»Wir legen los, wenn die Zeit reif ist«
SPIEGEL: Herr Professor Zahn, die Autoindustrie steuert in diesem Jahr ein Rekordjahr in: Die Firmen produzieren mehr Autos denn je und verdienen, allen voran Daimler-Benz, klotzig viel Geld. Bleibt Ihre Branche die Glamour-Branche der Bundesrepublik?
ZAHN. Von Glamour-Branche und klotzigen Gewinnen kann nicht die Rede sein. Nach einem schweren Rückschlag in den Jahren 1974/75 dabei spreche ich nicht von Daimler-Benz, uns ging es glücklicherweise besser -- wurde eine gute Beschäftigung erreicht ...
SPIEGEL: ... und klotzig verdient.
ZAHN: Die Gewinne der deutschen Autoindustrie sind im Vergleich mit denen der amerikanischen Autokonzerne überaus bescheiden. Selbst unsere Gewinnraten, bezogen auf das eingesetzte Kapital oder den Umsatz, erreichen nicht einmal die Hälfte dessen, was General Motors in durchschnittlichen Jahren verdient.
SPIEGEL: Es ist schon erstaunlich, daß deutsche Unternehmer selbst in Boom-Jahren Grund zu Klagen finden.
ZAHN: Aber wer klagt denn. Ich nicke lediglich Begriffe zurecht. Ich bestreite keineswegs, daß für deutsche Verhältnisse die Situation der Automobilindustrie nicht schlecht ist. Dabei darf man aber im europäischen Rahmen nicht übersehen, daß es Produzenten gibt, die vor erheblichen Problemen stehen.
SPIEGEL: Sie meinen British Leyland?
* Mit SPIEGEL-Redakteuren Rof Diekhof (2. v. r.). Werner Funk (r.)
ZAHN: Zum Beispiel. Aber auch in Schweden ...
SPIEGEL: ... bei Volvo ...
ZAHN: ... soll es Probleme geben.
SPIEGEL: Diese Probleme sind aber unternehmensspezifisch und haben mit den Aussichten der gesamten Branche nicht viel zu tun.
ZAHN: Man kann jedenfalls nicht von einem generellen Boom sprechen. Auch die Unternehmen, die derzeit gut im Markt liegen, stehen vor erheblichen Aufgaben, die gelöst sein wollen.
SPIEGEL: Was meinen Sie damit?
ZAHN: Zum Beispiel die immer weitergehenden administrativen Vorschriften. die von den verschiedenen Regierungen der Welt erlassen werden.
SPIEGEI.: Meinen Sie die Verbrauchsnormen, die von der amerikanischen Regierung erlassen worden sind?
ZAHN: Auch, aber nicht nur. Es gibt inzwischen eine Vielzahl von Vorschriften, zum Beispiel im Bereich der Sicherheit
SPIEGEL: ... diese Vorschriften kommen doch Ihren Kunden zugute.
ZAHN: Gewiß. Wir haben in den letzten Jahren in der aktiven und passiven Sicherheit sehr viel erreicht. Nehmen Sie zum Beispiel das Fahrzeug, das jetzt bei der Rallye Südamerika eingesetzt wurde und sich bei einer Geschwindigkeit von 130 bis 150 Stundenkilometern mehrmals überschlug. Der Fahrer verließ das Fahrzeug nahezu unverletzt und konnte weiterfahren.
SPIEGEL: Aber das war doch kein Serienauto.
ZAHN: Es war ein Serienauto. Hatte aber, da gebe ich Ihnen recht, einen Überrollbügel. Die intensive Forschung hat dazu geführt, daß die Fahrzeuge sehr viel unfallsicherer geworden sind.
SPIEGEL: Aber die Zahl der Verkehrstoren ist nicht gesunken.
ZAHN: Relativ schon. Von 1960 bis 1977 hat sich die Zahl der Verkehrsunfälle mit Personenschaden - bezogen auf eine Milliarde Fahrzeug-Kilometer - von 3200 auf 1200 vermindert. Im Verhältnis zum Kfz-Bestand und zur Verkehrsdichte ist also die Zahl der Unfälle erstaunlich zurückgegangen.
