Zukunftsfeld Photonik Aus Deutschlands Osten kommt das Licht
Die optischen Technologien halten ihre ahnungslosen Nutzer zum Narren. Sie sind überall: daheim im DVD-Spieler, im Supermarkt in den Lesegeräten an der Kasse, im Büro im Drucker des PCs. Doch man kann sie nicht sehen was paradox klingt und das menschliche Vorstellungsvermögen leicht übersteigen kann. Schließlich glauben wir, dass alles, was "optisch" im Namen trägt, auch zu sehen sein sollte.

Forschung im Institut für Photonische Technologien (IPHT) Jena: Rosige Zeiten für Deutschland?
Foto: DPAWeit gefehlt. Optische Technologien arbeiten heute meist unsichtbar. Im Innern der CD- und DVD-Lesegeräte, die längst zur Standard-Hardware jedes PCs gehören, die fürs Heimkino sorgen und unsere Wohnzimmer zu Konzertsälen machen können, tastet ein Laserstrahl Signale ab, die als winzige, nur wenige Mikrometer kleine Flecken auf einer spiralförmigen Bahn in ein stark reflektierendes Trägermedium eingebrannt sind. Aus dem Reflexionsmuster zurückkommendes Licht steht für "1", absorbiertes für "0" entsteht eine Art "digitales Morsealphabet", das zunächst in elektrische Signale, dann von den Prozessoren in Milliardstelsekunden in komplette Datensätze umgesetzt wird etwa von Musikstücken, von wissenschaftlichen Messreihen, von Excel-Tabellen, Word-Dokumenten oder von Anwenderprogrammen.
Das "Brennen" funktioniert genau umgekehrt. Hier schreibt der Laserstrahl das "digitale Morsealphabet" in die optisch empfindliche Trägersubstanz der CD oder DVD ein (diese unterscheiden sich durch ihren technischen Standard, also durch die Größe und den Abstand der Flecken, durch die Krümmung der Spiralbahn).
An der Supermarktkasse "scannt" ein schwacher Laserstrahl die 86 Strichcodes von den Verpackungen ab und erstellt daraus ähnliche "digitale Morsezeichen". Die Computerkasse verknüpft diese Signale, die ihr vom Lesekopf des "Scanners" in der Hand der Kassiererin übermittelt werden, blitzschnell mit dem Preis der jeweiligen Ware, der in der Festplatte des Rechners gespeichert ist. Moderne Scannerkassen können auch gleich dem Zentralrechner des Supermarkts melden, welche Nudel-, Marmeladen- oder Mehlsorte gerade verkauft wurde. Der zieht den Posten von den Lagerbeständen ab, die er in seiner Festplatte gespeichert hat und kann so dem Geschäftsführer auf dessen Nachfrage jederzeit Auskunft geben, wie viele Packungen Spaghetti, Gläser mit Erdbeermarmelade und Tüten mit Vollkornmehl noch vorrätig sind.
Laser ist heute ein so gebräuchliches Wort, dass sein Ursprung als Akronym: Light Amplification by Stimulated Emission of Radiation ("Lichtverstärkung durch stimulierten Strahlungsausstoß") schon fast vergessen ist. Die Technik basierte ursprünglich und grob gesagt auf einer Verstärkung von extrem einfarbigem ("monochromatischem") und "kohärentem" Licht also von elektromagnetischen Schwingungen, die nur auf einer genau definierten Wellenlänge und obendrein nur auf einer Phase schwingen, und das in einem Frequenzbereich, der vom menschlichen Auge wahrgenommen werden kann. Diese Gleichrichtung bewirkt eine Erhöhung der Schwingungsamplitude und verstärkt damit den ausgesandten Strahl. Natürliches Licht schwingt hingegen auf einer Vielfalt von Wellenlängen, die je nach Mischung unterschiedliche Farben annehmen können, obendrein in allen denkbaren Schwingungsphasen.
Die Lichtimpulse eines Lasergerätes können je nach Verstärkungsgrad sehr viel potenter sein als die harmlosen Strahlen in CD- oder DVD-Spielern. Sie können Werkstücke verschweißen und Stäube zu Festkörpern "versintern". Sie können massive und härteste Materialien so präzise schneiden wie ein Chirurgenskalpell, sie können Materie verdampfen lassen und damit etwa bei medizinischen Eingriffen krankhaftes Gewebe entfernen.
