ENERGIE Das Beben von Landau
Michaela Kattler lag gerade auf dem Sofa, als die Erde bebte. Gegen 20.40 Uhr am vergangenen Montag - im Fernsehen lief der Thriller »Das Kartell« - knallte es zweimal unter ihrem Haus in Queichheim östlich von Landau.
»Wie ein Donner, der nachhallt«, habe sich das angehört. Beim letzten Knall klirrten die Gläser im Wohnzimmerschrank. »Das war unheimlich«, berichtet Kattler. »Ich wohne seit 50 Jahren hier, und nie ist etwas passiert; aber jetzt mit dem Kraftwerk passiert so was binnen vier Wochen gleich zweimal hintereinander!«
In der Tat besteht der Verdacht, dass die Erdstöße von Menschenhand verursacht wurden: Rund 1600 Meter von Kattlers Haus entfernt, am südlichen Stadtrand von Landau, betreibt die Firma Geox seit Ende 2007 ein Geothermiekraftwerk. 3000 Meter tief haben die Ingenieure gebohrt. 70 Liter heißes Thermalwasser pro Sekunde fördern sie aus der Tiefe. Ist dabei etwas schiefgegangen?
Noch im Mai beschwor Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) in seinem Geothermiebericht das Potential der umweltfreundlichen Energiegewinnung aus Tiefenwärme. Nun dämpfen Warnungen von Geologen die hohen Erwartungen. Nicht nur in Deutschland, auch in Frankreich, der Schweiz und den USA wackelte der Untergrund, als Ingenieure tief in tektonisch aktive Zonen bohrten. Bislang registrierten die Geologen allerdings stets nur ein leichtes Erdbeben. Die bange Frage lautet nun: Kann die Technologie auch heftigere Erdstöße auslösen?
»Es steht außer Frage, dass geothermische Projekte kleinere Beben verursachen können«, bestätigt Rolf Bracke, Professor an der Universität Bochum und Vorstandsmitglied des dortigen Geothermiezentrums. »Allerdings stellen seismische Aktivitäten bis zu einer Magnitude von 3 auf der Richter-Skala kein großes Problem dar - solche Werte können schon durch den Betrieb einer Straßenbahn entstehen.« Der Geologe David Oppenheimer vom US-Geological Survey hingegen warnt vor den Unsicherheiten: »Es lässt sich nicht vorhersagen, wie stark die Erdbeben wirklich sein werden.«
Vor allem in den USA wird über diese Gefahr heftig gestritten. Speziell ein Projekt der kleinen kalifornischen Firma AltaRock Energy in der Region »The Geysers« nördlich von San Francisco sorgt für Streit. Die Ingenieure des Unternehmens arbeiten mit der brachial anmutenden »Hot Dry Rock«-Technologie: Mit einem Druck von 276 Bar wollen sie Wasser so lange in ein vier Kilometer tiefes Bohrloch pressen, bis das Gestein aufbricht wie eine reife Frucht. Dann soll das Nass durch die eröffneten Klüfte und Haarrisse strömen, dabei 250 Grad heiß werden und schließlich durch ein zweites Bohrloch zurück an die Oberfläche schießen (siehe Grafik).
Doch seit wenigen Wochen steht die Pilotanlage still. Anwohner befürchten starke Erdstöße in der Gegend, die als eine der seismisch aktivsten Regionen weltweit gilt. Das für Energiefragen zuständige Department of Energy (DOE) prüft erneut die Umweltverträglichkeit des Projekts.
Dabei sollen Vorhaben wie die AltaRock-Bohrung oder auch das deutsche Geox-Projekt wegweisend sein für eine wachsende Zukunftsindustrie. Die modernen Bohrmeister begnügen sich nicht mehr damit, knapp unter der Erdoberfläche liegende heiße Quellen anzuzapfen und deren Wasserdampf in Strom zu verwandeln. In Zukunft wollen sie die gewaltige Hitze der Erdkruste überall nutzen und treiben ihre Bohrer dafür mehrere Kilometer tief in den Fels. Die Hitze dort gilt als ebenso unerschöpflich wie konstant verfügbar.
Experten des Massachusetts Institute of Technology haben errechnet, dass moderne geothermische Verfahren in den USA bereits in wenigen Jahrzehnten bis zu 100 Gigawatt elektrische Leistung liefern könnten - die gleiche Menge wie rund 70 Atomkraftwerke. In Deutschland ließen sich schon mit heutiger Technik theoretisch 65 Prozent des Strombedarfs durch geothermische Kraftwerke decken, heißt es in einem Bericht des Bundesumweltministeriums (BMU) zur Tiefengeothermie.
Insgesamt schlummert sogar sehr viel mehr Wärme in der Erdkruste, als hierzulande jährlich verbraucht wird. Ob unter dem süddeutschen Molassebecken, dem oberen Rheintalgraben und selbst unter dem norddeutschen Becken - überall herrscht große Hitze.
