Steuerflucht in Frankreich Schweizer Banker im Tarnkappen-Modus

UBS-Zentrale in Zürich: Illegale Anwerbung von Kunden in Frankreich
Foto: ARND WIEGMANN/ REUTERSSie sollen in Alltagskleidung aufgetreten sein. Sie sollen verschlüsselte Computer bei sich getragen haben, die sie über das Kartenspiel Patience freischalten konnten. Und sie sollen Begriffe als Codewörter benutzt haben, die sonst eher zum Jargon der Schweizer Milchbauern gehören. Ihr Arbeitgeber: die Schweizer Großbank UBS. Ihr mutmaßliches Verbrechen: illegale Anwerbung von Kunden in Frankreich.
Die französische Staatsanwaltschaft untersucht, ob Mitarbeiter der französischen UBS-Niederlassung ihren Kollegen in der Schweizer Zentrale dabei geholfen haben, vermögende Franzosen als Kunden zu gewinnen, die daraufhin keine Steuern mehr in Frankreich zahlten. Sie stehen im Verdacht, aktiv an einzelne Franzosen herangetreten zu sein, um sie zu einer Kontoeröffnung in der Schweiz zu bewegen. Nach französischen Gesetzen ist die Kundenakquise im Bankgeschäft in Frankreich ausschließlich französischen Kreditinstituten erlaubt.
Französischer UBS-Chef im tagelangen Verhör
Das "Wall Street Journal" hat in Interviews mit einem halben Dutzend ehemaliger UBS-Mitarbeiter - die meisten von ihnen wurden bereits richterlich befragt, ohne dass eine Anklage gegen sie erhoben wurde - aufgedeckt, wie es der Schweizer Bank im Einzelnen gelang, vermögende Franzosen abzuwerben.
Vor vier Jahren hatte sich die UBS bereits in den USA zu Fehlverhalten bekannt. Dort hatte sie Amerikanern bei der Steuerhinterziehung geholfen. Die Bank einigte sich mit den US-Strafverfolgern auf die Zahlung von 780 Millionen US-Dollar und nannte den amerikanischen Behörden die Namen von 4.500 US-Steuerpflichtigen mit Geheimkonten in der Schweiz, um einer strafrechtlichen Verfolgung zu entgehen.
Seit Freitag läuft nun in Frankreich ein Untersuchungsverfahren wegen mutmaßlicher Beihilfe zur illegalen Kundenakquise in Frankreich. Zuvor hatten die Ermittler den Chef der französischen UBS-Niederlassung, Jean-Frédéric de Leusse, in Paris den ganzen Tag lang verhört. Sie haben aber bislang keine Anklage gegen ihn erhoben.
Dominique Gerster, Sprecher der UBS in Zürich, bezeichnete die Entscheidung der französischen Justiz als "nicht überraschend". Sie müsse im Zusammenhang mit der laufenden Untersuchung gesehen werden. "Die UBS [France] SA wickelt ihre Geschäfte in voller Übereinstimmung mit den französischen Gesetzen und Vorschriften ab", versicherte er. Die französische Tochtergesellschaft werde nach Maßgabe der französischen Gesetze mit den Behörden zusammenarbeiten.
Frankreich geht massiv gegen Steuersünder vor, seit die Regierung unter dem sozialistischen Präsidenten François Hollande verzweifelt versucht, das Haushaltsdefizit einzugrenzen. Überdies brachte das Eingeständnis des früheren Finanzministers Jérôme Cahuzac im Frühjahr, auch er habe ein illegales Konto in der Schweiz unterhalten, die Regierung zusätzlich unter Druck, Steuerhinterziehung mit aller Härte zu verfolgen.
Die Behörden gehen nun der Frage nach, ob die Schweizer Bank ein System von Mittelsmännern aufgebaut hat. Diese sollen in den vergangenen zehn Jahren Investmentprodukte in Frankreich verkauft haben, die es Großverdienern erlaubten, Steuern zu vermeiden.
Anfang 2010 war die französische Bankenaufsicht Autorité de Contrôle Prudentiel auf mögliche illegale Geschäfte in der französischen UBS-Niederlassung aufmerksam geworden. Sie hatte mehrere anonyme Briefe bekommen, in denen genau beschrieben war, wie sich Banker der UBS in Frankreich und in der Schweiz gegenseitig Hinweise über vermögende potenzielle Kunden zuspielten. Das sagen zwei Personen, die mit der Sache vertraut sind.
