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Welthandel »Zum Tango gehören zwei«

aus DER SPIEGEL 46/1993

SPIEGEL: Wird es nach über sieben Jahren Verhandlungen bis zum Stichtag 15. Dezember ein Gatt-Abkommen über den freien Welthandel geben?

Kantor: Wir glauben schon, daß ein Abkommen zustande kommt.

SPIEGEL: Die amerikanische Regierung kümmert sich im Moment aber mehr um den geplanten Nafta-Freihandelsvertrag der USA mit Mexiko und Kanada als um die zähen Gatt-Verhandlungen.

Kantor: Jetzt ist die Europäische Gemeinschaft an der Reihe. Die EG hat bisher kein ausreichendes Angebot auf den Tisch der Uruguay-Runde gelegt. Der Vorschlag der Europäer über den Marktzugang für Waren, für die Landwirtschaft und für die Dienstleistungen wurde nicht nur von uns kritisiert. Darüber haben sich fast alle Länder der Welt beklagt. Die Zollsenkungen sind viel zu gering, um weltweites Wachstum anzuregen. Bei der Landwirtschaft sind noch Fragen offen, und bei den Finanzdienstleistungen sind die Europäer nicht so weit gegangen, wie es möglich gewesen wäre.

SPIEGEL: Was tragen die USA denn dazu bei, daß die Gespräche wie geplant Mitte Dezember beendet sind?

Kantor: Wir haben alles getan, worum man uns gebeten hat. Und wir haben unsere Führungsrolle angeboten, um die Weltmärkte zu öffnen. Nun muß die EG eine positive Antwort geben. Ich wiederhole: Nicht nur die USA sind über das Verhalten der Europäer besorgt.

SPIEGEL: Aber die USA müssen doch auch flexibel sein.

Kantor: Wir wollen zu einem erfolgreichen Abschluß der Uruguay-Runde kommen. Das haben wir bewiesen. Zum Tango gehören aber zwei. Jetzt muß uns die EG auf die Tanzfläche folgen. Die Kapelle spielt. Die Musik ist wunderbar. Das Publikum wartet. Wir brauchen nur noch einen Partner zum Tanzen.

SPIEGEL: Sie tun so, als seien die USA die wahren Hüter des Freihandels. Dabei besteht die Gefahr, daß der Kongreß in Washington am 17. November das mit Kanada und Mexiko ausgehandelte Nafta-Freihandelsabkommen zu Fall bringt. Wo bleibt da die Glaubwürdigkeit der USA?

Kantor: Wenn Nafta zu Fall kommt, täte uns das sehr weh. Es würde in der Tat unsere Glaubwürdigkeit beeinträchtigen. Wir machen uns darüber große Sorgen. Das hätte einen negativen Effekt auf die Uruguay-Runde.

SPIEGEL: Im sogenannten Blair-House-Abkommen wurden die Hilfen für die europäische Landwirtschaft reduziert. Aber die Franzosen bestehen weiter auf einem besonderen Schutz für ihre Bauern. Warum kommen Sie den Franzosen nicht entgegen?

Kantor: Nicht wir haben um Änderungen gebeten. Vor einem Jahr haben wir mit der EG ein Abkommen ausgehandelt. Beide Seiten haben unterschrieben. Warum sollten wir das jetzt wieder ändern?

SPIEGEL: Aber so kommt die Sache nicht weiter.

Kantor: Jeder muß realistisch sein. Wir können den Europäern bei der Lösung ihrer internen Probleme nicht helfen. Bedenken Sie: Auch unsere Farmer sind mit dem Blair-House-Abkommen nicht glücklich. Dennoch stehen wir als Regierung dazu, weil wir die gesamte Uruguay-Runde nicht wieder neu aufrollen wollen. Wir werden die Gatt-Verhandlungen nicht noch einmal führen. So denken im übrigen auch die Deutschen und die Engländer.

SPIEGEL: Vor anderthalb Jahren wurde ein Abkommen zwischen den USA und der EG zur Beschränkung der Subventionen für die Flugzeugindustrie in den USA und der europäischen Flugzeugindustrie abgeschlossen. Sind Sie damit zufrieden?

Kantor: Wir stehen zu diesem Abkommen. Aber wir sind nicht zufrieden. Es hätte anders aussehen müssen. Wir glauben, daß es mehr Disziplin bei den Subventionen geben müßte.

SPIEGEL: Wenn sich kurz vor dem 15. Dezember in den Verhandlungen Bewegung abzeichnet, könnte das dann zu einer Verlängerung der Frist führen?

Kantor: Nein. Am 16. Dezember ist die Sache zu Ende. Das haben auch alle Seiten akzeptiert.

SPIEGEL: Wie sehen Sie denn die Chancen, daß das von Ihnen so vehement befürwortete Gatt-Abkommen am Ende auch vom Kongreß verabschiedet wird?

Kantor: Dafür wird es eine allgemeine Unterstützung geben.

SPIEGEL: Bei Nafta hat die Regierung den Widerstand im Kongreß allerdings gewaltig unterschätzt.

Kantor: Wir leben in einer demokratischen Gesellschaft, da kann es im Umgang mit 535 Kongreßmitgliedern immer Probleme geben.

SPIEGEL: Die US-Handelspolitik ist voller Widersprüche. Der Präsident fordert lautstark freien Handel. Die Administration schreckt aber nicht davor zurück, einzelne Branchen, wie zum Beispiel die heimische Auto-, Stahl- oder Textilindustrie, bei Bedarf durch Importbeschränkungen oder Zölle zu schützen.

Kantor: Außer Singapur gibt es auf der ganzen Welt kein Land mit völlig offenen Märkten. Freier Handel ist ein Ziel, er existiert aber nicht wirklich.

SPIEGEL: Die USA beanspruchen aber doch die Führungsrolle beim Kampf für freien Welthandel.

Kantor: Das heißt aber nicht, daß wir glauben, völlig freien Handel schon in der nächsten Zukunft zu haben oder daß wir Subventionen schnell ganz abschaffen können. Das wäre unrealistisch. Wir müssen langsame, aber entscheidende Schritte in die richtige Richtung machen.

SPIEGEL: Was passiert, wenn die Uruguay-Runde doch scheitert?

Kantor: Das würde natürlich die Beziehungen der Wirtschaftsblöcke beeinträchtigen. Es würde dem Wachstum der Weltwirtschaft schaden. Ich fürchte, es würde zu gewaltigem Pessimismus führen und einige Länder würden ihre Märkte eher mehr abschotten als öffnen. Wir können aber auch ohne erfolgreichen Abschluß der Uruguay-Runde überleben, obwohl wir diesen Ausgang nicht wollen. Der US-Wirtschaft geht es wieder sehr viel besser. Y

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