MOTORRÄDER Zu spät geschaltet
Zwei Jahre hintereinander hatten die Zündapp-Werke schwere Verluste gemacht. Doch nun, so der geschäftsführende Gesellschafter Dieter Neumeyer im Mai dieses Jahres, seien »Anzeichen für eine Erholung« unverkennbar.
Die Belegschaft der Motorradfabrik, seit 1981 von 1500 Mann auf 730 verkleinert,
hörte es gern. Bei der Zahl der Beschäftigten, versprach Neumeyer, werde »eine Sieben vorne dran« bleiben.
Zuviel versprochen: Jetzt geht es, keine drei Monate später, ums Ganze. Um die letzte Chance zur Rettung des berühmten Familienunternehmens zu nutzen, meldete Neumeyer - am Freitag der vorvergangenen Woche - Vergleich an.
Die Rücklagen waren aufgebraucht, die Firma hatte 35 Millionen Mark Schulden. Monat für Monat machte das Unternehmen zuletzt eine Million Mark Verlust. Der Bankrott war absehbar.
Nun hofft der Zündapp-Chef einen Interessenten zu finden, der sich an den Schulden nicht stört und das Werk weiterführen will. Sonst droht Zündapp der Konkurs. Nach Horex, Adler und NSU, nach Kreidler und Maico verschwände ein weiterer traditionsreicher deutscher Motorradbauer. Übrig blieben nur noch BMW und Hercules.
Der Großvater des heutigen Geschäftsführers, Geheimrat Fritz Neumeyer, hatte die Zünder- und Apparatebau-Gesellschaft mbH (Zündapp) 1917, mitten im Ersten Weltkrieg, gegründet. Zunächst baute das Unternehmen, das damals in Nürnberg zu Hause war, Zünder für Artilleriegeschosse. Erst nach dem Krieg wurde die Produktion auf Motorräder umgestellt.
Das Geschäft lief gut an. Die Deutschen begannen gerade, sich für motorisierte Fahrzeuge zu begeistern, und Zündapp baute »Motorräder für jedermann« (Werbung), preiswert und robust. »Wer Zündapp fährt«, so witzelten damals die Männer mit den Ledermützen, »bleibt unversehrt.« Im Zweiten Weltkrieg fuhren dann die Männer mit den Eisenhüten Zündapp-Maschinen. Insbesondere die KS 750, ein schweres Motorrad mit Seitenwagen, erfreute sich wegen seiner Unverwüstlichkeit und Zuverlässigkeit bei Landsern großer Beliebtheit.
Nach Kriegsende zehrte das Unternehmen zunächst von dem guten Ruf. Die Zündapp-Werke, die ihre Produktion immer mehr nach München verlagerten und auf leichte Motorräder konzentrierten, konnten ihren Umsatz stetig ausweiten.
Noch 1977 baute das Unternehmen 115 000 Mofas, Mopeds, Mokicks und Leichtkrafträder bis 80 Kubikzentimeter Hubraum. Es beschäftigte 1900 Mitarbeiter und brachte es auf 179 Millionen Mark Umsatz. Doch dann ging es für Zündapp steil bergab. Erstmals seit 20 Jahren machte die Firma 1981 keinen Gewinn mehr, 1982 lief der erste Verlust in der Geschichte des Unternehmens auf - zwölf Millionen Mark.
Hunderte von Zündapp-Werkern verloren ihren Arbeitsplatz, doch das Unternehmen kam aus den roten Zahlen nicht heraus. Im vergangenen Jahr wurden gerade noch 41 000 Zündapp-Maschinen verkauft. Bei 100 Millionen Mark Umsatz blieben erneut zehn Millionen Mark Verlust.
Im ersten Halbjahr 1984 wurden noch einmal 20 Prozent weniger abgesetzt, weitere sechs Millionen Mark Verlust kamen hinzu. Ende Juli standen 11 000 Zündapp-Motorräder, mehr als ein Viertel der erwarteten Jahresproduktion, unverkauft im Lager.
Zündapp-Chef Neumeyer, der schon seit Jahren nicht mehr mit Begeisterung bei der Sache war, machte eine »nicht abzusehende Durststrecke« aus. Da gab er das Rennen auf. Der deutsche Markt für kleine und kleinste Motorräder war seit Anfang der 80er Jahre zu schnell zu klein geworden. Ließen sich 1982 noch 125 000 Leichtkrafträder absetzen, so werden es 1984 nur noch 70 000 sein.