SPIEGEL: Sie haben die Forschungs- und Entwicklungsarbeiten der Autoindustrie gelobt. Welche meinen Sie?
ZAHN: Zum Beispiel weniger Schadstoffe, weniger Geräusche und Erfolge in der Energieausbeute.
SPIEGEL: Wollen Sie etwa behaupten. Mercedes-Autos seien sparsamer geworden?
ZAHN: Allerdings. Der Verbrauch der 2,8-Liter-Motoren zum Beispiel wurde in den letzten Jahren ganz wesentlich gesenkt.
SPIEGEL: Diese Verbrauchsminderung hat auch gerade Ihr Unternehmen nötig, wenn Sie den amerikanischen Verbrauchsnormen genügen wollen. Es ist eher ein Verdienst der kritischen Verbraucher und der Regierung. wenn die Autoindustrie sieh allmählich darauf besinnt, daß die Ölvorräte begrenzt sind.
ZAHN: Zunächst einmal geht es um das erreichte Ergebnis, nicht um das Verdienst der Verursachung. Auf vielen Gebieten haben wir -- noch vor Nader und behördlichen Auflagen -- die Entwicklung in eigener Initiative vorangetrieben. Die amerikanischen Behörden haben nichts anderes getan. als zu sagen, ihr müßt. Was den Verbrauch betrifft: Hätten die Amerikaner europäische Fahrzeuggrößen, hätte es dieser Eingriffe nicht bedurft. Der Anteil des Straßenverkehrs am Mineralölverbrauch liegt in den USA bei über 40 Prozent, in der Bundesrepublik bei 20 Prozent. Otter nehmen Sie den Diesel. Noch Ende der 60er Jahre haben sich Fachzeitschriften. aber auch der SPIEGEL, über Diesel-Fahrzeuge lustig gemacht -- obgleich er sich schon damals als verbrauchs- und umweltfreundlich erwiesen hatte. Wir haben uns nicht beirren lassen -- inzwischen gibt es kaum ein Automobilunternehmen der Welt. das nicht mit dem Diesel experimentiert. Selbst die allergrößten In welcher Zeit
ein neues kleines Modell?
SPIEGEL: ... meinen Sie BMW?
ZAHN: ... kümmern sich, zum Teil mit fremder Hilfe, um Diesel-Fahrzeuge. Daimler-Benz ist seit Jahrzehnten darum bemüht, an der Spitze des technischen Fortschritts zu fahren und hat wohl auch im Styling Maßstäbe gesetzt, sonst wurden wir nicht so häufig kopiert werden.
SPIEGEL: Auch in Deutschland?
ZAHN: Das überlasse ich Ihrem Urteil. Sicher ist, daß eine Reihe von Firmen, die in die obere Fahrzeugklasse einzudringen trachten, versucht, sich unserer Linie anzunähern.
SPIEGEL: Hei manchen Autotestern kommen Ihre Konkurrenzprodukte Opel und BMW im Augenblick überraschend gut an. Verbittert Sie das?
ZAHN: Dazu ist kein Anlaß. Entscheidend ist der Test im Markt. Die außergewöhnlich starke Nachfrage nach unseren Fahrzeugen spricht eigentlich nicht dafür, daß die anderen mehr zu bieten haben.
SPIEGEL: Die amerikanische Regierung verlangt, daß alte Anbieter auf dem US-Markt bis 1985 ein Modell-Programm präsentieren, das im Schnitt nicht mehr als 8,6 Liter auf hundert Kilometer verbraucht. Können Sie mit Ihrem Programm diesen Standard erreichen, oder müssen Sie sich trotz des Diesels auf dem US-Markt verabschieden?
ZAUN: Nein, wir tun alles, um mit den Vorschriften fertig zu werden. Sie werden mir erlauben, unsere Pläne einstweilen noch als Geheimnis unserer Firma zu betrachten.
SPIEGEL: Ungern.
ZAHN: Im übrigen liegen wir dank des Diesel-Anteils von rund 50 Prozent schon heute sehr gut im amerikanischen Markt.
