STEUERHINTERZIEHUNG Wie die Vandalen
Das kalte Büfett war gediegen, und auch was zuvor verabreicht wurde, hatte es in sich: Von »Stabilisierung unternehmerischer Aktivität« war da die Rede, von »Bildung und Sicherung leistungsbezogenen Vermögens«.
Sogar ein leibhaftiger Professor, der Saarbrücker Steuerexperte Günter Wöhe, war aufgeboten, als der Möbeleinkaufsverband Interwar in der Kunsthalle Basel sein zehnjähriges Jubiläum feierte,
Brav lauschten die Möbelhändler, ausnahmslos aus der Bundesrepublik angereiste Kaufleute, dem Vortrag des Gelehrten. Erst als er auf den »Nachteil des marktwirtschaftlichen Systems, die Unterschiede in der Einkommens- und Vermögensverteilung« zu sprechen kam, flaute das Interesse deutlich ab. Denn in dieser Frage hatten sich die Interwar-Mitglieder längst ihre eigenen Gedanken gemacht.
Mit steuerrechtlich zweifelhaften Firmengründungen und Vertragskonstruktionen sorgten sie dafür, daß die Marktwirtschaft ihnen ausschließlich Vorteile verschaffte.
Ihre Grundidee war denkbar einfach: Sie ließen sich jene Provisionen, die deutsche Lieferanten ihnen für ihre Einkäufe zahlten -- im Schnitt vier Prozent der Kaufsumme -- an ihre Interwar, Vaduz, überweisen, In der Liechtensteiner Briefkastenfirma wurden die Eingänge gesammelt, als Gewinn der unauffälligen Gesellschaft verbucht, vom Vaduzer Finanzamt mit einem Prozent versteuert und an die Inmobfin GmbH in Basel abgeführt.
Gesellschafter dieser Firma, die sich in Basels Falknerstraße 9 zwei Büroräume angemietet hatte, waren just jene Möbelhändler, die sich schon in der Interwar zusammengefunden hatten. Als Inmobfin-Teilhaber hatten sie Anspruch auf Bargeld: Die Inmobfin verteilte die über Interwar eingegangenen Provisionen -- nach Abzug der Geschäftskosten -- an ihre Gesellschafter, gestaffelt nach den Umsätzen, auf die Provisionen gezahlt waren.
Genauer: Jeder Händler bekam den Bonus, den er mit seinem deutschen Lieferanten vereinbart hatte, auf dem Umweg über Liechtenstein schließlich auf Schweizer Konten, nahezu steuerfrei, gutgeschrieben.
Immerhin zwölf Jahre brauchten Westdeutschlands Finanzbeamte und Steuerfahnder, um diese Schleichwege auszukundschaften. Dann schlugen sie zu. Am 13. Januar 1976, Punkt neun Uhr, schwärmten im ganzen Bundesgebiet Steuerfahnder aus, um den Inmobfin-Klub doch noch abzufangen. Mehrere hundert Beamte stürmten zum verabredeten Zeitpunkt in die Geschäftsräume und Wohnungen von über 40 Möbelhändlern, im württembergischen Aalen wie im oberbayrischen Rosenheim, in Bremerhaven und Trier, in Fürth und Bielefeld.
Die Fahnder besetzten Vorder- und Rückeingänge, sie nahmen die Geschäftsführer zur Befragung beiseite und belehrten das Personal, daß Telephonate und der Gang zum WC nur in dringenden Fällen -- und dann unter Aufsicht -- erlaubt seien.
Dann mußten die Geschäftsführer Schränke und Schreibtische öffnen. Die Beamten sichteten ganze Berge von Aktenordnern und losen Belegen. Sie suchten in Kellern und auf Böden nach Verdächtigem, klopften Wände nach Geheimkammern ab. Kistenweise wurden Geschäftsunterlagen in bereitstehende Wagen geschleppt.
»Die haben gewütet wie die Vandalen«, klagte einer der ehrbaren Kaufleute im Münchner Branchenblatt »Inside«. »,Fast kriminelle Methoden« sah ein anderer in der Arbeitswut der Rechercheure.
