Windenergieziele Müssen die deutschen Wälder dran glauben?
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»Wir brauchen diese Windkraft und wir brauchen sie auch in dieser Region.«
Die Ampelkoalition will zwei Prozent der Landesfläche Deutschlands für Windkraft ausweisen. Aber wo soll das sein?
»Diese Landschaft hat ihr Herz verloren.«
Die Flächen sind knapp. Deshalb besonders diskutiert: Windräder im Wald.
»Warum ist dieser Windpark noch nicht fertig?«
»Ich lehne Windräder im Wald ab.«
»Es ist unglaublich.«
Wyn Matthiesen, DER SPIEGEL:
»Ist Wind im Wald eine Lösung für die Energiewende? Gerade wegen der Abhängigkeit von Russland? Und, wie lassen sich Klima-, Natur- und Artenschutz miteinander vereinen?«
Zu Besuch im Reinhardswald, dem größten zusammenhängenden Waldgebiet Hessens. 18 Windkraftanlagen wurden hier kürzlich zum Bau genehmigt, etwa 30 weitere sind auf fünf zusätzlichen Flächen in Planung. Ein windreicher Standort. Mit dem erzeugten Strom ließen sich rund 75.000 Haushalte versorgen. Vier Kommunen sind in Form einer Energie-Genossenschaft direkt am Windpark beteiligt. Wir treffen Hermann-Josef Rapp, Naturschützer und ehemaliger Forstamtsleiter des Reinhardswaldes.
»Hallo Herr Rapp.«
»Guten Tag.«
»Unschwer zu erkennen, dass Sie hier wohnen.«
Der 78-Jährige ist in der Gegend bekannt als die »Stimme des Reinhardswaldes«. Fast 30 Jahre arbeitete Rapp für das Forstamt, gab über 1000 Führungen durch den Wald und wirkte an mehreren Büchern mit. Jetzt kämpft er gegen den Windpark, auch wenn er manchmal mit sich ringen muss.
Wyn Matthiesen, DER SPIEGEL:
»Ein bisschen sind sie auch gegen den Windpark aus Nostalgie, oder?«
Hermann-Josef Rapp, Förster:
»Man wird ja schon gepackt, aber es geht auch darum zu sagen: Mensch noch mal, muss denn alles so sein? Kann man nicht irgendwo Rücksicht nehmen auf Dinge, bei denen sie in 100 Jahren sagen werden: Wisst ihr noch damals, wenn das nicht passiert wäre. Windräder im Grundsatz ja, aber nicht überall um jeden Preis.«
Wyn Matthiesen, DER SPIEGEL:
»Und jetzt wollen sie eigentlich lieber ihre Rente genießen und müssen weiterkämpfen?«
Hermann-Josef Rapp, Förster:
»Ja, ja.«
Klar ist, um die Energieziele zu erreichen, braucht Deutschland deutlich mehr erneuerbare Energien. Windkraft im Wald lehnt Hermann Raab ab. Aber woher soll der grüne Strom kommen?
Hermann-Josef Rapp, Förster:
»Fotovoltaik überall hin, auch auf diese Schnittstellen, diese Autobahnohren.«
Wyn Matthiesen, DER SPIEGEL:
»Aber reicht das nur?«
Hermann-Josef Rapp, Förster:
»Die eine Lösung wird es nicht sein. Und dann natürlich das andere, was mir am Herzen liegt: Energie einsparen. Das ist eine moralische Geschichte.«
Rapp kämpft zusammen mit der Naturschutzinitiative und der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald. Beide haben eine Klage gegen den Windpark eingereicht. Die Vorwürfe: kein Brandschutzkonzept und Ungereimtheiten bei der Genehmigung. Die Überprüfung steht noch aus. Hermann Rapp zeigt uns sein ehemaliges Revier – und schimpft über die Rücksichtslosigkeit junger Menschen.
Hermann-Josef Rapp, Förster:
»Wenn ich sehe, welcher Missbrauch von den Kindern wohlhabender Eltern gemacht wird mit den innerdeutschen Flügen, weil sie ihre Freundin in Berlin besuchen wollen. Es ist unglaublich. Dieses, mal kurz einen Tag, ein verlängertes Wochenende nach Mallorca und dann mal eben schnell nach Teneriffa und dann da und da... Ach du liebe Zeit!«
Während der Fahrt sehen wir immer wieder riesige Kahlflächen. Seit 2018 sind rund 25 Prozent des Reinhardswaldes zerstört worden – durch Sturmschäden, Borkenkäferbefall oder Hitzewellen. Und genau hier soll der Windpark entstehen. Dafür mussten 260 Buchen und mehrere hundert Fichten gefällt werden. Vergleichsweise ist das sehr wenig. Befürworter argumentieren: Auf tote Flächen können doch Windräder. Hermann Raab wehrt sich dagegen.
