Zahlungsmoral der Behörden "Die ziehen Ihnen das letzte Hemd aus"
Hamburg - 30 Angestellte des Bauunternehmers Christian Guss kriechen durch Berlins Kanalisation, um Dichtungen zu reparieren, treiben Kanäle in den Boden der Stadt, legen Gehwege auf Straßenränder, pflanzen Poller in die Erde und teeren, was das Zeug hält, damit die Berliner freie Fahrt haben. Vor wenigen Wochen wusste Guss wieder einmal nicht mehr, ob er ihnen dafür den Lohn überweisen kann - weil die Stadt ihre Rechnungen zu spät bezahlt. "Im Prinzip", sagt Guss, "stehen wir immer mit dem Rücken an der Wand."
Das Problem: Normalerweise bekommen Bauunternehmer Teilbeträge ihres Honorars bezahlt, wenn sie einzelne Bauabschnitte fertig gestellt haben. Mit dem Geld decken sie laufende Kosten wie Löhne und Rechnungen für Beton, Teer und Maschinen. Nicht so bei Guss. Er musste selbst auslegen: Rechnungen für Bauabschnitte, die er am 15. Juni und 9. Juli an die Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung stellte, zusammen über 24.000 Euro, kamen erst am 13. August auf dem Konto der PaGeFa an. Das Gesetz erlaubt 18 Tage Verzug. Sie bedauere die Verzögerung, weitere zehn Rechnungen der PaGeFa seien aber pünktlich bezahlt worden, sagt eine Sprecherin der Stadt. Dass die öffentliche Hand trotz Verzug meist irgendwann bezahlt, ist für Guss ein schwacher Trost: "Wenn ich wegen Zahlungsunfähigkeit pleite mache, dann hilft mir der Anspruch auch nicht weiter", sagt er.
Dabei ist er mit zwei von zwölf Rechnungen, die zu spät beglichen wurden, vergleichsweise gut dran. Oft ist es um die Zahlungsmoral der öffentlichen Hand schlechter bestellt. Das haben die Statistiker der Wirtschaftsauskunftei Creditreform im Frühjahr mit einer Studie untermauert: Private Auftraggeber bezahlen die Handwerksunternehmen in 72,5 Prozent der Fälle so schnell, wie es das Gesetz vorsieht. Nicht so die Verwaltung: Sie hält sich nur in jedem zweiten Fall an die Regelung. Oft dauert es noch länger: Bis zu 32,6 Prozent der von der öffentlichen Hand vergebenen Aufträge werden erst nach 30 bis 60 Tagen beglichen. Elf Prozent der öffentlichen Auftraggeber lassen sich sogar bis zu 90 Tage Zeit und fünf Prozent noch länger.
Manchmal fehlt einfach eine Wand
Der Grund für das Dilemma: Die Stadtkämmerer machen nicht genug Geld locker für ausreichend Fachpersonal, klagen Bau-Verbände und Beamtenbund. Deshalb dauere es länger, bis eine fällige Rechnung alle Genehmigungsinstanzen durchlaufen hat.
Die Langsamkeit der Behörden ist aber nur ein Teil des Problems. Noch ärgerlicher ist es, wenn Ausschreibungen für öffentliche Bauvorhaben wegen fehlender Experten nicht sorgfältig genug ausgearbeitet sind. Es kann vorkommen, dass bei den Vorgaben für die Unternehmen Wände vergessen werden, ohne die das geplante Haus gar nicht gebaut werden kann. Die Folge: Der Bauunternehmer muss die Wand extra beantragen und abrechnen. Die Verwaltung prüft den Vorgang, wie alle Rechnungen geprüft werden - und das führt wieder zu Verzögerungen bei der Überweisung des Geldes, weil für die Prüfung die Fachleute fehlen.
Besonders ärgerlich wird das, wenn Streit um die Ergänzungen aufkommt. Heinz Grigo kann ein Lied davon singen: Der Handwerks-Meister betreibt in Niedersachsen einen Betrieb für Wärmedämmtechnik. Zurzeit führt er zwei Prozesse: Einmal geht es um Arbeiten an der Marineortungsschule Bremerhaven. Ursprünglich sollte der Auftrag rund 30.000 Euro kosten. Ein Jahr später, im November 2001, schrieb Grigo eine Rechnung über rund 155.000 Euro, weil die Nachträge seine Kalkulation über den Haufen geworfen hätten, sagt er. Bremen wollte lediglich 30.000 Euro überweisen, auch weil Grigo vorher nichts angekündigt habe. Grigos Nachforderungen seien nicht haltbar. Das Landgericht Bremen gab der Stadt Recht, das Oberlandesgericht indes sah dies anders und hat den Fall an das Landgericht zurückverwiesen, das noch einmal verhandeln muss.
