PARAPSYCHOLOGIE Alle Hellseher Betrüger?
Die »Deutsche Gesellschaft Schutz vor Aberglauben e.V.« (Degesa), die mit missionarischem Eifer versucht, jegliche okkulte und spirituelle »Erscheinung« aufzuspüren und als Schwindel zu entlarven, sieht sich in ihren Bemühungen durch ein Urteil der 16. Zivilkammer des Landgerichts Berlin gehemmt, das einem ihrer gewichtigsten Gegner ("Unser Feind Nr. 1"), dem Freiburger Psychologieprofessor Hans Bender, bescheinigte, er werde in unzulässiger Weise von der Degesa angegriffen.
Die Richter gaben dem Antrag des Professors auf eine Einstweilige Verfügung gegen die Gesellschaft statt, wonach es den Streitern gegen den Aberglauben unter anderem künftig untersagt wird, zu behaupten:
- Professor Bender trete für die Verbreitung des Aberglaubens ein,
- er sei dem Aberglauben verfallen,
- er besitze nicht die Qualifikation eines gerichtlichen Sachverständigen und
- er stelle seine eigenen Wahn-Ideen höher als die Feststellungen der exakten Wissenschaft.
Was indes die Degesa-Leute an dem Urteil vornehmlich erbitterte, ist die Tatsache, daß die Richter mit ihrem Entscheid die Parapsychologie - die Lehre von den übernatürlichen Erscheinungen - als eine Wissenschaft anerkennen, obschon die Parapsychologie von der Degesa seit Jahren als Verherrlichung der okkulten Phänomene erbittert befehdet wird.
Die Parapsychologie wird in der Bundesrepublik vornehmlich von jenem Professor Bender betrieben, der in Freiburg ein planmäßiges Extraordinariat für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene innehat. Außerdem unterhält Bender ein mit privaten und öffentlichen Spenden finanziertes gleichnamiges Institut, in dem er mit einigen unverdrossenen Adepten durch empirische und statistische Analysen versucht, den okkulten und spirituellen Phänomenen auf die Spur zu kommen.
Die Parapsychologie fand seit dem Ende des vorigen Jahrhunderts vor allem in England und Amerika Anhänger und sieht es heute bereits als erwiesen an, daß es seelische und körperliche Vorgänge gibt, die in die gültige wissenschaftliche Systematik nicht eingeordnet werden können. Die Parapsychologen unterscheiden drei Typen der »außersinnlichen Wahrnehmung« - oder wie es Bender vorsichtiger ausdrückt: der »Wahrnehmung außerhalb der uns bekannten Sinnesorgane« -: die Telepathie, das Hellsehen und die Prophetie. Als Telepathie bezeichnen die Parapsychologen die Übertragung eines seelischen Vorgangs von einer Psyche auf die andere ohne Vermittlung der bekannten Sinnesorgane, und unter Hellsehen verstehen sie - im Unterschied zum üblichen Sprachgebrauch - die außersinnliche Wahrnehmung von objektiven Sachverhalten. Die sogar unter den Parapsychologen nicht durchweg anerkannte dritte Form der außersinnlichen Wahrnehmung, die Prophetie, ist das Vorauswissen eines zukünftigen Vorgangs.
Die Parapsychologen, die in Deutschland bislang ein wenig beachtetes Mauerblümchendasein führten und von den alteingesessenen Wissenschaftlern nicht recht ernst genommen wurden, gerieten unversehens ins Kreuzfeuer der Kritik, als sich 1953 der Verein »Deutsche Gesellschaft Schutz vor Aberglauben in Berlin etablierte und den wissenschaftlichen Anspruch der Parapsychologen rundweg abstritt. Über die Aufgaben der Gesellschaft heißt es in Paragraph 2 der Satzungen: »Die Gesellschaft soll wissenschaftliche Studien und Forschungen betreiben und unterstützen, die geeignet sind, alle behaupteten, jedoch unrichtigen und unwahren Beobachtungen und Erscheinungen auf den Gebieten des sogenannten Okkultismus und Spiritismus, der Astrologie, Parapsychologie und ähnlicher Pseudowissenschaften und schwindelhaften Disziplinen aufzuklären und auf ihren Tatsachengehalt zu prüfen...«
In ihrem Anti-Aberglaubensfeldzug hat sich die Gesellschaft, der so prominente Sozialforscher wie Professor Theodor W. Adorno als Mitglieder angehören, unbestreitbar gewisse Meriten erworben. So ist ihr zu danken, daß etlichen Geschicklichkeitsbetrügern, Astrologen, Rutengängern und Geisterbeschwörern ähnlicher Couleur das Handwerk gelegt wurde.
