Covid-19-Todeszahlen An Omikron verstorben – oder mit?

Die Coronatodesfälle steigen in Deutschland wieder. In vielen Fällen könnte Covid-19 nur eine Nebendiagnose sein. Wie häufig dies vorkommt, weiß niemand genau: Viele Bundesländer erfassen die Daten nicht systematisch.
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DER SPIEGEL

Die Omikronvariante gilt als vergleichsweise harmlos – aber Anfang Februar stiegen die Todeszahlen auch in Deutschland wieder. Pro Tag sterben derzeit rund 200 Menschen an Covid-19, vier Wochen zuvor lag die Zahl noch bei 140.

Auch in Dänemark, wo die Omikronwelle einige Wochen früher anstieg als hierzulande, sind die Todeszahlen in die Höhe geschnellt. Sie haben dort nun sogar den bislang höchsten Wert seit Pandemiebeginn überschritten. Am 1. Februar hatte das Land praktisch alle Coronamaßnahmen aufgehoben. Das Statens Serum Institut, Dänemarks oberste Seuchenbehörde, erklärte die aktuell vergleichsweise hohen Sterbezahlen auch mit Veränderungen bei den Todesursachen. Den Daten zufolge  ist der Anteil der an Corona Gestorbenen zuletzt deutlich gesunken – siehe folgendes Diagramm. Gestiegen ist hingegen der Anteil der Menschen, die mit einer Infektion gestorben sind, aber aus anderen Gründen. Eine Rolle könnte dabei auch die Datenerfassung spielen: Wer bis zu 30 Tage nach einer Coronainfektion stirbt, zählt in Dänemark automatisch als Covid-Toter.

Im bisherigen Verlauf der Pandemie waren die meisten mit Corona assoziierten Todesfälle ursächlich auf das Virus zurückzuführen. Eine der frühesten Studien dazu stammt vom Universitätsklinikum in Hamburg-Eppendorf. Dort wurde 2020 bei 735 im Zusammenhang mit einer Coronainfektion Verstorbenen die genaue Todesursache ermittelt – teils durch Obduktion. Ergebnis: In 618 Fällen  war Corona der Hauptgrund – das entspricht 84 Prozent. Auf einen ähnlichen Wert kamen Forscher vom Universitätsklinikum der RWTH Aachen in einer Auswertung von Daten des deutschen Covid-19-Autopsieregisters. In 86 Prozent von 1095 Todesfällen sei Covid-19 die zugrundeliegende Todesursache, berichteten sie im Fachblatt »Lancet« .

Durch die sich besonders schnell ausbreitende Omikron-Variante könnte dieser Anteil auch in Deutschland sinken. Wenn sehr viele Menschen zugleich infiziert sind, dürften sich auch unter allen nicht an Corona Verstorbenen immer mehr finden, die mit dem Virus infiziert waren. Ob dieser Effekt ähnlich groß ist wie in Dänemark, ist jedoch unklar. Das Robert Koch-Institut (RKI) veröffentlicht dazu keine Zahlen – auch auf Nachfrage nicht.

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Eine SPIEGEL-Umfrage unter allen 16 Landesgesundheitsministerien ergab, dass Daten zur Todesursache durchaus erfasst werden, allerdings nicht überall und nicht einheitlich. Aus fünf Bundesländern, darunter Bayern und Baden-Württemberg, liegen wie aus Dänemark Zahlen pro Kalenderwoche vor. Laut diesen Daten ist auch in Deutschland der Anteil der an Corona Verstorbenen gesunken – aber weniger stark als in Dänemark.

In Hessen habe sich der Anteil der an Corona Verstorbenen in der Pandemie kaum verändert, berichtet das Sozialministerium aus Wiesbaden. Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen konnten keine Angaben zu Veränderungen durch die Omikronvariante machen – beide Länder machen nur gelegentlich Sonderauswertungen zu den Todesursachen.