Dasselbe Prinzip der Strahlungsverstärkung und Kohärenz wird inzwischen auch bei infrarotem und ultraviolettem Licht sowie bei elektromagnetischen Wellen im Röntgen-Bereich angewendet. Diese fälschlicherweise als "Röntgen-Laser" (Das "L" für "Licht" hat hier kein technisches Pendant, die Apparate müssten konsequenterweise "Raser" heißen. Auch das erste "R" stünde hier für "Radiation ", also für Röntgenstrahlung.) bezeichneten Geräte können etwa zum Vermessen von Proteinmolekülen eingesetzt werden.
Zu den optischen Technologien zählen neben den verschiedenen Laser-Verfahren auch
die vielen Formen von LED ("Licht emittierende Dioden"), also von unverstärktem Licht aus Halbleitern (die gebräuchlichsten Laser basieren auch auf LEDs, verstärken jedoch deren Licht massiv),
Displays (Plasma-Bildschirme und LC-Displays, also Liquid Crystal, Flüssigkristalle; künftig auch "organische" LEDs, genannt Oleds, die auf den Kunststoffmolekülen, "Polymeren" der "organischen " Chemie beruhen),
die industrielle Bildverarbeitung, etwa in den optischen Sensoren von Produktionsrobotern,
die "Productronic", also die "lithografischen" Verfahren zur Herstellung von Mikrochips und anderen elektronischen Bauteilen.
Zuwachs an Arbeitsplätzen "im sechsstelligen Bereich "
Dimensionen: Die Forscher und Entwickler optischer Technologien haben sich ein hohes Ziel gesteckt: Wenn das 20. Jahrhundert die Epoche des Elektrons war, so das Denken in der Szene, dann wird das 21. Jahrhundert die Ära des Photons. Die Photonik, so der Sammelbegriff für alle optischen Technologien, wird somit zum Sammelbecken für alle Geräte und Verfahren, bei denen Licht zur Steuerung von großen Maschinen oder zur Datenverarbeitung eingesetzt wird, in denen es selbst Informationen trägt, Energie transportiert, als Werkzeug dient.
An der Schnittstelle der beiden Zentraltechnologien findet sich schon heute die "Optoelektronik": jene Verfahren, die minimale elektrische Impulse in ebenso winzige Lichtblitze "übersetzen" und umgekehrt. Künftig wird es darum gehen, Licht ebenso präzise zu dosieren und zu messen, wie das heute mit elektrischen Ladungen möglich ist. "Die Optoelektronik steht heute an einer ganz ähnlichen Schwelle wie die Mikroelektronik in den späten 1950ern und 1960er Jahren, als der integrierte Schaltkreis seinen Siegeszug antrat ", sagt Andreas Tünnermann, Leiter des Fraunhofer-Instituts für Angewandte Optik und Feinmechanik (IOF) in Jena.
Überträgt man diese Analogie nun in den Bereich der Industrie, so müsste das Unternehmen, das in der Photonik und Optoelektronik eine ähnliche Rolle übernimmt wie etwa Intel in der Mikroelektronik, bereits gegründet sein. Sein sensationeller Aufstieg zum Weltmarktführer und zur Industrie-Ikone des 21. Jahrhunderts könnte schon bald beginnen.
Die Chancen stehen nicht schlecht, dass dieser künftige Gigant der photonischen Industrien aus Deutschland kommt. Schon heute sind deutsche Unternehmen, die optische und optoelektronische Technologien erforschen und entwickeln, pauschal betrachtet Weltmarktführer mit einem Anteil von 25 Prozent. In speziellen Bereichen der Lasertechnik, etwa bei der Materialbearbeitung, sind es sogar 40 Prozent.
Neben Carl Zeiss und Jenoptik in Jena gehört Schott in Mainz zu den bekanntesten Photonikfirmen. Rund 110.000 Menschen arbeiten in Deutschland für die Hersteller optischer Komponenten, etwa die Hälfte der Arbeitsplätze entstand erst in unserem Jahrzehnt.
Die Wachstumsraten der Weltmärkte sind erstaunlich: In den vergangenen 15 Jahren stiegen die Umsätze jährlich um zweistellige Prozentzahlen auf derzeit rund 100 Milliarden Euro. Hubertus Christ, Präsident des Verbandes Deutscher Ingenieure (VDI), erwartet in zehn Jahren ein weltweites Umsatzvolumen für die Photonik von etwa 500 bis 800 Milliarden Euro jährlich. Diether Klingelnberg, Präsident des Verbandes der Maschinen- und Anlagenbauer (VDMA), rechnet folglich mit einem Zuwachs an Arbeitsplätzen in den deutschen Branchen der optischen Technologien "im sechsstelligen Bereich ".