SPIEGEL: Werden Sie auf Dauer nicht durch die Verbrauchsnormen gezwungen werden, zusätzlich zu den bisher gebauten Typen ein kleineres, leichteres Auto anzubieten?
ZAUN: Dies ist eine der Alternativen. auf die wir uns konstruktiv vorbereiten. Sie können sicher sein, daß wir zur rechten Zeit das Rechte tun werden.
SPIEGEL: Warum nicht jetzt? Wäre ein kleiner Mercedes nicht genau das, was in die energiepolitische Landschaft passen würde?
ZAHN: Wirtschaftlichkeit hatte bei uns schon immer einen hohen Stellenwert. Das schließt ja Qualität und Wertbeständigkeit ein. Wie wären wir sonst mit unserem Programm so gut durch die Autokrise gekommen? Im übrigen spricht die Nachfrage nach unseren Autos und die Vollauslastung unserer Werke eine deutliche Sprache.
SPIEGEL: Dann könnten Sie also gar nicht, selbst wenn Sie wollten?
ZAHN: Das ist damit keineswegs gesagt. Wir sind ja mit unserem Investitionsprogramm von sieben Milliarden Mark mitten im Ausbau, und außerdem haben wir gerade in letzter Zeit Vorsorge für zusätzliche Produktionsausweitungen getroffen und zum Beispiel für unser Werk in Bremen, in dem die neue Transporter-Baureihe und die T-Modelle produziert werden, eine Option auf einige große Grundstücke für den weiteren Ausbau gesichert.
SPIEGEL: Dann legen Sie doch los!
ZAHN: Wir werden loslegen, wenn die Zeit reif ist. Sie können sicher sein, daß wir uns auf alle denkbaren Alternativen der Entwicklung der Weltwirtschaft und der Autonachfrage vorbereitet haben. Ein kluger Mann hat einmal gesagt, ein Techniker ist nur dann ein guter Techniker, wenn er jedes Jahr mindestens dreimal so viele neue Ideen bringt, wie tatsächlich in die Produktion eingehen.
SPIEGEL: Heißt der kluge Mann Zahn?
ZAHN: Es kann sein, ich habe da keinen Autorenstolz.
SPIEGEL: Wenn Sie sich heute entscheiden, ein neues, kleines Modell zu bauen: Wie lange wäre die Anlaufzeit, bis der erste Wagen vom Band läuft?
ZAHN: Unterstellen wir einmal, wir hätten nicht vorgesorgt und würden uns erst heute darauf vorbereiten, dann würden bis zum Anlaufen der Produktion mindestens sieben bis zehn Jahre vergehen.
SPIEGEL: Und bei dem derzeitigen Entwicklungsstand des Projektes?
ZAHN: Ungefähr die Hälfte.
SPIEGEL: Und wieviel Geld würde das kosten? Drei Milliarden, fünf Milliarden?
ZAHN: Das kommt auf die Stückzahlauslegung an. Meistens fährt man mit einer einfachen Faustformel ganz gut: Die Investition, die notwendig ist, um ein Auto pro Tag herzustellen, liegt bei vier Millionen Mark, Entwicklungskosten nicht gerechnet.
SPIEGEL: Kritiker werfen Ihnen vor, Sie seien allzu vorsichtig mit Kapazitätsausweitungen und hätten deshalb die Folge -- Lieferzeiten von bis zu vier Jahren bei den Modellen der kleinen Klasse zu vertreten.
ZAHN: Die Produktionszahlen bestätigen das nicht. Wir liegen mit einer Steigerung von 42 Prozent seit 1971 weit über dem Durchschnitt der Branche mit plus 2,5 Prozent. Richtig ist, daß wir im Interesse der Qualität, aber auch der Sicherheit der Arbeitsplätze einer kontinuierlichen Ausweitung den Vorzug gegeben haben.
SPIEGEL: Aber die Unzufriedenheit mancher Mercedes-Interessenten, die wegen der Lieferschwierigkeiten zum Beispiel zu Opel oder BMW abwandern, muß doch auch für Sie bemerkenswert sein.
