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ÖKOLOGIE Brandstifter in der Heide

Weltweit entzündet ein Freiburger Feuerökologe Wälder und Steppen - im Dienst von Forschung und Landschaft. Brände, so predigt er, seien oft nützlich, sie verjüngten die Natur.
aus DER SPIEGEL 28/2006

Es ist ein perfekter Tag: Die Sonne scheint, der Kuckuck ruft, eine sanfte Brise weht über die Heide bei Lütjenholm nahe Husum - ideale Voraussetzungen, um ein paar Wäldchen abzufackeln, findet Johann Georg Goldammer.

Bedächtig schreitet er durch das Gestrüpp aus Krähenbeeren. Aus einer speziellen Gießkanne träufelt er ein brennendes Gemisch aus Benzin und Diesel. Flämmchen züngeln, lodern höher, dann verdunkeln Rauchschwaden den Himmel. Die Landschaft steht in Flammen, und Goldammer schaut zufrieden zu.

»Ohne das Feuer wäre die Heide hier in zehn Jahren verschwunden«, sagt Goldammer, ein kräftiger Mann von 56 Jahren mit wasserblauen Augen und signalgelber Jacke aus feuersicherem Nomex-Stoff.

Jahrhundertelang hielten Heidschnucken die Landschaft hier frei von Wald. Doch seit die Zahl der Weidetiere zurückgeht, bilden sich Flecken in der violettblühenden Besenheide. Schmiele, Pfeifengras und Krähenbeeren verfilzen die Landschaft, gefolgt von Zitterpappeln, den Vorboten eines dichten Waldes.

»Alle Pflanzen brauchen Wasser, aber einige brauchen eben auch Feuer«, sagt Goldammer, während er weiter mit der Feuerkanne die Krähenbeeren gießt. Für ihn ist Feuer, wenn man es richtig einsetzt, eine Art universale Gartenmaschine, die gleichzeitig Luft und Licht schafft, den Boden düngt und für Artenvielfalt sorgt.

Johann Georg Goldammer ist einer der einflussreichsten Feuerökologen weltweit. Er leitet das Global Fire Monitoring Center (GFMC), das formal dem Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz angegliedert ist. Seine Büroräume befinden sich in Freiburg, in einem ausrangierten Flughafentower. Einen erheblichen Teil seiner Zeit verbringt er in Flugzeugen irgendwo zwischen Sibirien, Indonesien und Brasilien, um zu forschen und zu beraten.

Er arbeitet mit Instituten in aller Welt zusammen und berät die EU. Seine Zeitschrift »International Forest Fire News« erscheint unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen. Diese Woche will er Angela Merkel und Kofi Annan treffen.

Doch am liebsten legt er vor Ort selbst Hand an. Mit wuchtigen Schlägen hat er seine »Pulaski« geschwungen, ein Zwitterwerkzeug aus Hacke und Axt. Bevor er zu zündeln beginnt, furcht er mit seinen Mitarbeitern eine Sicherheitsschneise in den verfilzten Humus, bis schwarze, feuerfeste Podsolerde zutage tritt.

Penibel misst er Stärke und Richtung des Windes sowie die Feuchtigkeit von Luft und Pflanzen. »Chief«, meldet er sich am Walkie-Talkie.

Goldammers Aktionen sind generalstabsmäßig geplant. Das hängt vielleicht damit zusammen, dass er, der Familientradition getreu, in seinem früheren Leben Marineoffizier war: Nach der Schulzeit in Marburg ließ er sich in Flensburg zum Fregattenkapitän ausbilden, bevor er in Freiburg und Florida Forstwissenschaften studierte. Noch heute ist er Reservist.

Die militärische Präzision beim Brennen ist ihm wichtig. Schon ein verkokelter Baum zu viel könnte seine Arbeit in Verruf bringen und ihn so um Jahrzehnte zurückwerfen. Denn sein zähester Gegner sind nicht die Flammen, sondern das »NatSchG": Naturschutzgesetze von Bund und Ländern verbieten großflächige Brände. Für jedes Testfeuer muss Goldammer Sondergenehmigungen erkämpfen.

»Je weniger sich die Leute auskennen, desto dogmatischer sind sie oft gegen Feuer eingestellt«, sagt Georg Hoffmann von der zuständigen Naturschutzbehörde, der den Freiburger Brandexperten in die Heide eingeladen hat. »Das erste Akzeptanzfeuer« sei immer das schwierigste, misstrauisch beäugt von der lokalen Feuerwehr. Beim zweiten Mal, so Hoffmann, »rücken die bestenfalls noch mit einem Kasten Bier als Löschmaterial an«.

Inzwischen stapeln sich auf Goldammers Schreibtisch Hilfsgesuche. Am Mittelrhein

etwa fackelte er Brombeerhänge ab, um die von der Unesco unter Schutz gestellte Landschaft vor der Verwaldung zu bewahren. Auch die Bahn lässt zugewucherte Bahndämme vom Feuerprofessor roden. Im Schwarzwald will er im August Feuer legen, um Balzplätze für Auerhähne zu schaffen. Am Kaiserstuhl brachte er Winzern bei, wie sie mit »Flämmen« die Weinberge von Unkraut freihalten können. Am Ende bekamen sie eine Art Feuerdiplom. »Ich würde gern die Fackel an die Leute vor Ort weitergeben«, sagt Goldammer, »aber meist fehlt der gesetzliche Rahmen.«

Präzise wie ein Straßenvermesser legt Goldammer ein »Lauffeuer«, das schnell und schonend über den Boden wandert, ohne die Tiere im Erdreich zu versengen. Einzelne Kritiker monieren, dass sich auf Brandflächen weniger Kreuzottern und Zikaden tummeln. Doch die verziehen sich meist einfach auf benachbarte Areale.

