S.P.O.N. - Die Spur des Geldes Nur der Weltuntergang kann uns noch retten
Viele Leute meinen vermutlich, dass man bei einem Weltuntergang die wirtschaftlichen Auswirkungen nicht in den Vordergrund schieben sollte. Die Menschen hätten an diesem Tag sicher andere Sorgen. Das stimmt sicherlich im Falle einer unerwarteten, alles verschlingenden Sintflut. Aber wenn wir glauben, den Tag der Sintflut genau prognostizieren zu können, sieht die Sache schon ein bisschen anders aus.
Ein solcher Tag könnte der 21. Dezember dieses Jahres sein - der Tag, für den der Kalender der Maya den Weltuntergang prophezeit. Für die meisten ist die Geschichte unterhaltsamer Humbug. Doch es gibt einige wenige, die hartnäckig davon ausgehen, dass just an diesem Tag die Welt untergeht.
Ich habe zu dieser Kontroverse keine Informationen anzubieten und schon gar keine Meinung. Mich interessiert allerdings in diesem Zusammenhang: Was passiert eigentlich, wenn eine große Anzahl von Menschen an ein fest terminiertes Weltenende glaubt. Nehmen wir den 21. Dezember einfach mal als ein mehr oder weniger willkürliches Beispiel.
Dieser Glaube hätte enorme wirtschaftliche Auswirkungen, und zwar positive. Man wird sich über den Kurs von Spaniens Zehnjahresanleihen deutlich weniger Sorgen machen, denn alle Anleihen mit mehr als sechs Monaten Laufzeit werden per Definition nicht mehr getilgt. Die weltweite Schuldenkrise ist mit einem Schlag zu Ende, und so ganz nebenbei auch der Euro gerettet. Angela Merkel tritt vor die Fernsehkameras und macht ihre Anti-Krisen-Politik für diese Wunderheilung verantwortlich.
Gleichzeitig kommt es zum größten Wirtschaftsboom aller Zeiten. Die Banken geben endlich wieder Kredite. Niemand sorgt sich mehr um langfristige Solvenz oder Eigenkapitalrichtlinien.
Venedig ist sofort ausgebucht
Die Welt geht einkaufen bis zum Umfallen. In China vollzieht sich schlagartig der mit Sehnsucht erwartete Umschwung von Investitionen zu privatem Konsum. Denn wer investiert schon langfristig bei einer verbleibenden globalen Restlaufzeit von weniger als sechs Monaten? Auch die angeblich so konservativen deutschen Konsumenten sind nicht mehr zu halten, die Bestände von Media Markt binnen weniger Tage leergefegt.
Doch ach, der Boom bringt den Deutschen auch jenes Schreckensbiest zurück, das sie noch mehr fürchten als den Weltuntergang: Inflation. Die Preise vervielfachen sich, um die sprunghaft gestiegene Nachfrage mit dem konstanten Angebot in Einklang zu bringen.
Das zeigt sich zum Beispiel im Tourismus. Weil alle unbedingt noch einmal die Lagunenstadt sehen wollen, ist Venedig sofort ausgebucht - für die gesamte verbleibende Saison. Die Hoteliers machen das (letzte) Geschäft ihres Lebens. Neapel wiederum entwickelt sich zum Magneten für literarisch gebildete Bundesbürger, die in der Nacht vom 21. auf den 22. Dezember Goethes geflügelte Worte Realität werden lassen wollen.
Wer Neapel gesehen hat und gestorben ist, der braucht sich um den weiteren Verlauf dieser Geschichte nicht weiter zu kümmern. Was wäre aber, wenn man am 22. Dezember 2012 völlig unerwartet im Gestank Neapels aufwacht und weiterleben muss, weil sich irgendein tüddeliger Maya-Priester um ein Jahrtausend verrechnet hat? Kommt die Krise dann wieder zurück, vielleicht sogar mit größerer Wucht?
Merkel gewinnt die Bundestagswahl mit absoluter Mehrheit
Mitnichten. Die Krise wäre auch in diesem Fall vorbei, und das ist das eigentlich Wundersame. Die Welt hätte etwas getan, wozu sie aus ideologischen Gründen sonst nicht in der Lage gewesen wäre. Sie hätte ihre Wirtschaft in beispiellosem Ausmaß stimuliert. Der Tourismusboom in Neapel ginge zwar jäh zu Ende, aber die neuen Buchungen für den Sommer würden schnell folgen.
Wenn uns die Zentralbank keinen Strich durch die Rechnung macht und die Zinsen hochsetzt, dann wäre auch die Kreditklemme gebrochen. Aus dem negativen Teufelskreis, in dem Südeuropa derzeit gefangen ist, entstünde eine sich selbst verstärkende positive Entwicklung: fallende Marktzinsen und steigendes Wachstum schaukeln sich gegenseitig auf. Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages müssten nicht mehr ihre Sommerurlaube unterbrechen und bräuchten über keine Hilfspakete mehr abzustimmen. Und Merkel gibt vor, dass alles genau so eingefädelt zu haben und gewinnt die Bundestagswahl im September 2013 mit absoluter Mehrheit.
Der Weltuntergang ist die ultimative Lösung der Euro-Krise - allerdings nur solange eine genügend große Anzahl von Menschen an ihn glaubt und solange er nicht eintritt. An einer der beiden Voraussetzungen mag die Sache womöglich scheitern. Da andererseits aber eine genügend große Anzahl von Menschen an ein noch abstruseres Märchen glaubt - dass sich nämlich große Nationen gesundsparen können - ist der Plan mit dem angekündigten Weltuntergang vielleicht doch nicht so abwegig.