Die Anti-Aberglaubensliga gerierte sich aber auch immer gern als Vollstreckungsbeamter der exakten Naturwissenschaft. So nimmt es nicht wunder, daß sie- sich insbesondere mit den eigentlich harmlosen Parapsychologen anlegte, die - da sie »außersinnliche Wahrnehmungen« für möglich halten - alle okkulten Phänomene wissenschaftlich durchleuchten.
In einem jahrelangen Kleinkrieg verfolgten die Kämpen gegen den Aberglauben den Parapsychologen Bender, um nachzuweisen, daß die Parapsychologie »in Wort und Schrift für die Verbreitung des Aberglaubens eintrete«, sie sei nichts weiter als »fauler Zauber«, dem Bender »rettungslos verfallen« sei.
Der solchermaßen der Spökenkiekerei verdächtigte Bender - »Ich bejahe die Existenz einer solchen Gesellschaft, nur wird sie von unwissenschaftlichen und unqualifizierten Personen angeführt« - ließ sich
jahrelang verdächtigen, bis Ende Mai 1958 die Gesellschaft massiv gegen ihn vorging: Der Vorsitzende der Gesellschaft, Regierrungsdirektor im Ruhestand Johannes Brunner, forderte in einem Schreiben an alle Generalstaatsanwälte der Bundesrepublik, sie sollten künftig verhindern, daß Bender weiterhin als vom Gericht bestellter Sachverständiger bei Prozessen gegen Okkultbetrüger fungieren dürfe
Als gerichtlicher Sachverständiger in einem Okkultprozeß könne nur jemand in Frage kommen, der selbst frei sei von jedem Aberglauben und der allen angeblichen »okkulten Erscheinungen« die Skepsis entgegenbringe, die Aristoteles die Voraussetzung einer jeden Wissenschaft nennt, nicht aber ein Mann, der es für möglich halte, daß das Herabfallen eines Bildes oder das Erscheinen eines schwarzen Katers kommendes Unheil anzeige, und der bei jeder Nachprüfung eines »hellseherischen Phänomens« von der Hypothese ausgehe, daß es ein Hellsehen gebe.
Nun hat sich Okkult-Forscher Bender tatsächlich als gläubiger Adept der parapsychologischen Hypothesen auch in solchen Fällen engagiert, in denen sich später einwandfrei herausstellte, daß er schlichten Geschicklichkeitsbetrügern aufgesessen war.
