einen Streikfonds von etwa 40 Millionen Mark, aus dem im Streikfall die Bergarbeiter Unterstützung erhalten. Bergarbeiterchef Gutermuth drohte am Wochenende kurzentschlossen, von seinem Fonds Gebrauch zu machen und alle Kumpel zum Streik aufzurufen, wenn der Unternehmensverband Ruhrbergbau seinen Solidaritätsfonds tatsächlich schaffe. Der Hauptvorstand der IG Bergbau hat sich die Vollmacht, einen politisch motivierten Streik auch ohne die sonst übliche Urabstimmung auszurufen, bereits von der fünften ordentlichen Generalversammlung 1955 in Kassel geben lassen. Danach ist jeder Kumpel verpflichtet, sofort die Arbeit niederzulegen, wenn sein Hauptvorstand erklärt: »Kollegen, die Demokratie ist in Gefahr. Wir müssen sie durch einen Streik retten.«
Der Unternehmensverband Ruhrbergbau will trotz Gutermuths Streikdrohung jetzt damit beginnen, die sechs Millionen Mark für den Solidaritätsfonds zu kassieren.
Unternehmervertreter Wimmelmann
Ein Solidaritätsfonds der Industrie..
Gewerkschaftsführer Gutermuth
... gegen den Streikfonds der Arbeitnehmer