Hermann-Josef Rapp, Förster:
»Aber man kann nicht sagen: Es ist kein Wald mehr, wie Sie gesagt haben, da kann man nicht mehr von Wald reden. Das ist auch Wald. Die jungen Bäume stehen ja schon da. Und gucken Sie mal nächstes Jahr, dieses Jahr im Herbst, wie grün das hier ist. Die Natur schläft doch nicht, die macht doch weiter.«
Windkraft im Wald polarisiert auch bei den großen Naturschutzorganisation. Der NABU Hessen etwa unterstützt die Pläne, schreibt auf SPIEGEL-Anfrage: »In Hessen wurden die Vorrangflächen bereits so ausgewählt, dass der Eingriff in die Natur möglichst gering gehalten wird.« Greenpeace sieht das anders: »Wir brauchen mehr Windkraft, das ist völlig klar. Aber der Reinhardswald mit seinem hohen ökologischen Wert sollte davon ausgenommen bleiben.« Und auch die Politik ist sich uneinig. In sechs von 16 Bundesländern sind Waldstandorte für Windenergie erlaubt.
Rapp fährt mit uns zur Sababurg, dem Wahrzeichen der Region.
Wyn Matthiesen, DER SPIEGEL:
»Und da sieht man wahrscheinlich bald die Windräder. Was macht das denn mit Ihnen, wenn sie dann von hier aus sehen müssen?«
Hermann-Josef Rapp, Förster:
»Dann wird es für mich so schmerzlich sein, dass ich sage: Diese Landschaft hat ihr Herz verloren. Ein solches Waldgebiet darf nicht einfach Windkraft-Planungen zum Fraß vorgeworfen werden.«
Später begleiten wir Rapp auf einer Demo. Doch erst mal geht es aus dem Wald in die Stadt. Also wir treffen Jana Oehlerking von Fridays for Future Kassel. Sie will heute demonstrieren – für den Windpark. Hinter der Demo steht ein breites Bündnis. Hauptorganisator ist Fridays for Future, aber auch finanzielle Profiteure des Windparks sind dabei.
Jana Oehlerking, Fridays for Future Kassel:
»Ey, wir brauchen diese Windkraft und wir brauchen sie auch in dieser Region.«
Vom Friedrichsplatz in Kassel fahren die rund 500 Demonstrantnnen und Demonstranten bergauf zur Windkraftanlage Söhre 2. Hier im Söhrewald, rund 40 Kilometer südlich vom Reinhardtswald, sind Windräder im Wald schon Realität.
Jana Oehlerking, Fridays for Future Kassel:
»Einen Windpark genehmigt zu bekommen und bauen zu können, ist ein ewig langes Verfahren. Das ist jetzt hier im Reinhardswald unter vielen, vielen Gesichtspunkten geprüft und erlaubt worden. Wir müssen überall da, wo es möglich ist, einen Windpark bauen.«
Wyn Matthiesen, DER SPIEGEL:
»Aber ist es nicht schwierig als Fridays for Future zu sagen: Wir setzen uns für ein Projekt ein, worunter auch die Natur leidet.«
Jana Oehlerking, Fridays for Future Kassel:
»Ja, es ist nicht einfach. Wir verstehen das. Wir müssen Trauerarbeit darüber leisten, dass wir unsere Wälder verlieren. Das passiert aber in einer viel größeren Dimension, wenn wir eben keinen Klimaschutz betreiben. Klimaschutz heißt eben Energiewende.«
Wyn Matthiesen, DER SPIEGEL:
»Also würdest du quasi sagen: Klimaschutz ist einfach gerade auch wichtiger als Arten- und Naturschutz?«
Jana Oehlerking, Fridays for Future Kassel:
»Nein, aber ich sage: Klimaschutz ist Artenschutz.«
Und der ist in Deutschland streng geregelt. Ralf Paschold, Geschäftsführer des Windparks, weiß das. Er musste über Jahre hinweg Beobachtungen von bedrohten Vogelarten durchführen lassen. Etwa 100.000 Vögel sterben jährlich durch die Rotorblätter.
