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MITBESTIMMUNG Zeitbombe tickt

Die Verbandsmanager der Handwerker haben ein Wahlkampfthema: Sie proklamieren den »äußersten Widerstand« gegen Mitbestimmungs-Forderungen der Gewerkschaften.
aus DER SPIEGEL 37/1972

Vor 34 Jahren gelobte die Schneidergesellin Maria Weber bei ihrer Lossprechungsfeier. »Berufsehre« und »Gemeingeist« zu wahren. Heute, als Vize des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), wünscht sie diese »unscharfen Begriffe in die Abfallkiste«.

Noch mehr verprellte die Christdemokratin Weber die deutschen Meister in einem Brief. den auch ihr sozialdemokratischer Vorsitzender Heinz Oskar Vetter mit unterzeichnete. Beide fordern von den Parteien, für die 3,8 Millionen unselbständigen Handwerker die paritätische Mitbestimmung in den Handwerkskammern gesetzlich zu fixieren. um so »die nicht demokratische Struktur der Handwerksverbände zu bekämpfen (Weber).

Postwendend proklamierte der Zentralverband des Deutschen Handwerks, Spitzenorganisation der 45 Kammern, den »äußersten Widerstand«. Diese paritätische Mitsprache-Forderung diene lediglich »einer Erweiterung der Machtposition der Gewerkschaft«. Und für Dr. Werner Kind von der Handwerkskammer Köln »tickt eine Zeitbombe im Paket des DGB«.

Die Arbeitnehmer-Organisationen bestreiten keineswegs den politischen Hintergrund: Es sei notwendig, so der Christdemokrat Fritz Biggeleben, Vorstandsmitglied der IG Metall, »rückständige, berufsständische und patriarchalische Vorstellungen der handwerklichen Unternehmer und ihrer Organisationen« zurückzudrängen. Und Karl-Heinz Uhle. Spezialist für Fragen der gewerblichen Wirtschaft in der Düsseldorfer DGB-Zentrale, meint sogar, daß es den Kleinstunternehmern im Kammerherrenstand keineswegs schade, »wenn auch einmal ein Arbeiter ihr Präsident ist Schließlich hat es auch der Bonner Regierung nie geschadet, wenn Gewerkschaftler wie Arendt Minister wurden«.

Der Streit zu Beginn des Bundestagswahlkampfes entzündete sich im »komplexen Wirrwarr« (Uhle) der handwerklichen Selbstverwaltung und ihrer zentralen Instanzen. Als Körperschaften des öffentlichen Rechts üben die Handwerkskammern Hoheitsfunktionen aus; sie führen beispielsweise die gesetzlich vorgeschriebenen Handwerksrollen« haben die Aufsicht über die Innungen, regeln die Ausbildung und Prüfungen und beschäftigen sich mit Investitionsvorhaben im Bereich der Handwerkerförderung.

Ihre Macht im zweitgrößten bundesdeutschen Wirtschaftsbereich (Umsatz 1971: rund 186,8 Milliarden Mark) ist jedoch nach Ansicht von DGB-Vize Maria Weber »nicht mehr zeitgemäß, da die selbständigen Meister fast alles allein bestimmen«.

Im Gesetz zur Ordnung des Handwerks ist zwar vorgeschrieben, die Vollversammlungen der Kammern zu einem Drittel mit Gesellen zu besetzen. Das Wahlverfahren für die Arbeitnehmer-Gruppe aber ähnelt einer mittelalterlich-ständischen Prozedur: Nur Gesellen sind stimmberechtigt. Sie benennen Wahlmänner, die dann Gesellen in die Vollversammlung der Kammern entsenden dürfen.

Der Wahlschlüssel ist überdies so festgelegt, daß Wahlmänner der Kleinstbetriebe mehr Gewicht haben als ihre Kollegen aus den größeren Werkstätten. Da in Kleinbetrieben die Arbeitgeber einen stärkeren Einfluß auf ihre Mitarbeiter haben, könne, so die Kritik des DGB, der Chef die Gesellen-Vertreter in der Vollversammlung manipulieren.

Der DGB verlangt jetzt, dieses Verfahren zu ändern, weil es »gegen das vom Grundgesetz garantierte Recht der Gleichbehandlung« verstößt, und fordert für alle über 18 Jahre alten Arbeiter, ob mit oder ohne Handwerkerprüfung, die allgemeine, gleiche und geheime Listenwahl, wie sie ihren Arbeitgebern in den Kammerbereichen zusteht.

Für den Zentralverband des Deutschen Handwerks sind derartige Veränderungswünsche »absurd«, da sie zu »schweren Nachteilen für die Betriebe und auch für die Sicherung zahlreicher Arbeitsplätze führen müssen«. Für Gerhard Vater, Vorsitzender der Gewerkschaft Holz und Kunststoff, sind solche Einlassungen »ein komisches Papperlapapp. Welches Interesse sollte ein Arbeitnehmer haben, Arbeitsplätze zu gefährden. Hier wird doch nur den kleinen Handwerksmeistern in den Kammern Angst gemacht, damit der Bonner Zentralverband seinen politischen Naturschutzpark erhalten kann«.

Maria Weber vom DGB bemängelt überdies, daß im Zentralverband und beim Handwerkskammertag die Arbeitgeber allein über Förderungsmaßnahmen, Wettbewerbsrecht, Steuern und Finanzfragen oder über sozialpolitische Maßnahmen mit dem Gesetzgeber verhandelten. Da der Verband zu 93 Prozent von den Handwerkskammern finanziert wird, würden bei einer paritätischen Mitbestimmung die Arbeitnehmer verstärkt über diese Zuwendungen an die Spitzenorganisation mitsprechen.

Dies könnte -- auch das ist gewerkschaftliches Kalkül -- den Zentralverband bestimmen, »vorrangig nicht nur die Interessen der Arbeitgeber« (Maria Weber) zu vertreten.

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