LUFTVERKEHR Wir sind umstellt
Gerd Holstein, Flugpreis-Experte der Deutschen Lufthansa, ist laut Urteil eines Kollegen »einer unserer meistbeschäftigten Leute«. Letzten Donnerstag mußte die Fluggesellschaft auf die wertvolle Kraft verzichten: Geschlaucht von einer Marathon-Konferenz, meldete sieh Holstein krank.
Fast eine Woche lang hatte Holstein mit 119 Luftfahrt-Managern aus aller Welt darum gefeilseht, wie die höheren Ölpreise an die Flugpassagiere weitergereicht werden könnten. Die Dauersitzung am Genfer See war unvermeidlich: Die internationale Luftfahrtvereinigung lata ist restlos zerstritten.
Schwere Schläge haben in den vergangenen Jahren die lange erfolgreiche Gemeinschaft der Fluggesellschaften erschüttert. Der Brite Freddie Laker brachte mit seinen Billigflügen über den Nordatlantik das lata-Preisgefüge durcheinander. Die amerikanische Regierung verwirrte die Gesellschaften mit massiver Kritik an ihrer Preispolitik.
Erst durch eine Zellteilung im vergangenen Herbst rettete sieh das Kartell vor dem völligen Zerfall: Die Mitgliedschaft ist lediglich dann verbindlich, wenn Juristisches oder Technisches zur Diskussion steht; bei den Flugpreisen braucht nur noch mitzumachen, wer will.
Nun sollte die Preisrunde in Genf -- zunächst auf zwei Tage angesetzt
die alte Bündnistreue wiederherstellen. »Wir müssen nun alle unnötigen Ängste, Selbstzweifel und Selbstzerfleischung hinter uns lassen«, mahnte schon vorher lata-Präsident Roman Cruz.
Aber trotz markiger Sprüche zeigte das Bündnis bei der ersten Bewährungsprobe wieder Risse.
Pan Am, die weltgrößte internationale Linie, war an dem Treffen »nicht interessiert«. Die US-Gesellschaft hatte bereits Ende Januar den Abschied aus dem Preiskartell für Ende März angekündigt und schickte nicht einmal einen Beobachter. Auch die US-Linien United Airlines und American Airlines blieben zu Hause. Schließlich erschienen Vertreter von 65 der über 100 Iata-Mitglieder in Genf, um die Preiszuschläge auszuhandeln.
Während einige der nationalen Gesellschaften, vor allem aus den Ölförderländern, die bereits am Bohrloch kassieren, generös verzichteten oder nur geringfügige Aufschläge verlangten, wollten andere zehn Prozent mehr. Lufthansa und Swissair waren für fünf Prozent, »die meisten aber wollten sieben«, ergänzt lata-Sprecher John Brindley.
Die Runde brauchte schließlich fünf Tage und ein Wochenende, um sich auf ein wolkiges Kommunique zu einigen: ab 1. Mai sieben Prozent Tarifzuschlag »In den meisten Gebieten der Welt« und fünf Prozent »in bestimmten geographischen Gebieten«.
Da fand selbst die betuliche »Neue Zürcher Zeitung«, daß die Flugmanager »mehr vertuscht als aufgeklärt« hätten.
In der Tat: Nach einem Zusatz zur mühsam ausgehandelten Vereinbarung dürfen die einzelnen Gesellschaften ganz nach Belieben die Preise in den nationalen Währungen gestalten. Die festgesetzten Prozentmarken beziehen sich lediglich auf die lata-Verrechnungseinheiten.
Auch für ihre nationalen Flüge steht es den Gesellschaften frei, mit den heimischen Regierungen einen genehmen Preiszuschlag auszuhandeln. Und die anderen passen sich dann an.
Gefällt es etwa der englischen Regierung, British Airways einen Zuschlag von acht Prozent zu genehmigen, so müssen auch ausländische Gesellschaften diesen Zuschlag für ihre Flüge. aus Großbritannien berechnen.
Auch die Lufthansa oder etwa die Swissair dürfen sich in ihrer Preisgestaltung ganz frei fühlen. Beide Unternehmen hatten deshalb in Genf so vehement für milde Aufschläge gefochten, weil ihre Flugpreise ohnehin in Europa an der Spitze rangieren.
So kostet ein Rückflugticket Frankfurt-London bei der Lufthansa 620 Mark; British Airways verkauft die Passage nach Frankfurt und zurück in London für gut 440 Mark. Trotz aller Auf- und Abwertungen im lata-Abrechnungssystem läßt sieb das Preisgefälle der beiden EG-Partner nicht einebnen.
Die für den Europa-Verkehr beschlossenen sieben Prozent waren in Genf noch gar nicht verkündet, als ein Swissair-Sprecher schon das mühsam ausgekungelte Konferenz-Ergebnis vom Tisch wischte: Nirgends werde »der Aufschlag über sechs Prozent liegen«.
Und auch die Lufthansa wird sich nicht an die Genfer Beschlüsse halten. Am Donnerstag vergangener Woche beschlossen die deutschen Flugmanager, in ihrem Hoheitsgebiet die Flugpreise um nicht mehr als fünf Prozent zu erhöhen. Auch Lufthansa-Flüge über den Atlantik werden nicht wie vereinbart sieben Prozent teurer, sondern wiederum nur fünf Prozent.
»Was sollen wir denn machen?« entschuldigt ein Lufthansa-Sprecher die mangelnde Bündnistreue. »Wir sind doch von den billigen Währungen umstellt.«
Nicht nur das. Außerhalb der lata nutzen die Konkurrenten ihre Bewegungsfreiheit. Freddie Laker ließ in London kühl wissen, man sehe bislang keinen Anlaß, die Preise zu erhöhen.
Und in New York kündigte die Pan Am eine Verteuerung der Atlantikflüge von durchschnittlich vier Prozent an. Selbstbewußt kommentierte ein Pan-Am-Sprecher:,, Die werden sich eher nach uns richten als wir uns nach ihnen.«