SCHLANKHEITSMITTEL Zum Glück der Damen
In den letzten Novembertagen kehrte der Hamburger Pharmazeutika- und Kosmetika-Grossist Herbert Gustav Andresen, 30, aus Amerika zurück. Er hatte in den Vereinigten Staaten mit einigen Firmen seiner Branche beraten, wie er mit seinem Schlankheitsmittel, das er aus Zellulose, Kokos-Flocken, Ephedrin* und einigen Zutaten zusammenbrauen läßt und unter dem Namen »Cocos« in den Handel bringt, auch die amerikanischen Frauen beglücken könnte.
Direkt vom Hamburger Flugplatz Fuhlsbüttel fuhr der »Cocos«-Fabrikant zu dem großen Fabrikneubau seines Unternehmens, der »Colex Andresen KG«, wo Handwerker die Richtkrone am Dachgebälk befestigt hatten.
»Dieser Bau«, so prophezeite Andresen in seiner Ansprache beim Richtschmaus, »wird das Stammhaus eines weltweiten Unternehmens werden. Im nächsten Jahr wird ,Cocos' auch den amerikanischen Frauen ein Begriff sein.«
Schon vor einigen Monaten hatte sich Andresen um den Export seines Schlankheitsmittels bemüht. Damals verhandelte er mit Importeuren aus den arabischen Ländern. »Das Schönheitsideal im Nahen Osten«, so kommentierte Andresen jene Bemühungen, »hat sich durch den Einfluß des amerikanischenFilms völlig gewandelt. Auch dort ist heute Schlanksein Trumpf. Wir werden mit 'Cocos' die Harems entfetten.« Diesen Plan mußte der Schlankheitsmittelfabrikant jedoch wegen der kriegerischen Verwicklungen im Orient zurückstellen.
Die seltsame Konjunkturblüte der Entfettungsmittel-Industrie, von der in Westdeutschland schon seit geraumer Weile 22 Firmen profitieren, ist nicht nur eine Folge modischer Allüren. Das Bielefelder Demoskopische Institut Emnid hat vor kurzem durch eine Umfrage festgestellt, daß 15 Prozent aller über 16 Jahre alten westdeutschen Bürger - das sind fünf Millionen Bundesdeutsche - an Korpulenz (mehr als fünf Kilo Übergewicht) leiden.
Unter den Frauen beträgt dieser Anteil sogar 21 Prozent, obwohl die westdeutschen Damen sich bereits sehr ausgiebig Abmagerungskuren unterwarfen. Marktforschungsinstitute errechneten, daß Westdeutschlands gutgenährte Bürger im vergangenen Jahr rund 40 Millionen Mark für rezeptfreie Schlankheitsmittel ausgegeben haben.
Den größten Nutzen aus dieser Doppelkinn-Epidemie zieht der Hamburger Pharmazeutika-Grossist Andresen: Vor vier Jahren verdiente er als Vertreter einer kleinen Hamburger Büromöbelfabrik knapp 250 Mark monatlich, jetzt verkauft er monatlich für 1,6 Millionen Mark Schlankheitsmittel, wobei er ungewöhnlich gut verdient: Andresen zahlt der Firma, die seine Entfettungsmittel im Lohnauftrag herstellt, etwa eine Mark für 210 Gramm Cocosmasse - das entspricht dem Inhalt einer Normalkurpackung, die Andresen für 11,50 Mark an seine Kunden versendet. (Für Porto und Verpackungsmaterial muß die Colex KG etwa 80 Pfennig je Kurpackung aufwenden.)
Der schlanke Hamburger ist nicht nur Produzent, sondern gleichzeitig Versandhändler. Seine Mittel (er bringt laufend kosmetische Novitäten heraus) sind nur im Direktbezug erhältlich.
Andresen zog sich bald den Neid der gesamten pharmazeutischen Branche und der Apotheker zu, deren Entfettungsdrogen wegen Andresens massiver Werbung kaum noch beachtet werden. Andresen hat im ersten Halbjahr 1956 etwa 35 Prozent aller in Westdeutschland vertriebenen Schlankheitsmittel unter die fettleibigen Massen gestreut.