Für die wichtigsten Kunden, die Jugendlichen, sind die Maschinen vielfach zu teuer geworden. Für Leichtkrafträder von 80 Kubikzentimeter Hubraum, die besonders häufig an Unfällen beteiligt sind, werden inzwischen 400 Mark Versicherungsprämie im Jahr verlangt. Demnächst sollen es mindestens 800 Mark werden - über 20 Prozent des Kaufpreises für ein Motorrad.
Moped- und Mokick-Fahrer müssen zudem seit 1981 eine praktische Fahrausbildung nachweisen, die mindestens 350 Mark kostet, und einen Sturzhelm müssen sie auch alle tragen. Das habe, meint Zündapp-Chef Neumeyer, den Absatz »erheblich beeinflußt«.
Unter dem schrumpfenden Markt hatten die Zündapp-Werke mehr zu leiden als die Konkurrenten aus Japan. Die japanischen Motorrad-Hersteller Honda und Yamaha kämpfen seit Jahren erbittert _(Modell KS 750. )
um die Führungsposition in der Welt. Dadurch wurden zu viele Motorräder aller Art produziert, die sich, wenn überhaupt, nur noch zu Schleuderpreisen absetzen lassen (siehe SPIEGEL 9/1984).
So konnten nur Hersteller überleben, die eine kapitalkräftige Mutter haben wie BMW oder die zum Fichtel & Sachs-Konzern gehörenden Nürnberger Hercules-Werke. Die kleinen deutschen Hersteller in Familienbesitz blieben auf der Strecke. Die Familienunternehmen haben die Gefahren der hart umkämpften Märkte entweder gar nicht oder zu spät erkannt. So lehnte Zündapp noch vor zwei Jahren ein Fusionsangebot der Nürnberger Hercules-Werke ab: Zündapp-Chef Neumeyer glaubte, allein über die Runden zu kommen.
Der Hamburger Motorrad-Händler Stephan Louis weiß noch einen anderen Grund, warum nicht nur die Japaner schuld am Niedergang Zündapps sind. Die Münchner, so Louis, hätten es versäumt, ihren Wettbewerbsnachteil beim Preis durch besonders attraktive Produkte auszugleichen.
So seien etwa Zündapp-Mofas bei deutschen Jugendlichen nicht allein deshalb wenig gefragt, weil sie teurer seien als Konkurrenzmarken. Sie gelten vielmehr als »altmodisch und hausbacken, ohne Pfiff und Schick«, wie Fachmann Louis von seinen Kunden weiß.
An diesem Image vermochten auch die sportlichen Erfolge der Münchner nichts mehr zu ändern. Jahrelang wurde praktisch unter Ausschluß der Öffentlichkeit nur Geländesport betrieben. Erst im vergangenen Jahr stieg Zündapp, mit Erfolg, in den publikumswirksamen Straßensport ein. Doch es war zu spät, als daß noch Nutzen für das Geschäft daraus hätte gezogen werden können.
Inzwischen ist Neumeyer bereit, seine Fabrik zu verschenken. Doch bis Ende vergangener Woche gab es nur einen ernsthaften Bewerber - den indischen Lizenznehmer von Zündapp, die Enfield-Gruppe in Madras.
Daß ausgerechnet die Inder die Arbeitsplätze in Deutschland retten und von hier aus den Kampf mit den Japanern aufnehmen könnten, ist unwahrscheinlich. Bei dem Gerangel um die Reste des einst stolzen Unternehmens wird die Belegschaft, wie Betriebsratsvorsitzender Rolf Kälber ahnt, wahrscheinlich »weggeschmissen wie ein nasser Sack«.
Zündapp-Eigentümer Neumeyer hat dagegen für sich und seine Familie bereits vorgesorgt: Vor zwei Jahren, als Zündapp erstmals in die roten Zahlen rutschte, teilte Neumeyer das Unternehmen in eine Betriebsgesellschaft und eine Verwaltungsgesellschaft auf, die über den größten Teil des Firmenvermögens wie Gebäude und Grundstücke verfügt.
Vergleich hat Neumeyer nur für die Betriebsgesellschaft angemeldet.
Modell KS 750.