S.P.O.N. - Die Spur des Geldes Europas Rückfall

Wolfgang Schäuble: Besorgniserregende Entwicklung
Foto: Virginia Mayo/ AP/dpaDie Bundesregierung hat an einem einzigen Wochenende siebzig Jahre Nachkriegsdiplomatie zunichte gemacht. Der Vorschlag eines vorübergehenden Austritts von Griechenland als Druckmittel während des Marathongipfels vom Wochenende war am Ende der Hebel für eine Kapitulation Griechenlands. Wolfgang Schäubles Taktik hatte einen großen Sieg errungen - ganz im Sinne von Michel Foucault, der die Politik in Umkehrung des berühmten Clausewitz-Zitats als "Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln" verstand.
Was am Wochenende in Brüssel passierte, war die Rückkehr Europas zurück zu Machtgefügen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, in denen der Stärkere dem Schwächeren seinen Willen aufzwang. Es war nebenbei auch der Anfang vom Ende der Währungsunion. Sie ist zu einem festen System mit gemeinsamem Zahlungsmittel und ohne gemeinsamer Politik degradiert.
Griechenland muss jetzt nicht nur die Sparmaßnahmen erfüllen, die es im Referendum vor einer Woche ablehnte. Es muss alle verpassten Reformen der Vergangenheit umsetzen, auch solche, die selbst in Deutschland nicht diskutierbar wären, wie eine vollständige Abschaffung der Ladenschlusszeiten, das Ende der Privilegien geschützter Berufsstände oder das Ende des Tarifmonopols. Selbst konservative griechische Parteien haben diese Reformen in der Vergangenheit abgelehnt.
Grexit wird lediglich hinausgeschoben
Was Deutschland und die anderen Kreditgeber Athen da aufdrängen, ist so extrem, dass man nicht nur in Griechenland schockiert ist. Es wird einige Tage dauern, bis man dort die Ereignisse des Wochenendes verdaut hat.
Die entrüsteten Reaktionen, die ich wahrgenommen habe, kamen nicht einmal von den üblichen Verdächtigen, sondern von eher konservativ gesinnten Deutschland-freundlichen Ökonomen. Von Leuten wie Luis Garicano etwa, einem bekannten spanischen Wissenschaftler, der das politische Programm der neuen konservativen Partei Ciudadanos geschrieben hat und der in der Vergangenheit die deutsche Position eher zu verteidigen geneigt war. "Die Euro-Gruppe hat auf die Vorschläge von Tsipras falsch reagiert. Dort gerät die Diskussion jetzt außer Kontrolle und erzeugt irreparablen Schaden für die EU. Sehr besorgniserregend", schrieb er auf Twitter.
Deutschland stellt mit seiner Diplomatie sicher, dass das jetzt beschlossene Griechenland-Programm keinesfalls funktionieren wird. Der von den Franzosen in den vergangenen Wochen ausgehandelte Kompromiss hätte den entscheidenden Vorteil gehabt, dass die Syriza-Regierung die inhaltliche Obhut übernommen hätte. Es war schließlich ihr Programm.
Für das, was jetzt beschlossen wurde, gibt es in Griechenland niemanden, der inhaltlich dahintersteht. Es ist das Programm einer feindlichen ausländischen Macht. Dadurch wird der Grexit bestenfalls hinausgeschoben, aber nicht verhindert. Lediglich die Kosten eines Grexits werden für alle Beteiligten steigen. Zu den deutschen Risiken von 80 bis 90 Milliarden Euro kommen jetzt noch weitere bis zu 20 Milliarden dazu.
Die politische Konsequenz der Vereinbarung ist eine Beschädigung von Premierminister Alexis Tsipras. Ich nehme an, auch das war das Ziel der deutschen Verhandlungsstrategie. Drei weitere Jahre der Sparpolitik, der Rezession, der weiter steigenden Arbeitslosigkeit wird politische Spuren hinterlassen. Für Leute, die in Europa oder in den USA eine keynesianische Wirtschaftspolitik befürworten, bleibt in Griechenland nur noch die Wahl zwischen der Kommunistischen Partei und der rechtsradikalen Partei Goldene Morgenröte.
Vielleicht kommt jetzt eine demokratisch nicht legitimierte Regierung von Technikern ans Ruder, wie schon einmal im Jahr 2011, als der ehemalige Notenbanker Loukas Papademos die Regierungsgeschäfte übernahm. Oder es kommt zu einer Großen Koalition mit den korrupten Parteien, die Griechenland in seine Misere hineingeführt haben. Man wird jetzt mit allen technischen Mitteln versuchen, gegen den Willen des Volkes durchzuregieren und das Programm umzusetzen.
Wo war die SPD?