ZAHN: Sicher. Aber viele unserer Stammkunden -- und wir haben eine Kundentreue von 95 Prozent -- disponieren einfach langfristiger, was dann rein rechnerisch zu höheren Lieferfristen führt. Andererseits haben wir unsere Kapazität deutlich heraufgesetzt mit dem Erfolg, daß heute mehr Käufer einen neuen Wagen bekommen als irgendwann zuvor. Allerdings hat allein die Zugehörigkeit zum Tarifgebiet Nordwürttemberg/Nordbaden bewirkt, daß wir nun schon zum vierten Mal vom Streik betroffen sind, während die Standorte der Konkurrenten seit über zehn Jahren von direkten Streikfolgen verschont geblieben sind. Allein durch die Pausenregelung, die ja nur hier gilt, mußten wir einen Kapazitätsverlust von acht Prozent ausgleichen. Wir geben uns größte Mühe, den berechtigten Interessen unserer Kunden zu entsprechen, und wissen auch, daß Einzelfälle ausgesprochen unangenehm sind.
SPIEGEL: Mehrere Ihrer Kollegen, wie VW-Chef Toni Schmücker oder Ford-of-Europe-Chef Robert Lutz, behaupten seit Monaten, die deutsche Autoindustrie stehe vor einer schwierigen Bewährungsprobe, weil die Japaner immer stärker auf dem europäischen Markt vordringen würden. Halten Sie diese Sorge für berechtigt, oder malen Ihre Konkurrenten schwarz?
ZAHN: Ich fürchte, die Kollegen haben recht. Sicherlich wird nicht die gesamte Automobilindustrie in ihrer gesamten Breite gleichermaßen betroffen.
»Die Fahrzeuge der unteren Klassen sind gefährdet.«
SPIEGEL: Daimler-Benz hat von den Japanern nichts zu befürchten?
ZAHN: Die Fahrzeuge der unteren Klassen sind sicherlich stärker gefährdet. Aber dennoch: Die Japaner könnten für die deutsche Industrie noch gefährlicher werden: Ihre Lohnkosten machen zwei Drittel der deutschen aus, die Produktivität ist höher, und die unternehmerischen Rahmenbedingungen sind eindeutig günstiger.
SPIEGEL: Sind die japanischen Autoarbeiter fleißiger?
ZAHN: Das will ich nicht sagen. Was zählt, ist die Tatsache, daß die Arbeitszeit dort deutlich länger ist und daß die modernen Anlagen deshalb besser ausgelastet werden können.
SPIEGEL: Die Unternehmer klagen eigentlich seit der Währungsreform über wachsenden Kostendruck, über Belastungen, die nicht mehr tragbar seien, und über Exporte, die zusammenbrechen würden. Bisher haben sich solche Voraussagen stets als falsch erwiesen. Gehören Klagen über den Kostendruck zum Ritual unternehmerischer Selbstdarstellung?
ZAHN: Wenn die Unternehmer, oder besser, die gesamte Wirtschaft mit den Problemen fertig geworden sind, dann heißt es doch nicht, daß die Probleme nicht bestanden haben. Das ist Punkt eins. Punkt zwei: Die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie hat sich eindeutig verschlechtert: So lag der deutsche Pkw-Export in die Vereinigten Staaten 1970 bei einer dreiviertel Million. 1977 ist er auf 465 000 Autos gefallen. Der japanische Export in die USA stieg dagegen in derselben Zeit von gut 300 000 auf über 1,3 Millionen Pkw.
Die Zusammenarbeit mit dem Schah eine echte Beschäftigungsstütze.
SPIEGEL: Der Absatzeinbruch in den USA wurde dadurch ausgelöst, daß der jahrelang künstlich hochgehaltene Dollarkurs freigegeben wurde und sich den tatsächlichen Kaufkraftverhältnissen anpaßte. Im übrigen ist der Einbruch vor allem durch die Absatzeinbußen des Volkswagen-Konzerns zu erklären, der heute mit 261 000 Autos genau die Hälfte der Stückzahlen von 1971 verkauft. Der Daimler-Absatz ist doch Jahr für Jahr gewachsen, oder etwa nicht?
