Deloitte-Studie Wie grüner Wasserstoff die Machtverhältnisse auf den globalen Energiemärkten verschiebt

Flüssiggasterminal in Wilhelmshaven
Foto: Michael Sohn / REUTERSFür die Wirtschaft bedeutet es eine Revolution: Bis Mitte des Jahrhunderts soll sie möglichst klimaneutral produzieren. Die große Transformation erfordert nicht nur den Einsatz von Strom aus Wind und Solarenergie. Viele Industrieprozesse brauchen Wasserstoff, etwa in der Herstellung von Stahl und Chemikalien. Auch Schwertransporte und Flugzeuge sollen auf die flüchtigen Moleküle angewiesen sein, die elektrolytisch aus erneuerbaren Energien gewonnen werden sollen.
Die Auswirkungen für die Energiemärkte auf der Welt werden dramatisch sein, genauso wie die Investitionen, die dafür getätigt werden müssen. Um die Produktion und den Transport von grünem Wasserstoff aufzubauen, sind bis Mitte des Jahrhunderts weltweit Ausgaben in Höhe von zehn Billionen Dollar erforderlich. Zu dem Schluss kommt eine Studie der Beratungsfirma Deloitte Sustainability & Climate.
Der dadurch entstehende Markt könnte jährlich Einnahmen von bis zu 285 Milliarden Dollar schaffen, prognostizieren die Berater. Allerdings werde der grüne Wasserstoff die »globale Machtbalance im Energiesektor verändern«, sagt Deloitte-Partner Bernhard Lorentz, Hauptautor der Studie »Eine Sicherheitspolitik für die globale Wasserstoffwirtschaft«. Die USA blieben die mächtigste Nation der Welt. Nordamerika dürfte sich nicht nur selbst mit grünem Wasserstoff versorgen, sondern könnte sogar zu der zweitgrößten Exportregion für den begehrten Stoff werden.
Die USA werden aber von China herausgefordert. Denn das Reich der Mitte, so schreiben die Deloitte-Berater, werde zum größten Produzenten von grünem Wasserstoff, zumindest, wenn es dem Land gelingt, die dafür wohl benötigten 1,8 Billionen Dollar an Investitionskosten zu mobilisieren. China werde aber einen so großen Bedarf an grünem Wasserstoff haben, dass es ihn auch importieren muss. Das Land wird deshalb auf den Handel mit dem Nahen Osten, Australien und den USA angewiesen sein.
Der Nahe Osten und Russland verlieren an Bedeutung
Gleichzeitig werde die Bedeutung Russlands und des Nahen Ostens abnehmen – beide Regionen sind bisher große Lieferanten von fossilen Energieträgern wie Erdöl und Gas. Russland habe zwar das Potenzial, große Mengen von grünem Wasserstoff herzustellen, nicht nur um von Importen unabhängig zu sein, sondern auch um große Mengen zu exportieren. »Als ein sogenannter Schurkenstaat ist es aber unwahrscheinlich, dass sie von diesen Vorteilen profitieren, insbesondere weil die westlichen Staaten ausreichend Alternativen zu russischem Wasserstoff haben werden«, schreiben die Deloitte-Experten.
Die geopolitischen Implikationen dieser Entwicklung sind riesig. Die Produktion von grünem Wasserstoff braucht neben Wind und Sonne große Flächen. Deshalb eigneten sich die USA, Lateinamerika, Nordafrika, Namibia oder Südafrika als Produktionsstätten, heißt es in der Analyse. Deutschland und Europa würden zwar auch selbst grünen Wasserstoff herstellen. Sie dürften allerdings mindestens die Hälfte des Energieträgers importieren, blieben aber vor allem Importeure. »Der globale Wettbewerb unter den Hauptimportnationen wird eine große Herausforderung für Europa darstellen«, warnen die Autoren der Studie.
Großes Potenzial für Nord- und Südafrika
Deshalb empfehlen die Autoren, rasch Energiepartnerschaften mit den größten Produktionsländern aufzubauen. Die Länder Nordafrikas sind dabei eigentlich ideal, weil sie sich nah an dem Kontinent befinden und ein gewaltiges Wasserstoffproduktionspotenzial besitzen. Das Gas könnte sogar direkt per Pipeline nach Europa kommen und müsste deshalb nicht erst aufwendig in Derivate wie Ammoniak umgewandelt und per Schiff antransportiert werden. Allerdings sieht Deloitte bei der Mehrheit der Staaten politische Probleme und Instabilität, was das Potenzial für Europa wiederum einschränkt. In dieser Hinsicht eigneten sich neben Lateinamerika insbesondere Namibia und Südafrika als Lieferanten. Die Beziehung, so empfehlen die Berater, sollte künftig anders sein als derzeit mit den Exportländern von Öl und Gas. Sie sollte zu einem »gegenseitigen Vorteil« sein und wirtschaftliche Entwicklungshilfe mit einschließen.
Allerdings drängt die Zeit. »China, die USA und Japan sind bereits dabei, die künftige Struktur einer globalen Lieferkette von grünem Wasserstoff und dazugehöriger Rohstoffe zu definieren«, schreiben die Deloitte-Leute. Europa müsse deshalb schleunigst ebenfalls seine Marktregime entwickeln, um seine Ziele in dem weltweiten Wettlauf zu erreichen. Für Deutschland haben die Deloitte-Manager vor allem einen Rat: schleunigst eine Strategie für Rohstoffe zu entwickeln.