Was ich ebenfalls schockierend finde, ist die Abwesenheit einer starken politischen Gegenreaktion in Deutschland. Die große Ausnahme waren die Grünen. Sie haben mit Recht darauf hingewiesen, dass Schäubles Idee einer Suspendierung Griechenlands aller vertraglichen Grundlagen entbehrt und auch gegen das Grundgesetz verstößt.
Aber wo war die SPD? Anders als in den Dreißigerjahren, als die Partei eine unheilvolle Wirtschaftspolitik nicht mitgetragen hat, steht sie von heute an voll auf Linie. SPD-Chef Sigmar Gabriel hat die Kanzlerin mit seiner anti-griechischen Rhetorik sogar noch überrundet und räumte ein, dass er in Schäubles Grexit-Pläne eingeweiht war. Damit blamierte er nicht nur seinen haushaltspolitischen Sprecher Carsten Schneider, der von alledem nichts wusste. Gabriel machte es seiner Partei damit auch unmöglich, Merkels und Schäubles Kurs zu kritisieren. Eine derartige Inkompetenz habe ich in der SPD-Führung noch nie erlebt.
Für die Demokratie in Europa und in Deutschland war es ein trauriges Wochenende.
Was die Geldgeber von Griechenland fordern
82 bis 86 Milliarden Euro braucht Griechenland in den kommenden drei Jahren. Die Eurostaaten wollen dem Land neue Kredite geben, verlangen im Gegenzug aber schnelle und weitreichende Reformen.
In der Nacht zum Donnerstag, 16. Juli, verabschiedete das Parlament in Athen eine Reihe von Gesetzen, die die Gläubiger als Bedingung für Verhandlungen über ein drittes Hilfspaket gemacht hatten:
- Das Mehrwertsteuersystem wird gestrafft, mehrere bisher verminderte Sätze werden angehoben.
- Erste Punkte einer Rentenreform sollen das Rentensystem tragfähiger machen.
- Das griechische statistische Amt Elstat wird rechtlich voll unabhängig.
- Die Regeln des Fiskalpakts sollen nun komplett umgesetzt werden.
Bis 22. Juli sollen weitere Reformen in Griechenland folgen:
- Das Parlament soll eine Zivilprozessordnung verabschieden, um Gerichtsverfahren zu beschleunigen und die Kosten dafür erheblich zu senken.
- Die Richtlinie zur Sanierung und Abwicklung von Banken soll umgesetzt werden.
Bis Oktober 2015 soll eine umfassende Rentenreform verabschiedet sein.
- Vorschläge der OECD zu Produktmarktreformen sollen umgesetzt werden. Dazu gehören die Einführung von verkaufsoffenen Sonntagen und Schlussverkäufen sowie die Öffnung bestimmter Berufe wie etwa beim Fährbetrieb.
- Der Stromnetzbetreiber (ADMIE) soll privatisiert werden.
- Der Arbeitsmarkt soll modernisiert werden, etwa bei den Verfahren für Tarifverhandlungen, Arbeitskampfmaßnahmen und Massenentlassungen.
- Der Finanzsektor soll gestärkt werden, etwa durch stärkere Durchgriffsmöglichkeiten des griechischen Bankenrettungsfonds und durch die Beseitigung sämtlicher Möglichkeiten zur politischen Einflussnahme.
- Die griechische Verwaltung soll modernisiert werden und ihre Kosten gesenkt werden. Einen ersten Vorschlag dazu soll Athen bis zum 20. Juli 2015 vorlegen.
Die Regierung in Athen soll mehr und schneller privatisieren. Dafür ist der Transfer von griechischem Staatsbesitz an einen unabhängigen Fonds vorgesehen, der das staatliche Vermögen zu Geld macht. Der Fonds würde in Griechenland eingerichtet und von den griechischen Behörden unter Aufsicht der europäischen Einrichtungen verwaltet.
So sollen auf lange Sicht etwa 50 Milliarden Euro Einnahmen entstehen. Die Hälfte davon würde zur Rückzahlung jener 25 Milliarden Euro verwendet, die aus Hilfsgeldern in die Bankenrettung fließen sollen. Weitere 12,5 Milliarden Euro sollen anderweitig zur Schuldentilgung verwendet werden. Die letzten 12,5 Milliarden Euro sind dagegen für Investitionen in Griechenland vorgesehen.
Abgesehen von neuen Krediten erhält die griechische Regierung lediglich die vage Aussicht auf weitere Schuldenerleichterungen. Sollte sich bei einer ersten Überprüfung des griechischen Reformprogramms herausstellen, dass die Regierung die Vorgaben umgesetzt hat, werde man, falls nötig, weitere Maßnahmen erwägen. Erwähnt werden etwa längere Rückzahlungsfristen für die gewährten Kredite.