ZAHN: Unser Amerika-Geschäft hat in der Tat kontinuierlich zugenommen. Aber das heißt nicht, daß Kostenschub und Mark-Verteuerung die Preise deutscher Autos in den USA nicht bedenklich in die Höhe getrieben hätten. Die Frage ist, wie lange Qualität und Technik dieses Handikap wettmachen können.
SPIEGEL: VW will stärker ins Lastwagen-Geschäft einsteigen und strebt eine enge Kooperation mit MAN an. Sie dagegen machen in Pessimismus und behaupten, die Kapazität der Lkw-Produzenten sei schon jetzt reichlich groß geraten.
ZAHN. Wer die Realitäten sieht, ist kein Pessimist. Wir haben uns dem Kampf um Marktanteile und Beschäftigung, der heute auf den europäischen Lkw-Märkten im Gange ist, erfolgreich gestellt und werden auch in Zukunft unsere Positionen verteidigen. Das gilt auch für die Absicherung im Ausland. Ich erinnere mich noch gut, als wir 1968 mit dem Schah die Errichtung einer Motorenfabrik im Iran vereinbart haben. Das wurde dann eine wichtige Grundlage für unser Nahost-Geschäft in den Jahren 1974 bis 1976, was sich als echte Beschäftigungsstütze in einer ansonsten schwachen Konjunktur erwies.
SPIEGEL: Halten Sie es für denkbar, daß Mercedes-Lastwagen eines Tages mehr Geld kosten, als sie einbringen?
ZAHN: Wir werden alles tun, um das zu vermeiden, und werden das auch schaffen. Wir haben bereits die »full line« und in Europa auch die größten Serien.
SPIEGEL: Ihr Konkurrent Iveco, eine Tochtergesellschaft von Fiat und Magirus-Deutz, hat erst unlängst festgestellt, daß die Aussichten der Lkw-Produzenten in den nächsten Jahren eher düster sind.
ZAHN: Darauf muß man sich bei der vorhandenen Überkapazität einstellen. Mit unseren 180 000 Fahrzeugen im Inland liegen wir in etwa richtig. Für die Zukunft wollen wir die Beschäftigung außerdem dadurch absichern, daß wir Teile unserer Nutzfahrzeug-Kapazität auf den Bau von Personenwagen umstellen, zum Beispiel in Bremen.
SPIEGEL: Wie erklären Sie eigentlich, daß zwei so erprobte Manager wie Sie und Herr Schmücker so entgegengesetzte Ansichten haben: Sie halten die Gesamtkapazität der Lkw-Produzenten für gefährlich groß, Herr Schmücker dagegen will die Kapazität ausbauen und als Newcomer in den Markt vorstoßen.
ZAHN: Ich kenne die Überlegungen meiner Mitstreiter nicht, und da ich immer davon ausgehe, daß diejenigen, die mit mir im Wettbewerb stehen, klug, tüchtig und weise sind, muß ich annehmen, daß dabei Überlegungen involviert sind, die ich nicht kenne.
SPIEGEL: Der Volkswagenkonzern hat auch angekündigt, er werde diversifizieren und sich Beteiligungen in anderen Branchen zulegen, zum Beispiel im Maschinenbau. Was halten Sie davon? Wäre es unter dem Gesichtspunkt der langfristigen Unternehmenssicherung nicht empfehlenswert, in andere Bereiche vorzustoßen?
»Die gesetzlichen Anforderungen sind total kontrovers.«
ZAHN: Wir sind doch traditionell im Fahrzeugbau weit diversifiziert und haben in den letzten Jahren eine Menge dazu getan: Denken Sie an die MTU, an die im letzten Jahr übernommene amerikanische Firma Euclid oder auch an den geplanten Geländewagen. Das ist alles produktbezogene Diversifikation. Dazu kommt, wie gesagt, die breite regionale Streuung im Absatz.
SPIEGEL: Es bleibt die Unsicherheit darüber, was aus dem Automobil einmal wird. Die Ölreserven sind nun einmal nicht unendlich und werden in wenigen Jahrzehnten erschöpft sein. Muß ein Automobil-Unternehmer sich nicht um die Zukunft seines Geschäfts Sorgen machen?