Seinen Geschäftserfolg verdankt er in erster Linie seiner Werbe- und Verkaufstechnik. Den ersten Kontakt zu seinem Publikum verschaffte er sich mit Großanzeigen, mit denen er vorwiegend allzu üppige Damen anspricht. Andresen gibt in manchen Monaten bis zu 350 000 Mark für Zeitungsinserate aus*.
»Auch ein Minister ist mein Kunde«
Die Anzeigentexte werden je nach dem Charakter der Zeitung so variiert, daß sie stets der Mentalität der Leserschicht des Blattes entsprechen. Andresen veröffentlicht zum Beispiel in bestimmten Wochenzeitungen Anzeigen, die aus einem penetranten Konglomerat erotischer Anspielungen bestehen. Den korpulenten Damen werden »neue Chancen in Liebe und Ehe« versprochen, falls sie ihre unerquickliche Körperfülle reduzieren.
Die Colex-Werbung geht aber nicht nur in Geschmacksfragen, sondern auch in wettbewerbsrechtlicher Hinsicht bis hart an die Grenze des Erlaubten. Fast jede »Cocos« -Anzeige ist mit den Abbildungen zweier Damen illustriert: einer korpulenten und einer schlanken. Der Text neben den Bildern erweckt den Eindruck, als schildere die abgebildete Frau ihre durch das Abmagerungsmittel »Cocos« ermöglichte Entfettung. ("Aus Mauerblümchen wird schlanke Schönheit.") Tatsächlich aber sind die jeweils zusammen abgebildeten Mädchen und Frauen in den meisten Fällen nicht identisch.
Andresen kauft die Bilder meistens von Photographen oder Bild-Agenturen. Wenn dem Abmagerungs-Manager einmal nicht die geeigneten Photomodelle zur Verfügung stehen, greift er ohne zu zögern auf seine Betriebs- oder Familienangehörigen zurück. So ließ er für ein Inserat seine Schwester, Gisela Andresen, 28, zweimal photographieren. Das von Natur schlanke Mädchen erschien einmal mittels photographisch-perspektivischer Kunstgriffe verzweifelt rundlich, daneben aber - in einem langen, die schlanke Linie betonenden Abendkleid - als begehrenswerte Schönheit.
Ähnlich großzügig verfuhr Andresen mit einem medizinischen Gutachten, das er von einem Fachmann des Hamburger Hygienischen Instituts hatte anfertigen lassen. Obwohl in dem Gutachten nur von der chemisch-pharmakologischen Untersuchung eines seiner Präparate die Rede war, erweckte Andresen in Millionen Werbeschriften seiner »Colex Andresen KG« den Eindruck, als handele es sich bei dem Gutachten um den handfesten Beweis gründlicher ärztlicher Erprobung: (Von ärztlicher Erprobung eines Präparates kann man aber nur sprechen, wenn neben der chemisch-pharmakologischen Untersuchung auch der therapeutische Effekt des Mittels an mehreren Menschen geprüft worden
ist. Das war bei dem bestellten Test nicht geschehen.)
Erst als der Gutachter mit einem Prozeß drohte, stoppte Andresens Hausjurist Helmut Biedermann den Versand des Gutachtens. Seitdem konzentriert sich der Pharmazeutika-Fabrikant wieder auf die Annoncen-Werbung. Jedes seiner Inserate enthält einen Bestellschein mit unauffälligem Kennzeichen, das eine genaue Kontrolle über die Wirkung einer bestimmten Anzeige ermöglicht.
Sobald ein Kunde den aus der Zeitung geschnittenen »Cocos«-Bestellschein eingesandt hat, wird sein Name in die »Kundenbetreuungskartei« eingetragen. Außerdem wird genau vermerkt, welche Tageszeitung oder Zeitschrift der Kunde liest
und auf welche mehr oder weniger primitive Annonce er geantwortet hat. (Es gibt Anzeigen, in die Andresen absichtlich grammatische und sogar orthographische Fehler einstreut.)