Per Kartenspiel Zugang zu allen Daten bekommen
Die Bankenaufsicht nahm die Ermittlungen auf und alarmierte gleichzeitig die französischen Strafverfolger, die ihrerseits im März 2011 erste Nachforschungen anstellten. Sie starteten im April 2012 ein offizielles Untersuchungsverfahren gegen zwei frühere Manager der Bank und einen leitenden Mitarbeiter wegen Geldwäsche und Steuerhinterziehung. Auf eine Untersuchung gegen die Bank wegen des Vorwurfs der Geldwäsche verzichteten die Strafverfolger, machten die UBS allerdings zu einem Kronzeugen in dieser Angelegenheit. Derartigen Zeugen werden vertiefte Kenntnis in einer Strafsache zugemessen, sie bekommen Zugang zu den Gerichtsakten.
Wie ehemalige UBS-Mitarbeiter dem Wall Street Journal enthüllen, waren Schweizer UBS-Banker in den Jahren 2004 bis 2008 regelmäßig nach Frankreich gereist und hätten genauestens dafür gesorgt, nicht von den französischen Zollbehörden entdeckt zu werden. Sie seien in Alltagskleidung erschienen und hätten keinerlei UBS-Dokumente bei sich gehabt, erzählt ein ehemaliger Angestellter. Die Banker hätten außerdem verschlüsselte Computer bei sich gehabt, die bankintern als TAS bekannt waren - ein Akronym für "Travel Access Services" (Reisezugangsdienste).
"Wenn der Zoll die Computer geprüft hätte, hätte er nichts gefunden, vielleicht ein paar Fotos, etwas Musik", erzählt ein früherer Schweizer UBS-Mitarbeiter. Man hätte das Kartenspiel Patience auf dem Computer öffnen müssen, um "ein neues Programm zum Starten zu bringen". Die Banker hätten zwei Passwörter eingetippt und dafür auch einen tragbaren Passwortschlüssel benutzt - prompt seien alle Kundendaten auf dem Bildschirm erschienen, berichtet der Insider.
"Für den Fall, dass etwas schiefgehen würde, hatten wir noch ein anderes Passwort. Das hätte automatisch alle Daten auf dem Computer gelöscht", sagt der Insider.
In Paris hätten die Schweizer Banker meist in kleinen Hotels in der Nähe der Pariser UBS-Zentrale übernachtet. Sie trafen ihre Kunden in der Oper oder beim Tennisturnier Paris Open, bei Veranstaltungen, die die UBS selbst organisierte, erzählt Stéphanie Gibaud, die zwischen 1999 und 2012 in der Marketingabteilung der Bank arbeitete. Gibaud war eine der Mitarbeiterinnen, die in dem Verfahren als Zeugin aussagen musste. Gegen sie wurde keine Anklage erhoben.
Vertreter der Bank wollten sich zur mutmaßlichen Existenz von verschlüsselten Computern und ihren mutmaßlichen Gebrauch nicht äußern.
Die Fahnder haben auch Kunden der UBS in Frankreich überprüft. Einer davon ist Bernard Dal, der einen Investmentfonds leitet. Dal ist nach eigenen Angaben von den Ermittlern als Zeuge verhört worden, weil er ein nicht deklariertes Bankkonto in der Schweiz unterhält und auf Einladung der Bank an Golfveranstaltungen teilgenommen hat.
Der Whistleblower wurde gekündigt
Dal sagte, er habe im Namen seines Sohns ein UBS-Konto eröffnet, der in der Schweiz studiert hat. Er habe Geld auf dieses Konto überwiesen "und musste es nicht deklarieren".
Ehemalige Angestellte berichten auch, dass sich Banker der UBS in Frankreich und in der Schweiz gegenseitig belohnten, wenn sie sich über bestehende oder potenzielle Kunden ausgetauscht hätten. Diese Belohnungen wurden in Dateien festgehalten, die innerhalb der Bank als "carnets du lait", als "Milch-Hefte", bekannt waren - in Anspielung auf die Schweizer Milchbauern, die ihre Milchlieferungen ebenfalls in kleinen Heftchen eintragen. Das berichtet Nicolas Forissier, der zwischen 2001 und 2009 die interne Revision bei der französischen UBS leitete. Auch Forissier wurde als Zeuge in der Sache verhört, aber nicht angeklagt.
Nach Auskunft einer Person aus dem Umfeld der UBS führten einige UBS-Angestellten "Milch-Hefte", um festzuhalten, wieviel Provision sie jeweils gezahlt hatten. Diese Praxis sei aber rechtmäßig gewesen, fügt dieser Insider hinzu.
Chef-Revisor Forissier unterrichtete das Top-Management der Bank über das in Frankreich mutmaßlich herrschende System. Im November 2009 kündigte ihn UBS France. Später verklagte Forissier die Bank wegen unrechtmäßiger Aufhebung des Arbeitsverhältnisses und gewann: Die Bank wurde im Juni vergangenen Jahres verurteilt, Forissier rund 300.000 Euro zu zahlen. In der Urteilsschrift stand, dass sich Forissier "verpflichtet fühlte, das System anzuprangern". UBS France hat inzwischen Berufung eingelegt.
Originalartikel auf Wall Street Journal Deutschland