Ralf Paschold, Geschäftsführer Windpark Reinhardswald:
»Jedes Jahr sterben 100 Millionen Vögel an Fensterscheiben. 70 Millionen Vögel sterben im motorisierten Straßenverkehr. 20 Millionen Vögel werden durch Hauskatzen gefressen. Damit will ich gar nicht gutheißen, dass immer noch auch ein paar Vögel an Windmühlen sterben. Aber die Relationen müssen wir uns vor Augen führen.«
Wie groß der Eingriff in die Natur ist, ist schwer zu beurteilen. Das Land Hessen argumentiert: Für den Windpark werden dauerhaft nur ca. 0,07 Prozent der Waldfläche des Reinhardswaldes benötigt. Kritiker entgegnen: Die Versiegelung der Fundamente und kilometerlange Zuwegungen hinterlassen irreparable Schäden.
Wyn Matthiesen, DER SPIEGEL:
»Werden die Wälder in Deutschland bald Windkrafträder in Massen weichen?«
Ralf Paschold, Geschäftsführer Windpark Reinhardswald:
»Wir müssen diese Hochlagen nutzen, was auch richtig so ist, um hier das Optimum an Energie zu erzeugen. Die richtige Frage wäre: Warum ist dieser Windpark noch nicht fertig? Wir haben diese Zeit überhaupt nicht zu verlieren. Es kann sein, dass wir im nächsten Winter ohne Gas- und Öllieferungen aus Russland dastehen. Wir sind darauf angewiesen, dass wir so viel wie möglich Energie in unserem eigenen Land generieren.«
Zurück bei Hermann Rapp. Auch die Windparkgegner haben zu einer Demonstration aufgerufen. Veranstalter ist die Freie Wähler Gemeinde. Knapp 600 Menschen haben sich hier heute versammelt.
Wyn Matthiesen, DER SPIEGEL:
»Warum sind sie heute hier?«
Demoteilnehmerin:
»Ich bin hier, weil ich es nicht ertragen kann, fast körperlich nicht ertragen kann, dass dieser 1000 Jahre alte Wald zerstört wird. Ich lehne Windräder im Wald ab, schlicht und ergreifend und zu 100 Prozent.«
Demoteilnehmer:
»Ich muss doch nicht den Wald als Fläche nutzen, um den Strom zu produzieren.«
Die hessischen Waldgebiete werden hoch beansprucht. Auf SPIEGEL-Anfrage heißt es vom hessischen Umweltministerium: Knapp 1,9 Prozent der Landesfläche soll für Windkraft genutzt werden – davon 86 Prozent im Wald. Und das Land Hessen dürfte als Eigentümer des Reinhardswaldes von einem Windradausbau finanziell profitieren.
Zum Abschluss formt die Menschenmenge ein 241 Meter hohes Windrad, die Originalgröße der geplanten Anlagen. Hermann Rappe zieht ein positives Fazit.
Hermann-Josef Rapp, Förster:
»Das macht einfach Spaß, dass die Leute alle gemerkt haben, was hier auf dem Spielfeld. Und das befriedigt mich bei allem, was weltpolitisch passiert. Aber das war wirklich so schön.«
Wyn Matthiesen, DER SPIEGEL:
»Sie sprachen es gerade an: Die Ukraine-Krise befeuert hier die ganze Thematik natürlich noch mal. Ist das gut für Sie?«
Hermann-Josef Rapp, Förster:
»Dass wir mit unseren Anliegen hier uns nach hinten stellen müssen, das ist ganz klar. Aber im Grundsatz, in der definitiven Entscheidung, sollen hier an dieser Stelle 18 Windräder, das muss man so entscheiden können – ohne Ukraine und ohne Spannungen zwischen Russland und der westlichen Welt.«
Hermann Rappe wird weiterkämpfen, auch wenn der Zeitgeist eine andere Sprache spricht. Klar ist: Windkraft im Wald dürfte aufgrund der Flächenknappheit in Zukunft eine bedeutende Rolle spielen – und kann dazu beitragen, die Abhängigkeit von Öl und Gas aus Russland zu minimieren. Natur-, Arten- und Umweltschutz dabei immer zu vereinen, bleibt eine Herausforderung.