Investitionen Willige Kräfte, billiges Land
Was macht es in dieser Gegend schon aus, wenn der Wirt eines bayerischen Restaurants Schwabe ist. In der amerikanischen Stadt Charlotte, wo der Reutlinger Bob Schweikert das »Bavarian Haus« betreibt, gibt es Ärgeres: Bei der Konkurrenz im »Rheinlandhaus« kocht ein Grieche.
Schweikerts Gasthaus liegt versteckt in einem gesichtslosen Einkaufszentrum dieser Wirtschaftsmetropole im US-Bundesstaat North Carolina. Es ist rustikal und schmiedeeisern eingerichtet wie die »Wienerwald«-Hähnchenbratereien in Europa. An der Wand hängt neben Schloß Neuschwanstein ein Poster der deutschen Fußballnationalmannschaft. Es gibt Dortmunder Bier vom Faß, Rostbratwurst und Wiener Schnitzel, und freitags abends wird Skat gespielt.
Gäste hat der Reutlinger jede Menge. Rund um die Industrie- und Bankenstadt gibt es mindestens 20 000 Deutsche, die mit ihren Firmen nach Übersee gezogen sind. Charlotte ist Boom-Town.
Gleich hinter der in der Nähe liegenden Grenze zu South Carolina sieht es auch nicht schlecht aus. Der Highway 85 zu dem 140 Kilometer entfernten Städtchen Spartanburg wird von den Amerikanern schon respektvoll »The Autobahn« genannt, weil links und rechts der Straße eine deutsche Firma neben der anderen Fabriken baute, deren Statthalter am Steuer gelegentlich die strengen amerikanischen Geschwindigkeitsbeschränkungen ignorieren.
Der Chemieriese Hoechst betreibt an dieser Piste eine Fabrik, Mercedes ist mit der Lastwagenfirma Freightliner vertreten, der Sportschuhverkäufer Adidas baute hier seine neue US-Zentrale, und etliche kleine deutsche Maschinenbauer haben sich am Highway 85 niedergelassen.
Am Kreuz der Fernstraßen 26 und 85 bei Spartanburg sind gewaltige Caterpillar-Maschinen gerade dabei, das nächste Gelände für eine deutsche Fabrik zu planieren - BMW will hier von Ende 1995 an jeden Tag etwa 300 Autos bauen. In Reichweite einer für Hitzenotfälle aufgestellten Mini-Ambulanz ziehen Arbeiter bei Bruttemperaturen von 40 Grad Celsius die ersten Betonträger für das 350 bis 400 Millionen Dollar teure Werk hoch.
In North Carolina sind mittlerweile 83 deutsche Firmen zu Hause, darunter alle drei Chemieriesen, der Baukonzern Philipp Holzmann, der Keksfabrikant Bahlsen und der Elektrokonzern Siemens. In South Carolina gibt es knapp 100 Fabriken. Die meisten davon liegen rund um das verschlafene Städtchen Spartanburg - und viele zeigen deutlich ihre Herkunft.
Auf dem Bürogebäude mitten in Spartanburg, in dem BMW provisorisch untergekommen ist, weht die schwarzrotgoldene Flagge. Der Unternehmer Jochen Menzel stellte sogar zwei grafittigeschmückte Platten der Berliner Mauer am Highway vor seiner Textilmaschinenfabrik auf.
Unverkennbar lieben gerade die Deutschen diesen entlegenen Streifen Land. Der Name Spartanburg klingt plausibel: In der 44 000-Einwohner-Stadt gibt es weder ein Zentrum noch irgend etwas, das von der Arbeit ablenken könnte. Daß die New Yorker Metropolitan Opera einmal für einen Abend in diesem staubigen Fleckchen Station gemacht hat, wird von den emsigen Stadtvätern gern als Beleg dafür genommen, daß Spartanburg nicht mehr der verlängerte Rücken der USA ist.
