KARTELLE Zahlt und schweigt
Erst mit »Appellen an mein Berufsethos« und unter »Hinweis auf mein Berufsrisiko« vermochte Siemens-Vorstand Dieter von Sanden, 55, seine Gattin Eva-Maria umzustimmen. Unwillig überwies die Vorstandsfrau unlängst aus »unserer Privatschatulle« 15 000 Mark auf das Konto 546 33 00 der Berliner Bank für Handel und Industrie.
Auch die anderen Eingänge auf dem Berliner Konto wurden zügig verbucht. Helmut Lohr, Vorstand der ITT-Tochter Standard Elektrik Lorenz, zahlte 10 000 Mark und Gerd Wigand, Geschäftsführer von Telefonbau und Normalzeit (TN), 7000 Mark. Weitere 17 Kollegen aus neun anderen Firmen, die der Post Telephonapparate verkaufen. überwiesen brav ihre Bußen auf das Konto des Bundeskartellamts in Berlin.
Auch die Firmen mußten büßen: Wegen »wettbewerbswidriger Absprachen« bei Ausschreibungen der Bundespost Mitte 1974 und Anfang 1976 verurteilte die 4. Beschlußabteilung des Amtes die Unternehmen zu einem Bußgeld von 910 000 Mark zuzüglich 4556.40 Mark vorgelegten Reisespesen. Den Eingang auf dem Kartell-Konto kommentierte der neue Amtschef Wolfgang Kante trocken: »Der Kavalier zahlt und schweigt.«
Auf 16 Seiten hatte das Amt den Telephon-Absprechern nachgewiesen, daß sie sich intern darüber verständigt hatten, welcher Preis der Bundespost abzufordern und wie der Auftrag unter den Firmen aufzuteilen sei.
Ein anonymer handschriftlicher Brief mit detaillierten Angaben über Kosten und Kalkulationen, Marktanteilen und Preisen hatte die Beamten vor gut eineinhalb Jahren aufgescheucht. Die Bundespost nahm den Tip so ernst, daß sie unverzüglich das Kartellamt einschaltete.
Doch zunächst kamen die Beamten nicht voran: Eine ursprünglich für Mitte 1975 geplante Durchsuchungsaktion bei den Firmen mußte abgeblasen werden, weil die Post wegen ausgebliebener Kundschaft ihre Aufträge später ausschreiben wollte.
Erst im Dezember vergangenen Jahres ging die Order auf rund 900 000 neue Telephonapparate raus. Und genau einen Tag vor Ausschreibungsschluß, Mitte Januar, schlugen die Wettbewerbshüter zu.
In einem Mülleimer der Deutschen Telephonwerke und Kabelindustrie AG (DeTeWe), an der Siemens beteiligt ist, fanden die Fahnder die besten Beweise: Während die Beamten den Firmenchef um Herausgabe der Akten baten, hatte ein eilfertiger Angestellter das Beweismaterial aus dem Fenster geworfen und zum Abfall packen lassen.
Beim Marktführer Siemens (von Sanden: »Der Fenstersturz wäre allein schon wegen der Klimaanlage nicht zu machen") verzichteten die Kartellbeamten auf strenge Hausdurchsuchung: Den hochbezahlten Managern trauten sie die Cleverness zu, Abspracheprotokolle beizeiten zu vernichten.
Noch in den Siemens-Büros zeigte der recherchierende Kartell-Manager den Siemens-Beamten diskret die rechte Formel für legale Absprachen: »Ihr Hammel. Warum habt ihr kein Rationalisierungskartell gemacht?«
Davon wollte von Sanden damals noch nichts wissen. Sein Haus habe stets die »Erhaltung der Marktstruktur und des Wettbewerbs« angestrebt und deshalb die mittelständischen Telephonbauer geschont: »Wir brauchen nur einzuatmen, dann hätten wir die wegrationalisiert.«
Branchenkenner vermuten, diese vornehme Geste habe durchaus eigennützige Motive. Bei allen bislang vom Kartellamt aufgedeckten Verstößen in der Elektroindustrie nämlich mischte und mauschelte Siemens stets mit: bei Absprachen über Preise und Mengen von Waschmaschinen ebenso wie bei Starkstromkabeln oder Fernsprechnebenstellen-Großanlagen.
Bei dem einträglichen Milliardengeschäft mit dem Bau von Postvermittlungsstellen ist der Markt ohnehin schon bereinigt. Übrig blieben die Konzerne Siemens, SEL und der Siemens-Enkel DeTeWe. Die kleinere TN (Marktanteil: acht Prozent) läuft bei jeder Ausschreibung Gefahr, aus dem Markt auszuscheiden.
Auch der Handel mit den einfachen Telephonapparaten hat seine Eigenart: In kaum einer anderen Branche ist die personelle Verfilzung zwischen anbietendem Management und nachfragenden Staatsunternehmen so eng wie auf dem Telephon-Markt. TN etwa engagierte den Vize der Kölner Oberpost-Direktion, Josef Lennertz, oder den Vize des Fernmeldetechnischen Zentralamts, Wigand. Lieferant von Sanden kontrolliert als Mitglied des Postverwaltungsrats seinen eigenen Vertragspartner.
Kurz nach dem Bußgeld-Urteil, auf der letzten internen Sitzung des Postverwaltungsrats, dachte
Post-Staatssekretär Dietrich Elias über die Zukunft der Branche nach: »Wir überlegen, wie bei vollem Wettbewerb alle zwölf Lieferanten« bedient werden können,
Sie werden bereits bedient. Weil die Nachfrage nach Telephonen anzog, orderte die Post für 1976 und 1977 bereits 1,8 Millionen Apparate -- bei allen zwölf, versteht sich.
»Das Ganze ist eine Farce«, sinniert der neue Kartellamtschef Wolfgang Kartte, der nach dem
Abkassieren der Telephon-Manager bereits zweimal mit Siemens-Vorstand von Sanden über eine neue Marktordnung, etwa ein Quotenkartell« konferierte. Sein Vorschlag zur Neuordnung des Marktes: »Die kleinen Anbieter sollten bei Ausschreibungen zwar den Anreiz haben zu gewinnen, andererseits nicht den Abgrund vor sich sehen, wenn sie verlieren.«
Wohlgefällig bemerkte Siemens« Sanden über Kartell-Kartte: »Ein pragmatischer Präsident.« Auch Karttes Untergebene können sich nicht beklagen. In wenigen Wochen bekommen sie eine schon vor Monaten bestellte aufwendige telephonische Durchwahlanlage, die sie in den letzten Jahren vergebens gefordert hatten. Die Marke bürgt für Marktmacht: Siemens.