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UNRECHT Zugehörigkeit zur NSDAP

aus DER SPIEGEL 48/1950

Amerikas Landeskommissar Charles P. Groß ist schuld, daß sich Hermann Mayers Magengeschwüre verschlimmert haben. Denn Mayer könnte sein enteignetes Delikateßlädchen längst wieder haben, wenn nicht Groß sein Veto gegen die Mannheimer Landesgerichtsentscheidung eingelegt hätte.

In fünfzehn Jahren hatte sich Hermann Mayer rund 20000 RM erspart. Seit dem Kapitulationsjahr 1945 muß er sich mit 165 Mark netto im Monat begnügen. Damals, im Juli, erschien ein Herr Höpfer, ehemals Schlossergeselle bei Benz, vor Mayers Ladentheke in der Weylstraße 4: »Ich komme wegen des Verkaufs ihres Geschäftes. Sie haben doch das Schreiben der Stadtverwaltung erhalten, he?«

Darin war unterm Datum vom 31. Juli 1945 zu lesen: »Wegen Ihrer bisherigen Zugehörigkeit zur NSDAP wird Ihnen hiermit ... der Einzelhandel wegen politischer Unzuverlässigkeit entzogen. Für die Regelung Ihres Geschäftes wird Ihnen eine Frist bis zum 14. 9. 1945 gestellt. In dieser Zeit ist das Geschäft an einen Nachfolger abzugeben. Falls Sie diesem Nachfolger Schwierigkeiten bereiten sollten, haben Sie mit behördlichen Maßnahmen zu rechnen.«

Das war 1945 nichts Außergewöhnliches.

Höpfer stellte sich als der nominierte Nachfolger vor. Er war nicht der Mann, sich Schwierigkeiten machen zu lassen. Um so mehr, als er sich auf seine Eigenschaft als politisch Verfolgter und auf Verdienste beim amerikanischen CIC stützen konnte. Demgegenüber hatte Mayer nur aufzuweisen: Mitgliedschaft bei der NSDAP (seit 1937) und als Sportler beim VfR Mannheim.

Und Mayer war trotz seiner Passivität unter den Braunen ehrlich genug, sich einzugestehen: »Die Nazis haben das damals mit den Juden auch so gemacht. Mer muß halt auch e bißl drunner leide.«

Zudem erwähnte Höpfer mit unmißverständlichem Unterton den Namen eines Majors vom amerikanischen CIC, in dessen Dienststelle er beschäftigt sei. Und der Major verlange von ihm aus Gründen eines finanziellen Beitrages, eine Bestätigung dafür, daß er das Geschäft käuflich erworben habe.

Als Mayer einwandte, man gebe seine Existenz doch nicht freiwillig auf, erwiderte Höpfer: »Dann tragen Sie selber die Konsequenzen. Es kann Ihnen, außer dem, daß Sie überhaupt nichts bekommen, auch noch passieren, daß ich Sie aus Ihrer Wohnung hinauswerfen lasse und Sie im Bunker landen. Ich bekomme jedenfalls mein Geschäft.«

Am 20. August 1945 verkaufte Mayer für drei Stangen Zigaretten oder 2889,20 RM seinen Laden. »Ich dachte mir nichts anderes, als daß, falls ich mich geweigert hätte, eines Tages ein Lastwagen voll Amis vor dem Hause vorgefahren wäre, den Rolladen am Geschäft herabgelassen und mich mit meiner Frau aus der Wohnung hinaus in den Neckarstädter Luftschutzbunker hineingeworfen hätte. Wir waren froh, daß wir bleiben konnten ...«

Sogar in seinem ehemaligen Geschäft durfte Mayer vorläufig bleiben. Er fungierte als Höpfers Faktotum, bis sein neuer Chef, der keine Vorkenntnisse in der Lebensmittelbranche besaß, sich einigermaßen eingearbeitet hatte. Erst als Höpfer wegen Beteiligung an einer Benzinschiebung vier Monate Knast erhielt, suchte sich Mayer anderswo Arbeit. Schließlich wurde er Kellner beim Ami.

Mayers Hoffnung, den Laden einmal wieder zu bekommen, erhielt neue Nahrung, als er am 17. Februar 1948 als geläuteter Vierer (Mitläufer) aus der Entnazifizierungswäsche stieg und nach Leistung von 500 RM Sühne die unbeschränkte Berufserlaubnis zurückerhielt. Weshalb Mannheims Stadtverwaltung nicht mehr umhin konnte, ihre Anordnung vom Juli 1945 aufzuheben. Gleichzeitig machte sie die an Höpfer erteilte Geschäftsübernahme rückgängig.

Da klagte Höpfer beim Verwaltungsgericht in Karlsruhe. Er berief sich darauf, daß beide Anordnungen unmittelbar auf einen mündlichen Befehl der Militärregierung zurückzuführen seien, so daß eine deutsche Stelle kein Recht zu ihrer Aufhebung habe.

Ehe sich das Verwaltungsgericht entscheiden konnte, kam ihm das Landgerichtsurteil vom 6. Dezember 1949 zuvor. Danach erhielt Mayer bei seiner Anfechtungsklage gegen den mit Höpfer abgeschlossenen Kaufvertrag Recht. Also war Mayer rechtens wieder Eigentümer des Lädchens.

Aber Höpfer ging nicht raus.

Er beantragte zuerst Räumungsaufschub, dann Vollstreckungsschutz, um in der Zwischenzeit mit seinem Anwalt an die Besatzungspforte zu pochen. Darauf wurden im April 1950 von der Legal Division die Akten angefordert. Und jetzt sprach Landeskommissar Gross sein Veto.

Formell zu Recht, denn es hätte in Sachen Mayer contra Höpfer von einem deutschen Gericht, ohne Befragung der Legal Division, überhaupt kein Urteil gefällt werden dürfen.

Das ist eine von dem Landgerichts-Richter übersehene neue verschärft gefaßte Anordnung der amerikanischen Militärregierung für Württemberg-Baden: Sie nimmt bereits alle die Personen in Schutz, die auch nur behaupten, daß strittigen Besitzangelegenheiten Befehle der Besatzungsmacht unterlegt gewesen sind.

Ein deutsches Gericht hat in einem solchen Rechtsstreit nach Abschluß der Beweisaufnahme die Akten der Legal Division vorzulegen. Von dort kommen sie dann zurück, »mit entsprechenden Anweisungen für die Weiterführung des Verfahrens und seiner rechtskräftigen Erledigung«.

Gerade hieran stößt sich Mayers Rechtsbeistand Dr. Mohr, der einen solchen Eingriff in die deutsche Rechtsprechung nicht unwidersprochen hinnehmen will.

Nach Mohrs Auffassung kann man nicht ein offensichtliches Unrecht, das 1945 begangen wurde und für das es weder in der Haager Landkriegsordnung noch in sonstigen Regeln des Völkerrechts eine Handhabe gibt, im Jahre 1950 als Recht bestätigen, wie es durch den Einspruch des Landeskommissars praktisch geschehen sei.

Dr. Mohr ist entschlossen, in dieser Sache »kalten Blutes bis nach Bonn zu gehen«.

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