Freimütig beschreibt Dieter Rathke, der seit 15 Jahren den US-Ableger des Frankfurter Baukonzerns Philipp Holzmann leitet, was deutsche Unternehmer an dieser Gegend so anziehend finden: »Es ist die Arbeitswilligkeit der Bevölkerung.« Und überdies »spielen Gewerkschaften nur eine untergeordnete Rolle«.
Die Arbeitslosigkeit liegt in South Carolina mit sieben Prozent etwa im US-Durchschnitt. Die Industriearbeiterstunde kostet nur 12 Dollar; in den Industriezentren des Nordens müßte das Doppelte gezahlt werden.
»South Carolina ist ein unternehmensfreundlicher Staat«, findet Paul Förster, ein ehemaliger Hoechst-Manager, der in Spartanburg hängenblieb. Der gebürtige Mecklenburger, inzwischen 65, hat es in Spartanburg zum Honorarkonsul der Bundesrepublik Deutschland gebracht. Er ist Berater des Gouverneurs und soll demnächst zum Präsidenten der örtlichen Handelskammer ernannt werden.
Natürlich war Förster auch dabei, als BMW über den Bau einer Autofabrik in South Carolina verhandelte. Sein Urteil über die fleißigen Amerikaner übermittelte er dem von deutschen Gewerkschaften frustrierten damaligen BMW-Chef Eberhard von Kuenheim in freundlichem Englisch: »They are willing to give a day's work for a day's pay.« Auf deutsch hätte das gröber geklungen: Die tun, was von ihnen verlangt wird.
Kuenheim entschied sich für Spartanburg und handelte sich prompt massive Kritik der amerikanischen Gewerkschaften ein. Die Münchner, so hieß es, behandelten die USA wie ein Land der Dritten Welt. Kuenheim wies das empört zurück.
In den meisten Nordstaaten muß jeder Arbeiter Mitglied einer Gewerkschaft sein, wenn er einen Job will. Carolina dagegen hat wie die meisten Südstaaten der USA in der Verfassung ein Recht auf Arbeit festgeschrieben. Hier darf jeder arbeiten, ob er organisiert ist oder nicht. Nur etwa zwei Prozent der Arbeitnehmer sind Gewerkschaftsmitglieder.
Die Wirtschaftsförderer in Carolina scheinen auch aus diesem Grund wenig Interesse zu zeigen, Ableger der Autokonzerne von Detroit ins Land zu holen. Die Firmen aus dem Norden, so fürchten die Südstaatler, würden ihre Gewerkschaften in den Süden einschleppen.
»Wir holen nur Fabriken, die wir wollen«, sagt Wayne Sterling, der in South Carolinas Regierung für die Wirtschaftsentwicklung verantwortlich ist.
Von den Germans können die Politiker um den Gouverneur Carroll Campbell gar nicht genug bekommen, und sie machen sich große Hoffnungen, demnächst einen weiteren deutschen Autohersteller begrüßen zu können.
Der Daimler-Benz-Konzern, der in den USA nach einem Standort für eine Geländewagenfabrik sucht, wäre nach Sterlings Meinung »eine wundervolle Ergänzung für unsere Wirtschaft«. Die Stuttgarter Autobauer wollen Ende September entscheiden, Standorte in North und South Carolina sind in der engeren Wahl.
Wie nett dieser Staat mit ausländischen Unternehmen umgeht, könnten BMW-Manager den Stuttgartern ausführlich beschreiben. Der langjährige Konzernchef und heutige Aufsichtsratsvorsitzende Kuenheim redet aber nicht gern darüber, was er an Carolina so anziehend findet.
Den BMW-Managern, die geschickt parallel mit dem US-Bundesstaat Nebraska verhandelten, wurden Steuervergünstigungen zugesagt; sie bekamen das an Autobahn, Flughafen und Eisenbahn angeschlossene Riesengrundstück praktisch geschenkt. Das Carolina-Präsent addiert sich für BMW auf mindestens 130 Millionen Dollar.
Das Wichtigste aber war für Kuenheim, daß South Carolina komplett die Kosten für die Ausbildung der Arbeitskräfte übernimmt. Kuenheim, der im Mai in den Aufsichtsrat umstieg, war klar: Nur mit gut geschultem Personal kann er den Fehler vermeiden, den einst Volkswagen machte.
