
Fotostrecke: Zahlen, so viel man mag
Alternatives Wirtschaften Bezahlen, so viel man will - warum das in einem Wiener Restaurant funktioniert
Über den Wiener Deewan wurde einmal geschrieben, es scheine "irgendwie nicht real" zu sein. Denn in dem pakistanischen Restaurant können die Gäste sich so oft am Büfett bedienen, wie sie mögen - und am Ende zahlen sie so viel, wie sie für angemessen halten. "Kostet, was ihr wollt", nennen Besitzer Natalie und Afzaal Deewan ihr Prinzip.
Die ungewöhnliche Geschäftsidee hat das Restaurant inzwischen ziemlich berühmt gemacht. Der Deewan war Gegenstand von gut einem Dutzend wissenschaftlicher Studien. Forscher haben hier das Bezahlverhalten von Konsumenten beobachtet, Abschlussarbeiten wurden über das Lokal geschrieben. Einige davon findet man im Netz (zum Beispiel hier und hier ).
Das Restaurant passt gut in die Zeit. Nachdenken über neue Formen des Wirtschaftens ist en vogue, manche reden über Enteignung, andere praktizieren das Teilen. Viele können mit Kapitalismus und Sozialismus in ihren jeweiligen Reinformen nicht mehr viel anfangen, sondern suchen nach Wegen, die ein nachhaltiges, ökologisches, gerechtes Wirtschaften ermöglichen - ohne Kreativität und Fortschritt zu hemmen.
Besonders großzügig sind die Gäste nicht
Hat das Deewan solch einen Weg gefunden? Und falls ja: Wie kann das überhaupt funktionieren?
Dass die Rechnung offenbar aufgeht, bestätigt das Lokal durch seine langjährige Existenz: Seit bald 15 Jahren gibt es den Wiener Deewan im neunten Bezirk, zwischen Büros und nahe der Universität Wien. Was einst als Experiment begann, ist heute ein praxistaugliches Modell.
"Ich kann dieses Restaurant betreiben, die Lebensmittel, Miete, Strom, die Gehälter bezahlen und davon leben", sagt Afzaal Deewan, 54. Allerdings müsse er gut kalkulieren. "Ich kaufe die Zutaten zum Beispiel nicht im asiatischen Supermarkt, sondern die Gewürze und den Reis direkt beim Importeur und Gemüse und Fleisch bei den Erzeugern."
Natalie Deewan sagt: "Wir haben sehr viel Stammkundschaft." Im Schnitt zahlt jeder Gast zwischen 5,25 und 5,75 Euro pro Mahlzeit. "Das ist nicht viel, aber es reicht", sagt die 40-Jährige. Außer Leitungswasser, das kostenlos ist, gehen Getränke extra, aus steuerlichen Gründen. "Die machen bei uns aber nur drei Prozent des Umsatzes aus, daran verdienen wir also fast nichts."

Fotostrecke: Zahlen, so viel man mag
Selbst entscheiden, was einem das Essen wert ist: Das Ehepaar verlangt seinen Gästen mit diesem Prinzip einiges ab, darunter mittel- bis langfristiges Denken. Wer auch noch in einem Monat oder in einem Jahr hier essen möchte, solle dazu beitragen, dass das auch möglich sei, schreiben die Betreiber auf ihrer Webseite. Die Kellnerin müsse bezahlt, die Stromrechnung beglichen, gelegentlich das eine oder andere Gerät angeschafft, das Fleisch herbeigeschafft und der Boden gewischt werden. Zehn Vollzeitstellen gibt es, verteilt auf 14 Personen.
Ob das Modell funktioniert, steht und fällt also mit dem Publikum: Ob es mitdenkt und den Wunsch, möglichst ökonomisch einzukaufen, austariert mit der Verpflichtung, angemessen zu bezahlen und fair zu sein.
Verbraucher sind dazu offenbar durchaus fähig: Forscher fanden in dem Restaurant heraus, dass es Kunden nicht nur darum geht, den niedrigsten, sondern auch einen fairen Preis zu zahlen. Und dass bei der Selbstbestimmung des Preises auch das Gewissen eine Rolle spielt - vor allem, wenn andere mitbekommen, wie viel man zahlt.
"Am Ende müssen wir davon leben können"
Afzaal Dewan indes hatte mit seiner Idee Erfolg. Er war 2004 als Flüchtling in Österreich gestrandet. "Ich war eigentlich auf dem Weg nach London", erinnert er sich. In Wien lernte er Natalie kennen. Er blieb und verdingte sich zunächst als Aushilfskoch.
"Ich sollte für große Gruppen etwas zubereiten und bekam ein paar Hundert Euro für den Einkauf", erzählt er. Nachdem Linsen, Reis, Kartoffeln und andere Zutaten besorgt waren, habe er festgestellt, dass noch Geld übrig war. "Ich merkte, dass man mit relativ wenig Geld etwas zubereiten kann."
In ihrem Restaurant bieten die Deewans drei vegetarische Currys an, dazu zwei mit Fleisch, außerdem Reis, Fladenbrot, Salat, Soßen und zwei pakistanische Süßspeisen. Afzaal Deewan hatte schon lange von einem eigenen Gasthaus geträumt, in seiner Not als Asylbewerber wagte er den Schritt. Die Alternative wäre gewesen, nichts zu tun und auf den Asylbescheid zu warten.
600 Gäste pro Tag
Nach jahrelangen Streitereien mit den Behörden erhielt er eine Aufenthaltsgenehmigung. Auf das Bezahlmodell kam er, weil er feststellte, wie teuer das Essen in anderen Restaurants in Wien war. "Ich wollte keines, in dem ich sitze und warte, bis endlich Gäste kommen", erzählt er. "Und dann koche ich für zwei Leute." Ein soziales Projekt sei sein Lokal jedoch nicht, sondern ein Businessmodell. "Am Ende müssen wir davon leben können."
Das Lokal rechnet sich auch wegen der Menge an Leuten, die es aufsuchen: Derzeit, in den Sommer- und Semesterferien, kommen bis zu 300 Gäste täglich, ansonsten seien es mehr als doppelt so viele, sagt Deewan.
Im vergangenen Jahr hat er zwei weitere Restaurants in Wien eröffnet. Er denkt darüber nach, noch weiter zu expandieren. Und überall wird man so viel bezahlen dürfen, wie man will.
Zahlen manche Gäste auch gar nichts? Laut Natalie Deewan kommt das eher selten vor. Afzaal Deewan sagt, wenn jemand komme und sage, er habe Hunger, aber kein Geld, würde er ihn nicht abweisen.