Alle Angestellten entlassen
Grigo kann sich über den Teilerfolg nur wenig freuen: "Ich werde das Urteil wohl nicht mehr erleben, weil ich es mir nicht leisten kann." Viel Zeit und rund 50.000 Euro habe er in die beiden laufenden Verfahren investiert - allein das Oberlandesgericht hat ihm trotz des positiven Urteils eine Rechnung über 2568 Euro geschickt. Fünf weitere streitige Fälle würde er gern durchfechten: "Ich habe aber letzten Endes keine Chance. Jeder Prozess dauert fünf Jahre", sagt er. "Die Kommunen ziehen Ihnen das letzte Hemd aus." Schließlich könnten sie so lange prozessieren, wie sie wollen. Vor wenigen Jahren hatte Grigo noch sieben Angestellte - alle musste er entlassen. Er habe sie wegen der offenen Rechnungen nicht mehr bezahlen können.
Den Vorwurf der Bau-Verbände, die Qualität der Ausschreibungen werde wirklich schlechter, wollen selbst Behördenvertreter nicht mehr bestreiten. Franz Schulz, Bezirksstadtrat für Stadtentwicklung und Bauen in Friedrichshain-Kreuzberg, sagt: "Es gibt Gemeinden, die sind hoch spezialisiert, und solche, in denen noch nach dem Karteikartensystem gearbeitet wird." Altmodisches Arbeiten führe mitunter zu krassen Fehlkalkulationen - ein Vermessungsfehler, und der Bau koste schnell 300.000 statt der geplanten 50.000 Euro. "In der Senatsbauverwaltung Berlin beispielsweise hapert es an der Überwachung der Vorhaben und den sorgfältigen Ausschreibungen. Da gibt es sehr hohe Mehrkosten, nicht selten bei 50 Prozent des geplanten Kostenrahmens. Bundesbaubehörden sind noch schlimmer", so Schulz.
Wenn es dann zum Streit um Rechnungen kommt oder die öffentliche Hand nur schleppend zahlt, zieht kaum ein Unternehmer vor Gericht oder geht an die Öffentlichkeit: "Viele sind von der öffentlichen Hand abhängig und haben Angst, sich die Auftraggeber zu verprellen", sagt Elmar Esser vom Zentralverband Deutsches Baugewerbe (ZDB). Für die Großen der Branche ist das Problem leichter zu bewältigen: Sie beschäftigten mitunter eigene Juristen, die Ausschreibungen auf Lücken hin abklopfen, um dann mit Nachträgen ihren Reibach zu machen, beobachtet der Berliner Bezirksstadtrat Schulz. Kleinere Betriebe können sich nicht einmal Prozesse um strittige Nachträge und zu spät bezahlte Rechnungen leisten.
Der Wirtschaftsminister will nicht mehr helfen
Dass der Gesetzgeber die Kommunen unter Druck setzen wird, Rechnungen, über die Einigkeit besteht, zügig zu überweisen, ist nicht absehbar. Vor drei Jahren hat die Bundesregierung ein Gesetz zur Beschleunigung fälliger Zahlungen auf den Weg gebracht. Wenig erfolgreich offenbar: "Der Bundeswirtschaftsminister kann die Kommunen nicht zur Zahlung offener Rechnungen zwingen. Aber das Problem hat eine Größenordnung erreicht, die Hilfe für die Betriebe erfordert", sagte Werner Müller im Juni 2002. Bis Jahresende wollte er eine Beschwerdestelle in seinem Ministerium einrichten für Mittelständler, die Probleme mit säumigen Kommunen hätten.
Dumm für die Mittelständler, dass das Ministerium seit Jahresende 2002 nicht mehr unter Müllers Regie steht sondern unter der von Wolfgang Clement. Jetzt ist keine Rede mehr von einer Beschwerdestelle - zu viele verfassungsrechtliche Bedenken, weil eine solche Einrichtung die Eigenständigkeit der Kommunen gefährden könnte, sagt ein Sprecher des Ministeriums.