Atomdrohungen im Ukrainekrieg Strategisch, taktisch, schmutzig

Strategische russische Atomrakete vom Typ Topol-M im Jahr 2011 bei einer Parade auf dem Roten Platz in Moskau
Foto: DPAIn den letzten Tagen wurde vermehrt vor dem Einsatz einer »schmutzigen Atombombe« im Krieg Russlands gegen die Ukraine gewarnt. Moskau bezichtigte Kiew des Baus einer solchen Waffe, sogar Machthaber Putin sprach davon – verbreitete jedoch als »Beweis« nur ein Foto von Rauchmeldern, das die slowenische Atommüllentsorgungsbehörde Arao im Jahr 2010 aufgenommen hatte.
Doch so plump Putins Bombenpropaganda daherkommt, so ernst ist die Lage: Seit Hiroshima und Nagasaki 1945 wurden Atomwaffen nicht mehr in einem Krieg eingesetzt, doch seit die russische Invasion in der Ukraine nicht nur ins Stocken gekommen, sondern sogar zurückgeschlagen wurde, wächst die Sorge, dass der Kreml seinen atomaren Drohungen Taten folgen lässt.
Wovon ist dabei die Rede, was ist der Unterschied zwischen strategischen, taktischen und »schmutzigen« Atomwaffen? Wer könnte sie einsetzen, was für eine Wirkung hätten sie? Ein Überblick.
Strategische Atomwaffen
Russland ist die größte Atomwaffenmacht der Welt und verfügt über rund 4500 einsatzbereite Kernwaffen. Die meisten davon gelten als strategisch: Sie dienen der atomaren Abschreckung und sollen nicht in bewaffneten Konflikten für militärische Ziele eingesetzt werden. Sie würden vor allem zivile Ziele anvisieren und dort massive Zerstörungen auslösen.
Sie stehen montiert auf Interkontinentalraketen in Silos, befinden sich auf mobilen Abschussrampen, unter den Flügeln von Langstreckenbombern – oder in U-Booten, um innerhalb weniger Minuten fast jedes Ziel auf der Erde erreichen zu können.
Strategische Waffen sollen abschrecken – der potenzielle Gegner soll wissen, dass es sie gibt und Russland damit im Angriffsfall zurückschießen würde. Als Putin zu Beginn des Krieges die Alarmstufe der russischen Atomstreitkräfte erhöhte, war das eher ein Signal an den Westen, sich rauszuhalten. Um solche Waffen abzufeuern, bräuchte es keine formale Erhöhung der Alarmstufe – sie sind jederzeit einsetzbar.
Taktische Atomwaffen
Solche Gefechtsköpfe dienen der Bekämpfung gegnerischer Streitkräfte, visieren also vor allem militärische Ziele an. Sie besitzen eine geringere Sprengkraft als strategische Waffen und werden zentral gelagert, um bei Bedarf auf entsprechende Trägersysteme montiert zu werden: Kurzstrecke, Mittelstrecke oder Langstrecke. Derzeit besitzt Russland rund 1900 dieser nuklearen Sprengsätze: 900 bei der Marine, 500 bei der Luftwaffe, 400 werden für Flugabwehrsysteme bereitgehalten, um einen feindlichen Angriff mit Kernwaffen zu stoppen.
Die Unterscheidung von taktischen und strategischen Waffen ist fließend und beruht nur auf einer politischen Definition für unterschiedliche Einsatzzwecke (und der dadurch bedingten Größe oder Sprengkraft): In der Funktionsweise gibt es keinen Unterschied, strategische Waffen könnten auch Militärbasen im Hinterland anvisieren, und und auch die Auswirkung bliebe wohl nicht auf das militärische Ziel beschränkt.
Auch der Einsatz einer taktischen Atomwaffe erzeugt eine atomare Detonation mit enormer Energiefreisetzung, Feuerball, Druckwelle und radioaktiver Strahlung, dazu radioaktiven Fallout in der Atmosphäre. »Jeder Einsatz von Kernwaffen, egal ob klein, groß, taktisch oder strategisch, wird unfassbares Leid und Sterben hervorrufen«, sagt der Atomwaffenexperte Malte Göttsche, Professor an der RWTH Aachen, bereits im Mai gegenüber dem SPIEGEL .
Die »schmutzige« Bombe
Eine »schmutzige Bombe« besteht aus radioaktivem Material, das mit konventionellem Sprengstoff freigesetzt wird. Sie ist viel einfacher und billiger zu bauen als ein nuklearer Sprengsatz und weit weniger gefährlich: Herkömmlicher Sprengstoff wird neben strahlendem Material platziert, das dann durch die Wucht der Explosion nach außen geschleudert wird. Die Menge des freigesetzten radioaktiven Materials ist zwar gefährlich, aber nicht unbedingt tödlich. Im Unterschied zur Atombombe kommt es zu keiner nuklearen Kettenreaktion.
Die Zahl der Opfer und das Ausmaß der Schäden hängen von vielen Variablen ab: Menge und Art des Sprengstoffs und der freigesetzten radioaktiven Stoffe, auch der Einsatzort und das Wetter: Je weiter sich radioaktives Material in der Atmosphäre ausbreitet, desto geringer wird seine Konzentration und desto weniger gefährlich ist es.
Schmutzige Bomben sind seit Langem als potenzielle Waffe von Terroristen gefürchtet. Ihr Hauptziel ist es, Panik, Verwirrung und Angst zu stiften, weshalb sie oft als »Massenstörungswaffen« bezeichnet werden. Die psychologischen und ökonomischen Folgen der Explosion einer schmutzigen Bombe wären gravierend, wie verschiedene Untersuchungen belegen.
Das für die Bombe verwendete Material könnte aus radioaktiven Quellen stammen, die in der Medizin und Industrie oder in Forschungseinrichtungen verwendet werden. Experten warnen seit Jahren, dass sich staatliche oder auch nicht staatliche Akteure solcher Waffen bedienen könnten.
Dass die Ukraine eine »schmutzige« Atombombe einsetzt, dürfte aber vor allem ein Szenario der russischen Propaganda sein. Die Auswirkungen würden vor allem die Ukraine treffen.