Als vor etlichen Jahren der Magier« Fritz Strobl vor einer geladenen Gesellschaft das Experiment einer Wirkung in die Ferne demonstrierte, indem er den von ihm präparierten Nachrichtensprecher des Bayrischen Rundfunks, Dieter Elwenspoek, völlig unprogrammgemäß während der Abendnachrichten die Worte »Regina, Karo-Dame« aussprechen ließ, verbreitete sich Parapsychologe Bender in der »Welt": »So oder so, ob mittels eines Tricks oder einer Fernbeeinflussung, scheint der Nachrichtensprecher des Bayrischen Rundfunks Opfer eines fremden Willens geworden zu sein, als er während der Durchsage plötzlich Worte aussprach, die als Zeichen geheimnisvoller Vorgänge zur Zeit in aller Munde sind. Für den kritischen Beobachter des Phänomens ist der erste Gesichtspunkt die Verabredung und Mitwisserschaft... Niemand würde seine' berufliche Existenz aufs Spiel setzen, indem er die Hand zu einem vorgetäuschten Experiment bietet...«
Strobl entwischte nach diesem gefingerten »Experiment«, das seinerzeit viel Staub aufwirbelte, ins Ausland, »Medium« Elwenspoek erhielt drei Wochen Gefängnis wegen »groben Unfugs«. Lakonisch kommentierte die Degesa den »Welt«-Artikel des Professors: »Die Ausführungen Benders zu diesem Fall sind nur damit zu erklären, daß Bender so unter dem Einfluß der vermeintlichen Tatsächlichkeit okkulter Phänomene steht, daß ihm die Fähigkeit fehlt, nüchtern und verstandesgemäß einen Fall zu beurteilen.«
Und der Trickexperte Carl Pelz, ein ehemaliger Regierungsinspektor, der im Auftrage der Degesa Aufklärungsvorträge über Okkultbetrüger hält, höhnte: »Herr Professor, seien Sie mir bitte nicht böse, wenn ich Ihnen sage, daß Sie für die Beurteilung dieses Falles gar nicht zuständig waren. Dafür war nur ein Taschenspieler kompetent.«
Die nachträgliche Rechtfertigung Benders klingt allerdings recht mager: Als er damals um den Artikel gebeten worden sei, habe er sich telephonisch mit Kollegen des Elwenspoek in Verbindung gesetzt. Die Rundfunkleute hätten ihn gebeten, den Sprecher doch in Schutz zu nehmen, da sie dessen Bestechlichkeit für unmöglich hielten. Um den Nachrichtenmann »im Rahmen des Vertretbaren zu entlasten«, habe er damals die Möglichkeit erwogen, daß Elwenspoek von Gaukler Strobl oder einem Dritten vor dem Experiment suggestiv beeinflußt worden sei. Bekennt Bender heute: »Ich war damals wohl zu gutgläubig«
Was seine Widersacher ihm ebenfalls immer wieder vorwerfen, ist die Tatsache, daß Bender seit etlichen Jahren Versuche mit dem holländischen »Hellseher« Croiset betreibt und zuweilen auch in der Öffentlichkeit vorführt. Bender hält Croiset für eine echte mediale Begabung, während Trickexperte Pelz von der Gesellschaft Schutz vor Aberglauben auch den Croiset kurzerhand abtut: »Er ist ein Betrüger wie alle anderen Hellseher auch.«
Dagegen möchte Bender seine Croiset-Experimente durchaus wissenschaftlich gewürdigt wissen. In einem Aufsatz über seine »Platzexperimente mit dem Sensitiven Gerard Croiset« in der von ihm herausgegebenen »Zeitschrift für Parapsychologie und Grenzgebiete der Psychologie«, an der unter anderem auch der Hamburger Physikprofessor und CDU-Bundestagsabgeordnete Professor Pascual Jordan mitarbeitet, berichtet Bender ausführlich über seine Versuche. Croiset, der in Holland eine Heilpraxis ausübt und sich ohne Entschädigung für wissenschaftliche Versuche zur Verfügung stellt muß dabei voraussagen, wer bei einer- Veranstaltung auf einem bestimmten Platz sitzen soll. Er schildert sodann das Äußere der betreffenden Personen und beschreibt ihre Eigenschaften. »Die methodische Schwierigkeit dieser Versuche«, so schreibt Bender, »besteht in dem Nachweis, daß die Schilderung für die Zielperson charakteristisch ist und nicht auch für andere Personen zutrifft.«
