Wirecard-Affäre EY-Deutschlandchef Barth tritt zurück

Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY zieht Konsequenzen aus dem Bilanzskandal beim gefallenen Dax-Konzern Wirecard. Der Chef muss gehen, Theo Waigel kommt.
EY-Deutschlandchef Hubert Barth: Die Bilanzprüfer ließen Investoren und Banken in dem Glauben, bei Wirecard sei alles in Ordnung

EY-Deutschlandchef Hubert Barth: Die Bilanzprüfer ließen Investoren und Banken in dem Glauben, bei Wirecard sei alles in Ordnung

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Michael Pröck für EY

Nach den Rücktritten an der Spitze der Finanzaufsicht Bafin und der Bilanzpolizei DPR hat der Wirecard-Skandal nun auch beim Wirtschaftsprüfer EY personelle Konsequenzen: Deutschland-Chef Hubert Barth tritt mit sofortiger Wirkung zurück. Zwar hatte Barth nicht selbst die Bilanzen des gefallenen Dax-Konzerns geprüft, je länger sich die Aufarbeitung der Affäre bei EY hinzieht, desto stärker ist er jedoch als langjähriger Chef belastet.

Ein neues Führungsteam werde "sich auf die weite-re Stärkung von Qualität und Wachstum der deutschen Praxis fokussieren", teilte EY mit und bestätigte die Personalien, über die der SPIEGEL bereits vorab berichtet hatte. Ersetzt wird Barth von dem Steuerexperten Henrik Ahlers, 53, der schon zuvor der Geschäftsführung angehörte, und Jean-Yves Jégourel, 59, er überwacht die Einhaltung der globalen Prüfungsstandards. Barth soll eine andere Position im internationalen Netzwerk von EY übernehmen.

Wirecard hatte im Juni vergangenen Jahres Insolvenz anmelden müssen, nachdem herausgekommen war, dass der Konzern offenbar 1,9 Milliarden Euro an Cash ausgewiesen hatte, die gar nicht existierten. Die Staatsanwaltschaft ermittelt unter anderem wegen des Verdachts des gewerbsmäßigen Bandenbetrugs, der Untreue und der Marktmanipulation gegen den früheren Chef Markus Braun, seinen Stellvertreter Jan Marsalek und weiteres Führungspersonal. Die Manager bestreiten die Vorwürfe.

EY hatte die Jahresabschlüsse von Wirecard gut ein Jahrzehnt lang geprüft. Zwar äußerten die Bilanzexperten immer wieder Bedenken und ermahnten den Aufsichtsrat, die Rechnungslegung und die internen Kontrollprozesse zu verbessern. Letztlich aber testierten die EY-Leute die Bilanz Jahr für Jahr ohne Einschränkung. So blieben Investoren und Banken in dem Glauben, bei Wirecard sei alles in Ordnung.

"EY ist sich des Vertrauensverlustes bewusst, der durch den Fall Wirecard entstanden ist", teilte der Prüfkonzern mit. Man habe daher die EY-Partnerin Karen Somes als Mitglied der deutschen Geschäftsführung damit betraut, ein Programm zur Verbesserung der Prüfungsqualität zu entwickeln. Die "Trust in Quality" genannte Initiative solle eine "erweiterte kritische Grundhaltung" unterstützen, Systeme und Prozesse hinterfragen sowie die Governance, also die Unternehmensführung stärken. Dazu gehöre unter anderem die Einrichtung eines neuen Risiko-Komitees.

Zudem setzt EY eine mit externen Experten besetzte Kommission ein, welche die Arbeit von Somes und das Qualitätsprogramm evaluieren und bei dessen Weiterentwicklung beraten soll. Dem Gremium soll der frühere Bundesfinanzminister Theo Waigel vorsitzen, er hatte Siemens von 2009 bis 2012 bei der internen Aufarbeitung des Schmiergeld-Skandals unterstützt. Außerdem gehört Brigitte Zypries der Kommission an, die frühere Bundesjustizministerin, sowie Hans Michael Gaul, Ex-Aufsichtsrat bei Siemens und VW.

Offenbar will das Prüfungsunternehmen mit der Einsetzung der Prüfungskommission und dem Führungswechsel ein Signal für einen Neuanfang setzen. Die nicht öffentlichen Prüfungsberichte, die EY zu den Jahresabschlüssen von Wirecard erstellt hat und die dem SPIEGEL vorliegen, zeigen, dass die Wirtschaftsprüfer schon seit Jahren Probleme bei dem Zahlungsabwickler sahen. So stießen sie frühzeitig eine Untersuchung rund um eine Übernahme durch Wirecard 2015 in Indien an, ließen sich aber von dem Unternehmen und insbesondere dem heute als Drahtzieher des Bilanzbetrugs geltenden Jan Marsalek entscheidend beeinflussen. Letztlich hatte die EY-Untersuchung keine Konsequenzen.

Strafanzeigen bei der Staatsanwaltschaft München

Schwer wiegt auch der Vorwurf, EY habe leichtfertig abgesegnet, dass Wirecard vermeintliche Milliarden-Guthaben auf Treuhandkonten in Asien als Cash bilanziert. Dieses Geld lag offenbar nie auf den besagten Konten.

EY führt an, stets im Rahmen der für Wirtschaftsprüfer geltenden Rechte und Pflichten gehandelt zu haben, gegen einen Betrug solchen Ausmaßes habe ein Prüfer keine Handhabe. Aktionäre und Gläubiger sehen das anders. Sie haben mittlerweile mehrere Klagen gegen EY eingereicht und fordern Schadensersatz. Auch Insolvenzverwalter Michael Jaffé dürfte letztlich versuchen, EY finanziell in Anspruch zu nehmen. Zudem haben mehrere Wirecard-Geschädigte Strafanzeigen bei der Staatsanwaltschaft München gegen die involvierten EY-Prüfer eingereicht. Eine Anzeige kam zudem von der Wirtschaftsprüferaufsicht, die schwere Versäumnisse bei EY sieht.

Fabio De Masi, der stellvertretende Vorsitzende der Linksfraktion und Obmann der Linken im Wirecard-Untersuchungsausschuss, nimmt den Rücktritt von Deutschland-Chef Barth zum Anlass, EY scharf zu attackieren. »Die Probleme bei EY könnten sich zum Arthur-Andersen-Moment auswachsen«, sagte De Masi in Anspielung auf den früheren Wirtschaftsprüfungskonzern Arthur Andersen, der an dem Bilanzskandal um den US-Energiekonzern Enron zerbrach. Aus seiner Sicht hätten sich EY-Mitarbeiter strafbar gemacht. De Masi kritisierte, dass EY »immer noch der wichtigste Berater der Bundesregierung« sei, »etwa beim Maskenchaos von Herrn Spahn«.

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