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NUMMERNKONTO Wir doch nicht

Eine biedere Raiffeisenbank im Kleinen Walsertal lockt westdeutsche Anleger mit anonymen Sparkonten.
aus DER SPIEGEL 10/1978

Das 2000-Seelen-Dorf Hirschegg liegt 160 beschwerliche Landstraßenkilometer von München entfernt, gehört zu österreichischem Staatsgebiet, wird von deutschen Behörden verwaltet und möchte gern zum Wallfahrtsort wohlhabender Westdeutscher werden.

Nach Chiasso und Vaduz, Zürich und Andorra will sich das verschlafene Touristendorf im Kleinen Walsertal für westdeutsche Steuerzahler als Finanzoase erschließen. Denn weil Hirschegg von Staats wegen zu Österreich gehört, wirtschaftlich und verkehrstechnisch aber der Bundesrepublik zugeschlagen wurde, gelten österreichisches Recht und deutsche Währung.

Die Mischung hat bisher weitgehend verkannte Vorzüge: Jeder Kunde kann dort nach österreichischem Recht ein Konto einrichten lassen, ohne daß er dabei seine wahre Identität preisgeben muß.

»Wenn Sie da hingehen und sagen, ich heiße Peter Hein«, so erläutert ein Sprecher des österreichischen Banken- und Bankiersverbandes den Brauch, »dann ist es in Ordnung -- wiewohl Sie gar nicht Peter Hein heißen.«

Das Peter-Hein-System war für westdeutsche Steuerbürger bisher nicht sonderlich attraktiv: Zwar bieten die Österreicher neben der gesuchten Anonymität auch respektable Zinssätze, die beträchtlich über westdeutschem Niveau liegen. Doch das Währungsrisiko können die verschwiegenen Austria-Bankiers der Auslandskundschaft nicht abnehmen: Bei der Anlage über die Grenze nach Österreich hinweg muß die harte Deutsche Mark immer in die weichere Schilling- und Groschen-Währung getauscht werden. Allfällige Aufwertungen der Mark und Kursverluste des Schilling schlagen deshalb voll auf die Guthaben deutscher Anleger in Österreich durch.

Diesen mißlichen Umstand aber, so meint zumindest die Raiffeisenbank Hirschegg in Hirschegg, braucht im Kleinen Walsertal niemand zu fürchten. Raiffeisenbank-Innenleiter Fritz Berchtold: »Auf deutsches Geld gibt es deutsche Zinsen und ansonsten alles wie in Österreich.«

Dieses Angebot, das die Hirschegger Raiffeisenbank jetzt erstmals über vertrauliche Informationsdienste in der Bundesrepublik publik machte, ist noch attraktiver als alles, was etwa Schweizer Banken derzeit bieten können.

Zwar gilt, ähnlich wie in der Schweiz, daß das Bankgeheimnis bei der Verfolgung krimineller Delikte stets gelüftet wird. Doch, anders als in der Schweiz, bleibt in Österreich oft auch der Staatsanwalt erfolglos. Wenn das Pseudonym des Delinquenten nicht bekannt ist, bleibt auch sein Konto unentdeckt. Bei den Schweizern dagegen ist die totale Anonymität ohne komplizierte Konstruktionen nicht mehr möglich. Bei der Eröffnung eines Nummernkontos werden Referenzen und in jedem Fall die Vorlage von Personalpapieren verlangt. Bei den Österreichern kann jeder Delinquent unentdeckt bleiben, weil die Bank den Namen des Kontoinhabers selbst nicht kennen muß.

Durch eine Reihe von Skandalen, durch überaus hartnäckige Nachforschungen deutscher Finanzämter und durch ein freiwilliges Abkommen der Banken, potentielle Anleger aus dem Ausland gründlich zu durchleuchten, sind die Schweizer Bankiers der deutschen Steuerflucht-Klientel zunehmend suspekt geworden. Die abschreckenden Konditionen der Helvetier besorgen den Rest.

So werden in der Schweiz auf Zinserträge stets pauschal 35 Prozent Quellensteuer erhoben, und für Ausländer-Anlagen, die einen Wert von 100 000 Franken übersteigen, sind pro Quartal zehn Prozent Negativzins fällig.

Solche Preise schrecken insbesondere den deutschen Mittelständler, der nicht etwa Millionenumsätze vor dem Finanzamt verstecken, sondern ein paar hunderttausend Mark so anlegen will, daß er die Zinserträge am heimischen Fiskus vorbeimogeln kann. Für derlei bescheidene Anliegen ist das Schweizer Nummernkonto schlicht zu teuer. Die Raiffeisenbank im Kleinen Walsertal dagegen erhebt keinerlei Kosten und gibt Guthabenzinsen, die sich wie bei jeder deutschen Sparkasse nach den Kündigungsfristen richten.

Nicht einmal den Zeitaufwand und die Reisespesen für eine Fahrt in den entlegensten Zipfel des deutschen Währungsgebietes müssen Interessenten einkalkulieren. »Selbstverständlich«, so Berchtold, »geht das alles auch schriftlich.«

Ein Brief, Absender: Peter Hein, und ein Kennwort genügen für die Nummernkonto-Eröffnung. Nach der ersten Überweisung wird das Nummern-Sparbuch an die gewünschte Adresse geschickt. Auf Wunsch folgen auch die Zinsgutschriften.

Die Resonanz auf seine Walsertal-Offerte findet Berchtold »recht beachtlich«. Nur leider melde sich allzu häufig eine Spezies Anleger, der er bei aller Großzügigkeit nicht helfen kann und will. »Manche rufen aus Paris und London hier an«, so Berchtold, »und wollen über Giro-Konten viel Geld bewegen.« Berchtold treuherzig: »So etwas machen wir doch nicht.«

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