Die Experimente Benders mit Croiset schienen allerdings dem Direktor der Universitäts-Nervenklinik in Göttingen, Professor Dr. Conrad, der an einem solchen Versuch teilnahm, so trivial, daß er kommentierte: »Banale Schaubudenschlager, wie sie auf jeder Kirmes seit vielen Jahrzehnten gezeigt werden.«
Es meldeten sich aber auch Hochschullehrer, die des Freiburger Professors Arbeiten durchaus positiv bewerteten. So bescheinigte der emeritierte Professor für Mathematik, Erhard Tornier, dem Bender, es stehe außer Zweifel, daß seine Arbeit nichts mit Aberglauben zu tun habe, sondern »ernsthafte wissenschaftliche Probleme« betreffe. Und mit einem Seitenhieb auf den Chef der Anti-Aberglaubens-Gesellschaft: »Wenn Leute vom Ränge C. G. Jungs, des Nobelpreisphysikers W. Pauli und andere mehr für die Existenz der genannten Phänomene eintreten, was ja Herr Brunner weiß, so sollte er lieber vor dem Urteil derer, die ihm an Urteilskraft tausendmal überlegen sind, schweigen, als durch zügellose, unsachliche und den Sachverhalt entstellende Angriffe gegen Sie (Bender) wissenschaftliche Forschung zu stören zu versuchen.«
Zu ähnlichen Resultaten wie der Professor Tornier kam auch die 16. Berliner Zivilkammer unter Vorsitz des Landgerichtsdirektors Technau, als sie dem Gesellschaftsvorsitzenden Brunner vorhielt, daß von einer »zulässigen Kritik (an Bender) keine Rede sein« könne. »Denn das Rundschreiben (an die Generalstaatsanwälte), beziehungsweise die beanstandeten Äußerungen setzen sich nicht etwa nur mit der vom Antragsteller in seinen Veröffentlichungen vertretenen Auffassung auf dem Gebiet der Parapsychologie auseinander, sondern sind im wesentlichen darauf abgestellt, die Persönlichkeit des Antragstellers herabzuwürdigen.«
Dabei wies Kammervorsitzender Technau insbesondere auf die Passagen des Brunner-Rundschreibens an die Generalstaatsanwälte hin, in denen die Gesellschaft die bisherige Gutachtertätigkeit Benders bei Okkultprozessen bissig kommentiert und
behauptet hatte, ;"daß die Okkultbetrüger, die in Bender ihren besten Anwalt erblicken, sich regelmäßig... auf Bender berufen und ihn um Erstellung von Privatgutachten bitten«. Und: »Wenn die Gerichte die Ansicht eines Sachverständigen, der seine eigenen Wahn-Ideen höher stellt als die Feststellungen der exakten Wissenschaft, zur Grundlage ihrer Entscheidungen machen, darf man sich über die vielen bedauerlichen Freisprüche, von denen man immer wieder hört, nicht wundern.«
Als Richter Technau hier einhakte und wissen wollte, wieviel dieser »bedauerlichen Freisprüche« die Gesellschaft denn aufzählen könne, wußte der Vertreter der Gesellschaft keine Antwort, während Bender eine eidesstattliche Erklärung abgab, wonach keines seiner Gutachten zu einem Freispruch geführt habe.
So war es nicht verwunderlich, daß dem
Antrag des Professors auf eine Einstweilige
Verfügung gegen die Gesellschaft entsprochen wurde.
Indes, die Gesellschaft will sich mit diesem erstinstanzlichen Urteil nicht zufrieden geben. Sie hat bereits wissen lassen, daß sie den Prozeß nötigenfalls bis zum Bundesgerichtshof durchfechten will. Nach ihrem Willen soll gerichtsnotorisch festgestellt werden, daß es sich bei Benders Bemühungen, die okkulten Phänomene aufzuhellen, um alles andere denn wissenschaftliche Forschung handelt.
Die Gesellschaft hat bereits neue Helfer in ihrem Streit mit den Parapsychologen gefunden: Der Sachbearbeiter der »Zentrale zur Bekämpfung der Unlauterkeit im Heilgewerbe«, Obermedizinalrat im Ruhestand Dr. Schüppert, forderte in einem Rundschreiben die Mitglieder auf, Erklärungen beizubringen, »in denen der Unsinn und die Gefahren der sogenannten Parapsychologie sowie die Notwendigkeit des Kampfes gegen diese 'Pseudowissenschaft' ausdrücklich bescheinigt« werden.
Okkult-Forscher Bender
»Ich war zu gutgläubig«
Hellseher Croiset
Mediale Begabung oder Betrug?