In Teilen der deutschen Laserindustrie, wo vor allem kleine und mittlere Unternehmen (KMU) die Nase vorn haben, betrug das durchschnittliche Wachstum sogar 15,5 Prozent im Jahr. Dies gelang jedoch nur, wie VDMA-Präsident Klingelnberg behauptet, weil die Unternehmen "zehn bis 20 Prozent ihres Umsatzes in Forschung und Entwicklung stecken". Das BMBF förderte die Photonik im Rahmen der Initiative "Innovation und Zukunftstechnologien im Mittelstand " fünf Jahre lang mit insgesamt 280 Millionen Euro.
Verknüpfungen, Vernetzungen, Querschnitte: Ein Wandel in der Wellenlänge hin zu blauen und ultravioletten Frequenzen, zeichnet sich seit geraumer Zeit auch in der Productronic ab, also in jenem Bereich, wo die optischen Technologien die Vorstufe für die Mikroelektronik bilden. Hier werden die Leitungsbahnen und damit die Ätzflächen für die "lithografische" Prägung des Siliziums so schmal, dass nur noch die ganz kurzen Lichtschwingungen der hohen Frequenzen genau genug arbeiten.
"Licht hat unschätzbare Vorteile", sagt Leibniz-Preisträger Andreas Tünnermann vom Fraunhofer-Institut für Angewandte Optik in Jena, "es funktioniert berührungsfrei und braucht, anders als fließender Strom, kein Trägermedium." Der einzige Nachteil: Bisher wurde kein Speichermedium entdeckt, das Lichtimpulse ohne Umwege ähnlich konservieren könnte wie etwa ein Speicherchip die elektrischen Ladungen der Bits, die sich dann letzten Endes zu einer Datei zusammensetzen.
Doch wegen der vielfältigen Vorzüge des Lichts werden optische und mikroelektronische Technologien immer stärker verschmelzen. Längst sind die Datenpakete, die im Internet um die Welt eilen, genau genommen keine elektrischen Bits und Bytes mehr. Es sind winzige Laserlichtblitze, die erst in den optoelektronischen Wandlern der Router- oder der Server-Rechner wieder zu elektrischen Ladungen umgewandelt werden. Damit sie dann von den Prozessoren in den Computern der Internetnutzer verarbeitet, in den Arbeits- und Festplattenspeichern festgehalten werden können. Mit den optoelektronischen Systemen, die Elektrizität in Licht und umgekehrt verwandeln, verdient heute die Halbleiterindustrie weltweit schon Milliarden.
An der Erforschung und Entwicklung optischer Technologien beteiligen sich zahlreiche Spezialdisziplinen:
Aus der IT-Branche kommen Elektroniker, Elektrotechniker und Mikrosystemtechniker, die sich derzeit vor allem um optoelektronische Elemente kümmern, aber auch Informatiker. Auch in der Productronic, also beim "lithografischen" Herstellen winziger Chips, wirken Wissenschaftler der genannten Disziplinen zusammen.
Maschinenbauer werden für die verschiedenen Einsatzmöglichkeiten von Lasern benötigt, insbesondere die Fügetechniker, die sich mit Schweißverfahren auskennen. Beim "Rapid Prototyping" und "-Manufacturing" kommen die Kenntnisse von Materialwissenschaftlern und Verfahrenstechnikern aus den Sinter-Disziplinen zusammen.
In der Quantenoptik arbeiten derzeit vor allem Physiker. Hier geht es hauptsächlich um Experimente der Grundlagenforschung. Also um den "Proof of Principle", nicht um Effizienz und Raffinesse. Für die eingesetzten Geräte stellen sich noch kaum Anforderungen auf dem Niveau von Serienproduktion. Außer beim "Frequenzkamm-Synthesizer", der aus den Nobelpreis-Experimenten des Theodor Hänsch am MPQ in Garching entwickelt wurde. Das Gerät, dessen Bauteile in den ersten Versuchen zur Machbarkeit noch eine Fläche so groß wie eine Tischtennisplatte einnahmen, konnte durch vielfältige technische Verbesserungen inzwischen auf Schuhschachtelformat geschrumpft werden.
Rings um Jena entsteht ein Brennpunkt, der sich schon bald zu einer echten Technopole herausbilden könnte.