Die Wolfsburger hatten Ende der Siebziger mit einem eigenen Autowerk in Westmoreland (Bundesstaat Pennsylvania) einen Totalschaden erlitten. Die Qualität der dort gebauten Golf-Autos hatte nicht einmal den bescheidenen Verarbeitungsansprüchen der amerikanischen Autokäufer genügt. Das Werk mußte geschlossen werden.
Solche Risiken sieht Kuenheim nicht. Ihn hat vor allem beeindruckt, daß sein wichtigster Zulieferer Bosch das scheinbar Unmögliche geschafft hat: Die Stuttgarter bauen seit fast 20 Jahren Einspritzpumpen und ABS-Systeme für die amerikanische, japanische und deutsche Autoindustrie in South Carolina; Klagen über mangelnde Qualität gab es nicht.
Die Bosch-Fabrik in der Hafenstadt Charleston, die 2000 Menschen beschäftigt, ist ebenso groß, so modern und so blitzblank wie ein Bosch-Werk in Stuttgart-Feuerbach. Der sichtbare Unterschied ist allenfalls, daß in South Carolina viele Arbeiter schwarz sind. Anders als in Deutschland ist aber auch, daß die Beschäftigten hier nur 10 bis 15 Tage Urlaub machen.
Da müssen sich deutsche Führungskräfte umstellen, die in der Regel die amerikanischen Tochterfirmen leiten. Wer hier seinen Beschäftigten als gutes Vorbild dienen will, kann es sich nicht leisten, die von zu Hause gewohnten sechs bis sieben Wochen Jahresurlaub auszuschöpfen.
Die 70 deutschen Manager und Techniker, die BMW für Spitzenpositionen nach Spartanburg bringen will, werden sich nicht nur an weniger Urlaub gewöhnen müssen. In South Carolina ist alles anders.
So werden bei BMW in Amerika alle Beschäftigten, vom Boß bis zur Telefonistin, im Büro eine dünne weiße Baumwolljacke mit dem BMW-Zeichen und ihrem Vornamen auf der Brust tragen. »Das soll den Teamgeist stärken«, sagt der lokale BWM-Sprecher Carl Flesher. Auch reservierte Parkplätze oder spezielle Kantinen für Führungskräfte wird es nicht geben.
Dennoch wird wohl auch von den BMW-Leuten so mancher in Spartanburg bleiben, wie es viele Deutsche vor ihnen getan haben. Einige haben in Amerika geheiratet, manche haben ein eigenes Unternehmen gegründet.
Und das Leben in Carolina, sagt Manfred Volk, der erst vor zweieinhalb Jahren als Service-Mann einer Augsburger Maschinenfabrik nach Spartanburg versetzt wurde, ist leichter. Volk überlegt, ob er nicht mit seiner Familie in dieser Gegend mit den milden Wintern und den heißen langen Sommern bleiben sollte.
Machbar wäre es - der Quadratmeter Grundstück kostet 40 Mark. »Ein Haus am See wie hier«, sagt der Deutsche, »könnten wir uns in Deutschland bestimmt nicht leisten.« Y
*VITA-KASTEN-1 *ÜBERSCHRIFT:
Amerika lockt *
deutsche Unternehmen, und besonders wohl fühlen die sich in North und South Carolina. Die beiden Staaten geben sich ausgesprochen unternehmensfreundlich; sie gewähren zahlreiche Vergünstigungen, und die Löhne sind niedrig. Viele deutsche Firmen, darunter Hoechst und Bosch, haben sich dort schon niedergelassen. BMW will in Spartanburg von Ende 1995 an jeden Tag etwa 300 Autos bauen. Die Arbeiten an der 350 bis 400 Millionen Dollar teuren Fabrik haben vor kurzem begonnen. Möglicherweise wird Mercedes-Benz dem Konkurrenten bald folgen. Die Stuttgarter wollen Ende September über den Standort ihres geplanten US-Werkes für Geländewagen entscheiden.