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Automobile Blanke Zähne

Deutlich früher als geplant stellt BMW den neuen 5er vor. Kundenabwanderungen zu Mercedes machen den Münchnern Sorgen.
aus DER SPIEGEL 39/1995

Die Angst des Wagenbauers vor den Autotestern ist derzeit bei BMW besonders ausgeprägt.

Nicht die Kritik ist es, die Entwicklungsvorstand Wolfgang Reitzle in erster Linie fürchtet, seit vergangene Woche die ersten Modelle des 5ers für Testfahrten freigegeben wurden. Reitzles Sorge gilt der Fahrweise der Tester und seinen Autos.

»Wir dürfen auf keinen Fall Fahrzeuge durch Unfälle verlieren«, gemahnte er vergangene Woche im vertrauten Kreis. Die Autos sind knapp, keine Ersatz-Testwagen in Reserve, denn die Produktion ist kaum angelaufen. Dennoch drängte der BMW-Vorstand auf eine schleunige Markteinführung des neuen 5ers - drei Monate früher als ursprünglich geplant.

Der Grund solcher Eile ist die irritierende Beobachtung, daß eine mit jedem Tag der Säumnis größer werdende Zahl von BMW-Fahrern die Verkaufsstellen des Erzrivalen Mercedes-Benz ansteuert. Dort steht bereits seit Juni ein neues Modell der Oberklasse, ein auffallend kulleräugiges Gefährt, dem offenbar eine sirenenhafte Anziehungskraft auf bislang münchentreue Kunden innewohnt.

Mit wachsendem Groll hören die BMW-Oberen von Kundenbefragungen aus Stuttgart, denen zufolge die neue E-Klasse erstaunliche »Eroberungsraten« in Richtung BMW verzeichnet: Knapp 30 Prozent der Käufer des neuen Mercedes-Modells kommen als Umsteiger von BMW, vorwiegend von Exemplaren der alten 5er-Reihe.

Solch bedrohlicher Kundenflucht soll nun der neue 5er Einhalt gebieten - keine leichte Aufgabe. Denn es könnte den offenbar nach Abwechslung trachtenden BMW-Fahrern schwerfallen, den neuen 5er als solchen zu erkennen: Die Designer vermieden allzu offensichtliche Formveränderungen und schufen das neue Modell weitgehend nach dem Bilde der längst bekannten 3er-Baureihe.

Die Fachpresse reagierte mit Spott: »Bravo, BMW, der neue 3er sieht super aus. Wann kommt der neue 5er?« höhnte Auto Bild. Entwickler Reitzle reagiert auf solche Kritik »ganz gelassen": »Der Wagen muß so aussehen, wie er aussieht«, tautologelte er vergangene Woche gegen derlei Nörgeleien an. Im Vordergrund des Designs stehe die »überzeugende Gesamtkonzeptharmonie«.

Obwohl das Blechkleid dem konservativen Gleichklang folgt, berge der neue Wagen technisch wegweisende Innovationen, etwa das erste Großserienfahrwerk aus Aluminiumteilen. Weniger bewegte Massen führten zu mehr Fahrdynamik, und darauf komme es dem BMW-Lenker an.

Auch die passive Sicherheit wurde verbessert. Der Kraftstofftank liegt jetzt vor der Hinterachse und nicht mehr im Wagenheck. Die antiquierte Position hatte beim Vorgängermodell nach umstrittenen Feuerunfällen einige Crash-Experten in Unruhe versetzt (SPIEGEL 37/1994).

Daß die Fertigungsqualität schon bei den ersten Exemplaren des neuen 5ers tadellos sei, räumten die Autoexperten nach Testfahrten vergangene Woche bereits ein. Der gefürchtete Eifeler Motor-Kritiker Wilhelm Hahne zeigte sich geradezu verzückt vom minimalen Flankenspiel der Getriebezahnräder. Bei abrupten Gaswechseln vernehme man in der Übersetzung nicht das geringste Zucken im Antriebsstrang.

Solches Lob dringt an das Techniker-Ohr wie der seidenweiche Klang eines Reihensechszylinders. Carl-Peter Forster, Leiter des 5er-Projekts, schwärmte sogleich, welch enormen Aufwand die Getriebebauer etwa dem feinen Ineinanderwirken der blanken Zähne widmeten. Diese Akribie könne man dem Zulieferer freilich nur bei Hochpreis-Autos abverlangen. Der neue 5er, der als Benziner in Motorversionen zwischen 150 und 193 PS auf den Markt kommt, kostet in der billigsten Version 54 500 Mark.

Eine Auffächerung der elitären BMW-Palette hin zu volkstümlichen Preisregionen wird es laut Reitzle nicht geben. Damit, das zeige auch die Entwicklung mancher Modekonzerne, ginge das Markenprestige langfristig in die Binsen. Ähnlich wie beim Design wagt BMW also auch in der langfristigen Produktplanung keine Experimente - ebenfalls in diametralem Gegensatz zu Mercedes.

Während die ehedem altväterliche Luxusmarke Mercedes das Kompakt- und Kleinwagensegment bis hinunter in die 15 000-Mark-Klasse (Swatch) ansteuert, scheint BMW in Traditionsbewußtsein wie versteinert.

Zunehmend aggressiv wird auch die Tonlage, mit welcher der Münchner Konzern den schwäbischen Rivalen attackiert. Kaum war im Juni die E-Klasse aus Stuttgart auf dem Markt, startete BMW über sein Händlernetz eine bissige Werbekampagne; darin wurde der Konkurrent direkt genannt - früher ein Tabu.

»Wir haben eine Meinung zur neuen E-Klasse«, verhieß der Anzeigentext in fettgedruckten Lettern. Sodann baten die BMW-Händler ihre Kunden um »ein paar Monate Geduld«, damit sie später sagen könnten: »Es hat sich gelohnt, ein wenig zu warten. Sprechen Sie mit uns über den neuen 5er. Und wenn Sie wollen auch über die neue E-Klasse.«

Das klang sogar manchem Handelspartner zu heftig. Einer protestierte, solche Anzeigen seien »unter meiner Würde«. Zerknirscht zog BMW die Kampagne zurück. Y

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