Wirtschaftsleistung Iwanow kündigt Parforce-Ritt der Russland AG an

Mit unverhohlenem Stolz haben sich die Russen auf dem heute zu Ende gehenden Petersburger Wirtschaftsforum präsentiert. Was ihre zukünftige Rolle in der Weltwirtschaft betrifft, haben sie große Ambitionen - bis 2020 will man Deutschland überrundet haben.
Von Lothar Deeg

Auf dem G-8-Gipfel in Heiligendamm hatte Tony Blair noch starke Worte gefunden. Sollten in Russland nicht akzeptable demokratische Standards und eine hinreichend friedliebende Politik Platz greifen, drohte der scheidende britische Ministerpräsident, dann würde sich die westliche Wirtschaft aus Russland zurückziehen.

Knapp 9000 Teilnehmer aus 65 Ländern auf dem XI. Petersburger Internationalen Wirtschaftsforum lassen Blairs Worte hohl klingen: Unternehmen aus aller Welt drängen stärker denn je nach Russland. Sie wollen dort Energieträger fördern, den rapide wachsenden Markt beliefern, interessante Produkte einkaufen und auch kräftig investieren.

Doch genauso wenig, wie Blair den Londoner Geschäftsleuten verbieten kann, nach Russland zu pilgern, können die Russen sie zwingen zu kommen: "Mit Gewalt holt man keine Investoren ran", gab der potentielle Nachfolger von Präsident Wladimir Putin, Sergej Iwanow, zu Beginn des Forums als Parole aus. So zeigte sich Russland bei der Großveranstaltung auf dem Petersburger Messegelände als smarte und polyglotte Think-positive-Nation, wo jeder nach seinem Gusto Pläne verwirklichen kann – nach Landessitte je größer, desto besser. Selbst ein oppositioneller "Marsch der Unzufriedenen" durfte parallel zum Forum in der Stadt stattfinden – und wurde entgegen sonstiger Gewohnheiten weder verboten noch von der Polizei niedergeknüppelt.

Wie Putin dem Plenum stolz darlegte, hatte Russland bis Ende letzten Jahres insgesamt 150 Milliarden Dollar an ausländischen Investitionen gesammelt. Und 2007 sei der Zufluss an Investitionen noch einmal 2,5 Mal höher als im Vorjahr. "Früher hatten wir das Problem der Kapitalflucht. Jetzt verzeichnen wir einen Zufluss", so der Präsident – allein in den ersten vier Monaten des Jahres 2007 seien es 60 Milliarden Dollar gewesen.

Rubel soll Weltwährung werden

Was Putin dabei allerdings gar nicht gefällt, ist die Vorherrschaft von Dollar und Euro in diesen Kapitalflüssen – sozusagen das monetäre Äquivalent zu seinem in letzter Zeit immer wieder geäußerten Vorwurf an die USA in Sachen monopolarer Weltordnung: "Das Weltfinanzsystem ist an ein, zwei Währungen gebunden, was schon nicht mehr dem aktuellen Zustand der Weltwirtschaft entspricht", sagte Putin. Die Antwort darauf könnte nur im Erscheinen neuer Handelsvaluten und neuer Finanzzentren bestehen. Damit meinte er unter anderem die russische Währung, Moskau und auch St. Petersburg, wo jetzt erst einmal eine Rohöl-Börse eingerichtet werden soll. Es wäre an der Zeit, so Putin, dass russische Unternehmen mit ausländischen Geschäftspartnern Exportverträge auch in Rubel abschlössen.

Doch der Rubel soll nicht nur als neue Weltwährung rollen. Russland, bisher nur Großmacht bei Atomraketen, Energie- wie Waffenexporten und den Verkaufszahlen für schwarze gepanzerte G-Modelle von Mercedes, strebt eine Führungsrolle in der Weltwirtschaft an: Iwanow – wie Putin KGB-Veteran aus St. Petersburg, bis vor drei Monaten noch Verteidigungsminister und jetzt Erster Vizepremier – legte in einer programmatischen Rede zum Auftakt des Ökonomenmeetings die Messlatte für sein Land ziemlich hoch.

Im Jahr 2020 wird Russland laut Iwanow nicht nur ein "demokratischer Rechtsstaat, der die Würde und Rechte der Menschen achtet" sein, sondern mit seinem Bruttoinlandsprodukt auch unter den fünf größten Volkswirtschaften der Welt stehen. Stellt man in Rechnung, dass sich neben den USA und Japan dort auch noch die Boomstaaten China und Indien einreihen werden, kann das nur bedeuten, dass Russland die Wirtschaftsmächte Deutschland und Großbritannien überholen will. Das kaufkraftbereinigte Bruttoinlandsprodukt pro Kopf werde dann in Russland 30.000 Dollar pro Kopf betragen, so Iwanow – was zumindest der Hälfte der russischen Bevölkerung einen Lebensstandard auf dem Niveau der Mittelklasse der entwickelten Staaten ermöglichen würde.

"Unzulässig" niedrige Produktivität

Diesen Wohlstand müssten sich die Russen aber mit ehrlicher Arbeit verdienen, das Land müsse endlich "loskommen von der Rohstoffnadel", so Iwanow. In vier bis sechs Hightech-Branchen werde Russland bis 2020 mit einem Weltmarktanteil von zehn Prozent dabei sein: Kernkraft, Flugzeugbau, Schiffbau, Raketentechnik und Raumfahrt, Software und Nanotechnologie.

Und Russland als latent gefürchtete Energiegroßmacht? Auffälligerweise war auf dem Forum von Öl und Gas öffentlich kaum die Rede – wobei klar ist, dass nur diese munter sprudelnden Geldquellen die zig Milliarden liefern können, die Russland bräuchte, um in anderen Sektoren international konkurrenzfähig zu werden.

Um unter die Top Fünf zu gelangen, gilt es allerdings noch einige andere gravierende Probleme zu bewältigen: Iwanow nannte die "unzulässig niedrige Produktivität", die wegen der Wohnungsnot geringe Mobilität der Bevölkerung, die hohen Einkommensunterschiede, das unterentwickelte Verkehrsnetz, unzulänglichen Eigentumsschutz, eine ineffektive staatliche Verwaltung und, als "Achillesferse" des Landes, den hohen Grad an Korruption.

Das klang schon sehr nach den Schwerpunkten eines zukünftigen Regierungsprogramms, auch wenn Iwanow auf Nachfrage jegliche Präsidentenambitionen bei den Wahlen nächstes Jahr verneinte. Er müsse sich erst noch als Vizepremier in seine vielen neuen Zuständigkeiten in der Wirtschaft einarbeiten. Wenn Iwanow seine Zielvorgaben ernst nimmt, hätte er da wirklich genug zu tun.

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