Der Münchner Staatsanwalt Wolfgang Todd hatte die großangelegte Staatsaktion sorgsam geplant. Laut Fahndungsbefehl besteht Verdacht, daß die gefilzten Möbelhändler sich der »fortgesetzten Einkommen- und Gewerbesteuerhinterziehung schuldig gemacht« haben. »Die Ermittlungen lassen den Schluß zu, daß die Inmobfin GmbH ausschließlich zu dem Zweck gegründet wurde, die Boni-Erlöse der Interwar steuerfrei den inländischen Möbelhändlern zufließen zu lassen.«
Die Interwar, argwöhnen die Beamten, sei eigentlich gar »nicht im Ausland, sondern im Inland tätig« gewesen. Mithin müßten die Firma und ihre Gesellschafter ihre Umsätze, Gewinne und ihr Vermögen auch nach den harten westdeutschen Tarifen versteuern.
Können die Fahnder diesen Verdacht erhärten, steht es schlecht um den Händler-Klub. Dann nämlich müßten die Provisionäre nicht nur mit Steuernachzahlungen, sondern auch mit empfindlichen Strafen rechnen.
In besseren Tagen hatte alles reibungsloser funktioniert. Im Sommer, rechtzeitig zur Urlaubsreise, traf sich die Inmobfin-Gemeinde in der Schweiz zur Jahresversammlung -- und zum Kassieren. Kaum ein Händler, der nach den Ermittlungen der staatlichen Rechercheure nicht Jahr für Jahr aus Basel mehr als 100 000 Mark mitnahm. Die Großen im Möbel-Geschäft -- wie Berthold Reuss aus Aalen in Württemberg -- zogen schon 1969 rund eine Viertelmillion an Provisionen aus ihrer Beteiligung in Vaduz und Basel.
Und mit steigenden Umsätzen in Deutschland wurde das Inkasso in der Schweiz immer lohnender. Möbelhäuser mit einem durchschnittlichen Jahresumsatz von 15 Millionen Mark brachten ihren Besitzern regelmäßig 200 000 bis 300 000 Mark steuerfreien Nebenverdienst ein.
Die Hunderttausende läpperten sich stets auf dieselbe Art zusammen. Der Lieferant zahlte die Provision auf den Einkaufswert -- rund 60 Prozent des Verkaufsumsatzes, also neun Millionen Mark bei 15 Millionen Umsatz. Wenn von diesen neun Millionen etwa sieben über die Interwar liefen, so konnte der Händler -- bei vier Prozent Provision -mit rund 280 000 Mark rechnen.
Rätselhafte Dokumente brachten die Steuerfahnder inzwischen auch auf den Verdacht, daß selbst diese stattlichen Einkünfte einzelnen Interwar-Gesellschaftern zu bescheiden schienen. So geht etwa aus Bankbelegen hervor, daß ein Betrag von 24 662 Mark, den ein Möbelhändler für einen »Beratungsauftrag« der Interwar überwies, wenige Tage später wieder abgebucht wurde -- auf das Privatkonto desselben Möbelhändlers beim Schweizerischen Bankverein, Filiale Birsfelden.
Die Transaktion hätte für den deutschen Händler auch ohne den Rat der Interwar nur Vorteile. Er konnte das vermeintliche Beratungshonorar bei seinem deutschen Finanzamt steuermindernd als Betriebskosten absetzen, um dann kurz darauf den vollen Betrag in der fahndungssicheren Schweiz einzustreichen.
Ähnliche Vorteile ließen sich -- so vermuten die Rechercheure -- mit überhöhten oder fingierten Rechnungen der Interwar für das Drucken von Katalogen, das Vorbereiten von Messen oder das Zusammenstellen von Kollektionen herausholen. Stets hätten die Deutschen sowohl bei ihren persönlichen Einkommensteuern als auch an Körperschaftsteuern, die in ihrer Firma fällig waren, gespart.
Doch auch ohne derlei Aktivitäten lohnte sich für die Inmobfin-Gesellschafter eine Reise nach Basel. In manchen Jahren verteilte die brave Firma an ihre tüchtigsten Teilhaber bis zu fünf Millionen Mark -- zumeist in bar oder mit einem diskret überreichten Scheck.
»Was die dann mit dem Geld gemacht haben, brauchte die Geschäftsleitung nicht mehr zu interessieren«, meint Gustav Baumeister, von 1970 bis Ende 1974 Geschäftsführer des Firmen-Duos. Er schließt nicht aus, daß einzelne Herren damit ihre Nummernkonten in der Schweiz speisten oder die Banknotenbündel in ihren Reisetaschen daheim bei der Einkommensteuer-Erklärung vergaßen.
Derlei Vergeßlichkeit kam den Fiskus teuer zu stehen: Auf etwa 20 Millionen Mark schätzen die Fahnder den Einnahmeausfall der Staatskasse.