ZAHN: Dieses Problem geht nicht nur die Autoindustrie, sondern auch eine ganze Reihe anderer Branchen an. Selbstverständlich machen wir uns nicht erst seit heute Gedanken und untersuchen zum Beispiel eine Vielzahl von Möglichkeiten alternativer Antriebssysteme mit verschiedenen Energieträgern. So zum Beispiel den Wasserstoffantrieb, übrigens mit recht positiven Ergebnissen.
SPIEGEL: Und warum werden solche Autos noch nicht angeboten?
ZAHN: Das sind ja noch keine fertigen Lösungen. Niemand kann behaupten, in bezug auf alternative Energien bereits heute voll gerüstet zu sein. Die größeren Probleme liegen heute aber eher im Bereich der Bereitstellung und Verteilung solcher neuen Energien. Wir arbeiten aber intensiv daran weiter und werden auch Lösungen finden.
SPIEGEL: Was veranlaßt Sie zu diesem Optimismus?
ZAHN: Sehen Sie, als vor drei Jahren die amerikanischen Verbrauchsnormen verabschiedet wurden, hat man zunächst gemeint, das wäre kaum zu schaffen. Am Ende aber werden wir es erreichen, auch wenn dieses Gesetz auf Hersteller mit einem spezifischen Angebot wie dem unsrigen keine Rücksicht nimmt.
SPIEGEL: Also sind Sie letzten Endes doch für diese Art von Regierungseingriffen?
ZAHN: Nein, die ganze Gesetzgebung über Anforderungen an das Automobil ist total kontrovers. Auf der einen Seite wird Energieeinsparung, auf der anderen Seite wird eine hohe Aufprallsicherheit verlangt.
SPIEGEL: Und warum ist das kontrovers?
ZAHN: Das bedeutet doch mehr Gewicht, und mehr Gewicht bedeutet grundsätzlich wieder mehr Verbrauch. Das wirksamste Mittel, um den Verbrauch eines großen Wagens zu senken, ist meines Erachtens zur Zeit der Diesel-Motor. Gleichzeitig kommen aber wieder Leute und sagen, halt mal, ihr müßt mit dem Stickoxid im Abgas noch weiter runter. Andere wiederum fordern, die Autos müssen leiser werden. Aber weniger Geräusch bedeutet mehr Dämm-Stoffe und das wiederum mehr Gewicht und mehr Verbrauch. Es fehlt einfach, wie so häufig bei administrativen Anordnungen, die ordnende Hand, die die Einzelvorschriften koordiniert.
SPIEGEL: In Amerika haben sie immerhin dafür gesorgt, daß Konzerne viele Milliarden Mark in ein neues, verbrauchsgünstigeres Modellprogramm investieren. Muß die deutsche Autoindustrie angesichts dieser amerikanischen Anstrengungen um ihre Aufträge fürchten?
ZAHN: Das wäre zuviel gesagt. Ich halte es aber für denkbar, daß die Amerikaner ein Marktsegment, das sie bislang den Importeuren nahezu kampflos überlassen hatten, künftig stärker für sich beanspruchen werden.
SPIEGEL: Sie meinen die kleineren Autos?
ZAHN: Ja. Schon heute ist deutlich, daß die Japaner sich auf diese Strategie einrichten und sich für den Ausfall in Amerika durch das Erschließen neuer Märkte schadlos halten. wollen. Deshalb ihre Offensive in Europa, wo sie immerhin schon einen Marktanteil von 6,5 Prozent erreicht haben. Die deutschen Hersteller sind darüber hinaus durch die Handhabung der Kartellpraxis benachteiligt.
SPIEGEL: Wo fühlen Sie sich denn nun schon wieder benachteiligt?
ZAHN: Wieso sagen Sie »schon wieder«? Es kann doch eigentlich nicht strittig sein, daß unsere Kartellgesetzgebung und die Praxis unseres Kartellamtes deshalb problematisch sind, weil sie sich ausschließlich am nationalen Markt orientieren. Unser Markt ist aber Europa und die ganze Welt. Das rührt dann am Ende zu dem grotesken Ergebnis, daß ein Kooperationsvertrag bei Aggregaten zwischen uns und der MAN kritisch betrachtet wurde, eine Übernahme von Magirus durch Fiat aber unbeanstandet blieb.