Die Industrie der optischen Technologien: Wenn Tünnermanns These stimmt, dass der anstehende "Ausbruch" der optischen Industrien nur vergleichbar ist mit dem Aufkommen der Mikroelektronik durch die massenhafte Einführung des integrierten Schaltkreises, dann stehen Deutschland wahrscheinlich rosige Zeiten bevor. Die wichtigsten Branchen und Unternehmen haben hier ihren Sitz und machen schon heute rund 1,5 Milliarden Euro Jahresumsatz.
Rings um das thüringische Jena entsteht gerade ein Brennpunkt, der sich mit Hilfe der Fraunhofer-Institute und der Universität Jena schon bald zu einer echten Technopole herausbilden könnte. Selbst die abseitige Lage hinter den Bergen bei den sieben Zwergen muss hier kein Killerargument sein: Optische Bauelemente sind extrem klein und leicht. Die Logistik ist somit ein deutlich geringeres Problem als etwa in der Automobiltechnik, im Flugzeugbau oder in ähnlichen Hoch- und Spitzentechnologien.
Zumal sich die Forscher und Entwickler bereits auf die entscheidende Strategie der Vereinfachung geeinigt haben. "Wir müssen die Herstellung optischer Systeme automatisieren", sagt Zentralfigur Tünnermann. Bis jetzt bestehen optische und optoelektronische Elemente noch aus vielen verschiedenen Werkstoffen Linsen und Spiegel aus Glas, Dioden aus Halbleitern, dazwischen Glasfasern und die übliche mikroelektronische Regeltechnik mit ihren metallischen Leiterbahnen. Künftig könnten alle Linsen eines Systems in einem Arbeitsschritt aus Kunststoff gegossen werden. Die Spiegel könnten zum Beispiel durch Piezokristalle ersetzt werden, die beim Anlegen einer elektrischen Spannung ihre Gitterstruktur verändern und deshalb Licht umlenken.
In der Robotertechnik geht es um optische Sensoren: Laser tasten Werkstücke ab, so dass diese ganz präzise unter die Schweißelektrode oder die Klebstoffdüse gerückt werden können.
In der Automobiltechnik wird die Bildauswertung eine immer größere Rolle spielen. Schon heute projizieren raffinierte Nachtsichtgeräte verstärkte Bilder ins Head-up-Display oder auf den Monitor des Navigationsgeräts von Luxuslimousinen. Infrarotlaser scannen hier das Gesichtsfeld vor dem Fahrer ab und erkennen, wo etwa Menschen nahe der Fahrbahn gehen, die im Halbdunkel oder im schnellen Wechselspiel von Kunstlicht und Schatten vom menschlichen Auge normalerweise nicht gut erkannt werden.
Die automobilen Nachtsichtsysteme können auch vor gefährlichem Wildwechsel warnen Rehe oder Wildschweine nahe der Fahrbahn werden aufgrund ihrer Körperwärme vom Infrarotlaser genauso gut erfasst wie Menschen.
Die Zukunft der optischen Technologien: Optische Technologien sollen, wenn es nach ihren Förderern in den Ministerien und Forschungseinrichtungen geht, in Zukunft ganz selbstverständlich an allen Produktions- und Regelprozessen mitwirken.
Sie sollen in nahezu allen Geräten vertreten sein. Da Lasersysteme zum Beispiel berührungsfrei arbeiten, lassen sich mit ihnen ganz neue Formen der Materialbearbeitung entwickeln, die bis her als Bohren, Fräsen, Drehen oder ganz allgemein als "spanabhebende Verfahren" gelten.
Andere Laserverfahren können Oberflächen berührungs- und staubfrei glätten. Oder aber sie können Nanostrukturen einfräsen und damit Kunststoffe oder Glas "entspiegeln", blendfrei machen.
Das Fraunhofer-IOF in Jena hat zum Beispiel ein Patent für sogenannte Mottenaugen entwickelt: Linsen- und Sensorsysteme, die ein regelmäßiges Muster von wenige Millionstel Millimeter kleinen Kegeln auf der Oberfläche tragen, haben eine sehr deutlich verbesserte Nachtsichtfähigkeit: Sie nutzen das einfallende Licht besser aus, weil es von ihren Oberflächen nicht reflektiert wird.
Vorbild war, wie der Name besagt, das äußerst lichtsensible und auflösungsstarke Organ des Nachtfalters ein gelungenes Beispiel für "Bionik", also für ein Zusammenspiel von Natur und Technik.