Das ist für die spätere psychologische Bearbeitung jedes einzelnen Kunden sehr wesentlich, denn nach der Einordnung in bestimmte soziologische und psychologische Kategorien wird jeder neue Kunde durch raffinierte Briefsendungen dazu verleitet, weiterhin »Cocos« einzunehmen oder andere Andresen-Präparate zu bestellen, zum Beispiel »Energlut-Gehirn-Direktnahrung, für Kinder einfach, für Erwachsene extra verstärkt«, mit der Andresen vor einigen Jahren seine Pillenhändler-Karriere begann. Andresen brachte damals ein Präparat heraus, das die Leistungsfähigkeit des Gehirns anregen soll. Mit Anzeigen-Überschriften wie »Hat Ihr Kind schlechte Zeugnisse?« oder »Ist Intelligenz eßbar?« wirbt Andresen noch heute neue Energlut -Kunden.
Der Chef der Colex KG sagt von seinem florierenden »Cocos«- und »Energlut« -Geschäft: »Wir beliefern von der Grubenarbeiterfrau bis zum Bonner Minister alles, was zum deutschen Volk gehört.« In der Tat findet sich unter den Kunden, die sich von Andresen mit Energlut-Präparaten ("Ist Intelligenz eßbar?") beliefern lassen, auch der ehemalige Bundesminister ohne besondere Aufgaben Dr. Hermann Schäfer (Freie Volkspartei).
Mahnung mit Mariannes Bild
Bei seinem Millionenumsatz kann es sich Andresen leisten, säumige Kunden großzügig zu behandeln. Wer binnen einem Monat seine »Cocos«- oder »Energlut«-Rechnung nicht bezahlt hat, dem wird ein raffinierter Brief zugestellt. Ist der Kunde männlichen Geschlechts, so schreibt meistens der hübsche weibliche Lehrling Marianne diese Mahnung, die mit einem Bild der Marianne geschmückt ist.
Wer auf diese Mahnbriefe nicht reagiert, brauchte bisher nicht mit gerichtlichen Folgen zu rechnen. Andresen treibt keine ausstehenden Gelder von Kunden ein. Er sagt dazu: »Das lohnt sich nicht. Die Rechtsabteilung würde mehr Geld verschlingen, als am Ende wieder hereinkommt.«
Schon vor der Grundsteinlegung seines neuen Fabrikgebäudes in der Harksheide, am Nordrand von Hamburg, hat der langfristig planende Geschäftsmann dafür gesorgt, daß der Geldstrom auch dann nicht versiegt, wenn das »Energlut«- und »Cocos« -Geschäft einmal abflaut. Als Gegenstück zu dem Abmagerungsmittel stellt die »Colex Andresen KG« auch ein »Aufbaumittel« her, das unter dem Namen »Rosan« und dem Slogan: Männer lieben keine zu mageren Frauen« angeboten wird.
Dazu liefert Andresen als Anschauungsmaterial Abbildungen von kurvenreichen Damen, an denen demonstriert wird: »Hierauf kommt es an: elegant gewölbter Hals und sanfte Schultern, volle Arme, gutgeformte Büste und attraktive Beine - alles durch Rosan.«
Den Idealzustand glaubt Andresen erreicht zu haben, wenn er seine Kundinnen - 80 Prozent seiner Kundschaft sind Frauen - je nach Geschäftslage abwechselnd mager oder vollschlank machen kann. So lautete denn auch das gereimte Motto, das der Mauerpolier kürzlich während der Richtfeier des neuen Fabrikgebäudes den Festgästen vom Dachstuhl zurief:
Colex macht mit viel Geschick
Dicke dünn und Dünne dick
* Ephedrin erregt das sympathische vegative Nervensystem und verdrängt bei bestimmter Dosierung das Hungergefühlt.
* Im vergangenen Jahr betrug der Gesamtaufwand der westdeutschen Wirtschaft für Zeitungsanzeigen 830 Millionen Mark, davon stammten 3,2 Millionen Mark aus dem Werbe-Etat der 22 Schlankheitsmittel-Hersteller.
Pharmazeutika-Fabrikant Andresen
Macht Dicke dünn und Dünne dick