SPIEGEL: In Frankreich hat sich ein Konzern gebildet, der nach den Amerikanern das umsatzstärkste Unternehmen der Welt ist, die Peugeot/Citroen/Simca-Gruppe. Macht Sie diese Fusion ein wenig ängstlich?
ZAHN: Dieser Fall beunruhigt mich überhaupt nicht. Ich finde es eine beachtenswerte Leistung des Peugeot-Managements und eine Dokumentation unternehmerischen Wagemuts. Aber Größe ist auch nicht immer gleich Stärke.
SPIEGEL: Herr Zahn, seit 20 Jahren arbeiten Sie im Hause Daimler-Benz, seit 1965 sind Sie Sprecher des Vorstandes, mithin also der erfahrenste Manager der Autoindustrie. Ist es nach Ihrer Ansicht heute schwieriger als vor 20 Jahren, ein Unternehmen zu führen?
ZAHN: Ganz ohne Zweifel ist die unternehmerische Funktion von vielen Seiten deutlich eingeengt worden und zwar quantitativ und qualitativ. Quantitativ zum Beispiel durch ein Steuersystem, das in vielen Punkten durchaus innovationsfeindlich wirkt. Außerdem erschwert es die so dringend notwendige Bereitstellung von Risikokapital. Nehmen Sie zum Beispiel den möglichen Fall der dreifachen Besteuerung der gleichen Substanz durch die Vermögensteuer.
SPIEGEL: Wieso Dreifach-Besteuerung?
ZAHN: Nehmen wir einmal an, eine Aktiengesellschaft A ist mit fünf Prozent an einer anderen Gesellschaft B beteiligt. B zahlt Vermögensteuer auf ihre Anlagen; die Firma A zahlt Vermögensteuer auf ihre fünf Prozent, und die Aktionäre der Firma A zahlen schließlich auf ihre Aktien, das heißt auf die gleiche Substanz, noch einmal Vermögensteuer. Ich halte das für absolut sinnwidrig. Hinzu kommt eine grundlegende Veränderung des gesamten Kostengefüges durch die Tarifpolitik der letzten Jahre.
SPIEGEL: Das belegt aber doch nicht die These, die Unternehmer seien in ihrer Bewegungs- und Entscheidungsfreiheit beschränkt.
ZAHN: Ein Unternehmer ist heute mit so vielen Informations-, Konsultations- und Zustimmungszwängen belastet, daß in der Tat Entscheidungsprozesse komplizierter werden und dadurch eine erfolgreiche und vor allem zügige unternehmerische Tätigkeit erheblich beeinträchtigen können.
SPIEGEL: Diese Behauptungen müssen Sie wohl belegen.
ZAHN: Erste praktische Erfahrungen mit dem neuen Mitbestimmungsgesetz haben die Erwartungen und unsere positive Einstellung, ohne Vorurteile an die Zusammenarbeit mit unseren neuen Partnern heranzugehen, leider nicht bestätigt. Aber für ein abschließendes Urteil ist es natürlich zu früh. Was wir bisher an Eindrücken hatten, ist eher geeignet, Sorgen als Zuversicht zu wecken. Auch Kollegen in anderen Vorständen klagen darüber, daß in den Aufsichtsräten neuerdings formale Probleme und Kompetenzfragen mit einer Erbitterung ausgetragen werden, die bisher unbekannt war.
»Mein Gott, die Idealvorstellung erreicht der Mensch nie.
SPIEGEL: Es scheint fast, als würden Sie das von der Koalition, also auch von der FDP, beschlossene Mitbestimmungsgesetz für eine Art Systemveränderung halten.
ZAHN: Insoweit, als ich es in seinen Grundgedanken nicht für vereinbar mit dem geltenden Aktienrecht halte. Ich meine in der Tat, daß das Mitbestimmungsgesetz wie manche andere Reform weit übers Ziel hinausgeschossen ist.
SPIEGEL: Obgleich die Arbeitgeberseite noch immer das entscheidende Wort hat, der Arbeitnehmerseite also die Parität verweigert wurde?