Größeres Kopfzerbrechen allerdings bereitet Goldammer die Wechselwirkung von Feuer und Klimawandel. Wird es wärmer, brennt es mehr, was wiederum das Klima aufheizen könnte. Vor dieser Rückkopplung warnte auch das Magazin »Science Express« am vergangenen Donnerstag.

Wie lässt sich dieser Teufelskreis durchbrechen? Für Goldammer ist klar: Feuer lässt sich am besten mit Feuer bekämpfen. Diese Denkrichtung lernte er kennen, als er Mitte der siebziger Jahre mit der Avantgarde der Feuerforschung an der Tall Timbers Research Station in Florida arbeitete.

Waldbrände zu unterdrücken ist gefährlich, so die Argumentation: Je seltener es brennt, desto mehr trockenes Totholz sammelt sich an. Wird diese Zeitbombe dann doch einmal entzündet, schlagen die Flammen bis in die Baumkronen hoch und vernichten, statt zu beleben. »Der Wald der Zukunft muss feuerunempfindlich sein«, sagt Goldammer: »Dafür sind feuerfeste Bäume wie etwa Kiefern geeignet und regelmäßige, kontrollierte Brände.« Schwedische Forstkonzerne zum Beispiel setzen sogar professionelle »Feuermanager« ein.

Hierzulande dagegen gilt das aktive Feuermanagement immer noch als Exotenfach. »Das ist sicherlich auch ein Erbe der deutschen Romantik mit ihrer Vorstellung von der Waldesruh«, sagt Goldammer lachend und zieht eine Atemmaske auf. Denn der Wind hat gedreht, und sein Lauffeuer kommt als glühende Walze auf ihn zu. Gelassen sprüht er ein wenig Wasser auf den Boden. Die Glut beruhigt sich wie ein gutdressierter Hund.

Nach seiner Rückkehr aus den USA predigte Goldammer in Deutschland lange vergebens. Erfahrungen sammelte er deshalb vor allem im Ausland. So beriet er die Feuerkämpfer in Indonesien, als 1997 gigantische Waldbrände Sumatra verwüsteten. Wenig später gründete er dann das GFMC. Aus Prinzip beschränkt er seinen Mitarbeiterstab auf eine Handvoll Leute. »Die Überschaubarkeit hat viele Vorteile«, sagt er. »Für manche Regierungen senkt das die Hemmschwelle, um Rat zu bitten.«

Statt seine Organisation aufzublähen, setzt er auf Kooperation. Gemeinsam mit Chemikern beobachtet er, wie nach Brandrodungen die Rauchschwaden vom Amazonas ostwärts ziehen: Teilweise ist mitten über dem Atlantik die Luft so belastet wie in einem Industriegebiet. Und in Sibirien fackelte der Deutsche einen ganzen Wald ab, um zu dokumentieren, wie sich das Biotop von der Feuersbrunst erholt - 200 Jahre soll die Beobachtung dauern, plant er: »Unsere Nachfahren bekommen dann im Jahr 2192 einen einzigartigen Datenschatz.«

In ein paar Wochen will der Feuerprofessor eine Anleitung zum richtigen Feuergebrauch veröffentlichen, den »Fire Management Code«. Auch über die Gründung einer Rothelm-Truppe zur Bekämpfung von Feuerkatastrophen denkt er nach.

Johann Georg Goldammer sei der wohl am weitesten gereiste Vertreter seines Fachs, schreibt der amerikanische Feuerhistoriker Stephen Pyne. Doch immer wieder stößt der Deutsche unterwegs auf einen alten Landsmann: Sir Dietrich Brandis, einen der Väter der modernen Forstwirtschaft.

Vor 150 Jahren betreute Brandis in der britischen Kolonie Indien die Wälder. Dort predigte er sein romantisches Dogma: Feuer ist der Feind des Waldes. Er war ein einflussreicher Lehrer, seine Pyrophobie prägt noch heute die Politik vieler Länder.

Je mehr er umherreist, desto wichtiger erscheint es Goldammer, das Feuer zurückzutragen in die alten Kulturlandschaften Deutschlands - in die Seelenlandschaft, aus der Brandis das Dogma der Brandverhinderung in die Welt exportierte. Dass in der Lütjenholmer Heide Bäume brennen, ist auch ein symbolischer Akt.

»Die Erde ist ein Feuerplanet, seit mindestens 300 Millionen Jahren gibt es Waldbrände, und vielleicht war die Nutzung des Feuers die erste Kulturtechnik der Hominiden vor anderthalb Millionen Jahren«, sagt Goldammer. »Wir sollten darauf achten, dass wir dieses Wissen der Altvorderen nicht verlieren, sondern vermehren.«

Fast andächtig schaut er in die verlöschende Glut. »Es geht darum, die richtige Balance zu finden zwischen zu viel Feuer und zu wenig«, sinniert er. Und füllt noch einmal seine Benzinkanne nach.

HILMAR SCHMUNDT

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