Gesundheitsämter in Deutschland müssen Todesfälle an das RKI melden, wenn ein positiver PCR-Test vorliegt und die Patienten »in Bezug« auf die Coronainfektion verstorben sind. Die Formulierung »in Bezug« umfasst laut RKI ausdrücklich auch Personen mit Vorerkrankungen, bei denen sich die Todesursache nicht abschließend klären lässt. Diese gelten als »verstorben mit Corona«. Die RKI-Meldesoftware SurvNet bietet vier Optionen für die Angabe der Todesursache an:

  • »an der gemeldeten Krankheit«

  • »aufgrund anderer Ursache«

  • »nicht ermittelbar«

  • »nicht erhoben«

Doch offenbar werden diese Angaben nicht überall einheitlich erfasst. Laut RKI könnte das an zusätzlichen fachlichen Vorgaben durch die Bundesländer liegen oder auch an der jeweils vor Ort verwendeten Eingabesoftware. »Generell liegt es immer im Ermessen des Gesundheitsamtes, ob ein Fall als verstorben an beziehungsweise mit Covid-19 ans RKI übermittelt wird oder nicht«, schreibt die Behörde. Bei einem Großteil der an das RKI übermittelten Fälle werde »verstorben an der gemeldeten Krankheit« angegeben.

Sachsen hat sich dazu entschieden, Fälle der Kategorie »verstorben mit Corona« überhaupt nicht ans RKI zu melden. Die Zahlen Sachsens sind damit nicht mit denen aus anderen Bundesländern vergleichbar. Sie könnten um zehn bis 20 Prozent höher sein als derzeit angegeben, würden sie mit derselben Methodik erhoben, die alle anderen Bundesländer nutzen. Sachsens Sozialministerium erklärte dazu: »Prinzipiell gilt die Maßgabe, dass ein an Covid-19 verstorbener Patient ohne eine Infektion mit Sars-CoV-2-nach Einschätzung des behandelnden Arztes noch leben würde, auch wenn er bereits zuvor an anderen schweren Vorerkrankungen gelitten hat.« Deshalb werde in allen Fällen gefragt, ob das Virus todesursächlich war. Treffe dies nicht zu, würden diese Meldungen gelöscht und daher auch nicht als Covid-Todesfall gezählt.

Bremen und Berlin gehören zu den Bundesländern, die auf eine Unterscheidung von »an Corona« und »mit Corona« verzichten. »Hinter den Coronatodesfällen steht fast immer das Versagen eines oder mehrerer Organe«, sagt Lukas Fuhrmann, Sprecher der Bremer Gesundheitssenatorin. Eine präzise Unterscheidung, ob jemand »an« oder »mit Corona« gestorben sei, erweise sich oft als schwierig oder sogar unmöglich. Deshalb würden all diese Fälle als »verstorben an« gezählt.

Ähnlich geht Berlin vor: Bei vielen der verstorbenen Personen lägen teils schwerwiegende Grunderkrankungen wie Schlaganfall, Krebs, Herzinsuffizienz, Diabetes mellitus vor, die wahrscheinlich zum Versterben beigetragen hätten, sagt Oliver Fey von der Gesundheitsbehörde. Die Bewertung der Todesursache werde zusätzlich dadurch erschwert, dass das Virus sehr viele Organe beeinträchtigen könne. »Insofern lässt sich der Anteil der Covid-19-Erkrankung selten exakt beziffern.«

Peter Boor vom Universitätsklinikum der RWTH Aachen hält eine präzise Zuordnung der Todesursache bei Covid-19-Patienten grundsätzlich für möglich. Dazu seien jedoch Obduktionen erforderlich. Diese fanden im Rahmen der kürzlich im Fachblatt »Lancet« erschienenen Datenanalyse auch statt – bei allen 1095 Verstorbenen.

Obduktionen sind in Deutschland jedoch nicht die Regel. Wenn ein Arzt oder eine Ärztin die Todesursache für geklärt hält, wird diese auch ohne Obduktion auf dem Totenschein vermerkt. Zudem können Menschen einer Obduktion auch ausdrücklich widersprechen. Gesundheitsämter orientieren sich bei der Kategorisierung »verstorben an« oder »verstorben mit« an den Angaben auf dem Totenschein, der ihnen in der Regel vorliegt.

Wie stark die Omikronwelle die Todeszahlen in Deutschland verzerrt, wird sich deshalb kurzfristig kaum klären lassen. Es fehlen – nicht zum ersten Mal in der Pandemie – belastbare Daten.

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