ZAHN: Für mich liegt der entscheidende Einwand in der Frage der Verantwortlichkeit. Das Aktienrecht sah die Verantwortlichkeit eines Aufsichtsrats nicht als eine kollektive, sondern als eine Verantwortung jedes einzelnen Aufsichtsratsmitglieds gegenüber der Gesamtheit der Anteilseigner. Es kannte kein imperatives Mandat. Genau das aber ist die Gefahr heute.
SPIEGEL: Angenommen, Daimler-Benz geht pleite ...
ZAHN. ... nehmen Sie bitte ein anderes Beispiel. Eine solche Vorstellung beunruhigt meine friedliche Seele.
SPIEGEL: Gut. Die Firma A, an der eine Großbank, ein Ölland aus dem Nahen Osten und einige andere potente Investoren beteiligt sind, geht pleite. Die Arbeitnehmer müssen stempeln gehen und sich am Ende vielleicht mit einer schlechter bezahlten Arbeit und einem lästigen Umzug abfinden. Die Vertreter der Großbank im Aufsichtsrat dagegen werden ihren Lebensstil kaum ändern müssen.
ZAHN: Die Vertreter der Gewerkschaft wohl auch nicht. Aber was ist mit den vielen Aktionären, die ihre Ersparnisse dem Unternehmen zur Verfügung gestellt haben?
SPIEGEL: Die müssen ihren Besitz eben abschreiben.
ZAHN: Und das halten Sie für gerecht und vertretbar?
SPIEGEL: Häufig ist es doch nur eine Bilanzkorrektur, die bei einer Großbank zum Beispiel kaum ins Gewicht fällt.
ZAHN: Sie übersehen eines: Auch die Großbank gehört Aktionären, in der Regel sogar einer Vielzahl von Kleinaktionären. Die Aktie endet, soweit sie nicht in öffentlicher Hand ist, immer im breiten Publikum.
SPIEGEL: Sie scheinen ein überaus respektvolles Verhältnis zum Eigentum zu haben.
ZAHN: Ich fühle mich auch gemeinsam mit meinen Kollegen absolut als Sachwalter anvertrauten, fremden Vermögens. Ich würde den Manager, der das Unternehmen als Zweck oder Selbstzweck für die Ausübung seiner Macht ansieht, für eine durchaus ungesunde Entwicklung halten, so wie dies etwa Galbraith oder Burnham darstellen. Dieser Eindruck mag durch eine überzogene Personenpublizität zum Teil entstanden sein.
SPIEGEL: Wie kommt die Publizistik ins Spiel?
ZAHN: Weil sie eben häufig -- bewußt? -- ein falsches Bild zeichnet: vom Generaldirektor, wie er aus dem Jet steigt und dann der Sekretärin aus dem Stegreif seine gewichtigen Entscheidungen verkündet, und was weiß ich alles.
SPIEGEL: Das machen Sie doch auch.
ZAHN: Ich meine nein, und das ist auch nicht der Inhalt der Verantwortung. Es wird nicht gezeigt, wie viele sich mit den Problemen schwer herumschlagen.
SPIEGEL: Dafür kriegen Sie auch ein hohes Gehalt. Mitleid ist doch wohl nicht angebracht.
ZAHN: Wer will das denn? Ich sehe mich, wie gesagt -- ähnlich wie ein Anwalt -, verantwortlich für fremdes Vermögen. Und diese Verantwortung wird durch das neue Mitbestimmungsgesetz eingeschränkt in einer Zeit, in der Flexibilität unter Umständen eine Oberlebenstrage für das Unternehmen bedeuten kann.
SPIEGEL: Sie werden Ende nächsten Jahres in Pension gehen. Haben Sie den Eindruck, daß Sie Ihrem Nachfolger ein wohlgeordnetes Unternehmen übergeben werden?
ZAHN: Mein Gott, die Idealvorstellung erreicht der Mensch bekanntlich nie. Wenn er annimmt, das wäre so, so ist es meistens Betriebsblindheit oder Selbsttäuschung. Ich glaube, in Anbetracht der Verhältnisse sind wir, meine Kollegen und ich, dieser Aufgabe mit Anstand gerecht geworden.
SPIEGEL: Herr Zahn, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.