Doch es scheint, als wehre sich die Erde gegen die kühnen Bohrmeister. Im französischen Soultz-sous-Forêts ging im Juli 2008 ein erstes Tiefengeothermiekraftwerk ans Netz. Bei der Erschließung des Geländes registrierten Geologen über 3500 »seismische Ereignisse«.
Und im Dezember 2006 erschütterte ein Beben der Stärke 3,4 das schweizerische Basel: Im Norden der Stadt hatte ein Team um den Geophysiker Markus Häring fast fünf Kilometer in den eidgenössischen Granit gebohrt. Als die Techniker anschließend Wasser in die Tiefe pressten, von Experten »hydraulische Stimulation« genannt, ging ein gewaltiger Ruck durch die Erdkruste. Zeugen des Geschehens berichten von einem irren Krachen, dem Überschallknall eines Flugzeugs nicht unähnlich. Hausfassaden bekamen Risse. Die Wasserinjektion wurde abgebrochen.
Die Erklärung der Seismologen: Starke Beben entstehen vor allem an tief in der Erdkruste verborgenen Verwerfungen. Wer dort Wasser injiziert, drückt gleichsam Schmiermittel zwischen die unter Spannung stehenden Gesteinsblöcke und kann sie so ungewollt ins Rutschen bringen.
Ist Ähnliches auch in Landau geschehen? Die Geox-Bohrmeister verweisen darauf, dass sie eine andere, weniger brachiale Technik einsetzen. Sie fördern rund 160 Grad heißes Thermalwasser aus etwa drei Kilometer tief liegenden Kavernen (siehe Grafik). Aber auch diese sogenannte hydrothermale Geothermie kann schwache Erdbeben auslösen. Die »Auskühlung des Gesteins« sowie Druckänderungen unter Tage könnten »Mikroseismizität« hervorrufen, heißt es in dem BMU-Bericht. Am Ende aber versichern die Autoren der Studie: »Ein praktisches Gefahrenpotential besteht jedoch kaum.«
In der Kleinstadt Landau ist die Diskussion um die Erdwärmenutzung trotzdem voll entbrannt. Schon Mitte August, nach dem ersten Erdstoß, setzte das rheinlandpfälzische Umweltministerium eine Expertenkommission ein, um den Vorfall zu untersuchen. »Wir wollen herausfinden, ob das Kraftwerk tatsächlich der Auslöser für die Beben ist«, sagt Thomas Bode, Referent im Wirtschaftsministerium von Rheinland-Pfalz und Mitglied der Expertenrunde. Zumindest das Epizentrum des ersten Bebens konnte inzwischen geortet werden: Nach vorläufigen Ergebnissen der Behörden lag es nur 500 Meter nördlich des Kraftwerks in etwa 2,5 Kilometer Tiefe.
Nach den jüngsten Erdstößen besteht nun weiterer Klärungsbedarf. Zwar hatte das Beben vom Montag voriger Woche nur eine Stärke von 2,4 auf der Richter-Skala. Niemand wurde verletzt, und bis auf eine zersprungene Deckenlampe sowie ein undichtes Aquarium gab es keine Schäden.
Die Bürger von Landau sind dennoch verunsichert. Bei einer eilig einberufenen Info-Veranstaltung im »Alten Kaufhaus« ging es hoch her. Auch Oberbürgermeister Hans-Dieter Schlimmer gab sich besorgt: »Wenn ein Zusammenhang mit dem Erdwärmekraftwerk besteht, halte ich das Risiko für nicht akzeptabel.« Wer könne
denn ausschließen, dass es noch stärkere Beben gebe: »Das ist den Bürgern nicht zuzumuten. Die Experten müssen jetzt Tempo machen; solange nicht klar ist, was los ist, darf das Kraftwerk nicht wieder in Betrieb gehen.«
Die Expertenkommission sieht in diesem Fall jedoch keine Dringlichkeit. »Wir brauchen belastbare Ergebnisse, erst dann können wir der Firma Geox eventuell Auflagen erteilen«, sagt Bode. Ende des Jahres soll es erste Ergebnisse geben.
Geox-Geschäftsführer Peter Hauffe rät ebenfalls zur Besonnenheit: »Seit 1968 hat es in dieser Gegend 265 Erdbeben gegeben; alle hatten Stärken zwischen 2 und 3.« Die Häufung in den vergangenen Wochen sei allerdings ungewöhnlich, räumt der Ingenieur ein: »Wir nehmen das sehr ernst.«
»Man darf jetzt das Vertrauen in diese neue Technologie nicht verspielen«, rät auch Rudolf Braun vom Kantonalen Laboratorium Basel, der das schweizerische Beben von 2006 untersucht. »Wer die Risiken verharmlost, erweist der Technologie einen Bärendienst.«
In den USA sind die Experten ebenfalls alarmiert. Durch die Fördertechnik ausgelöste »zerstörerische Erdbeben« seien zwar »unwahrscheinlich«, heißt es in einem Report des DOE. Schon bei leichtem Erdtremolo jedoch seien »äußerst negative Konsequenzen für die Akzeptanz der Technologie« zu befürchten, vor allem »in der Nähe großer Städte«.
Müssen die Erdwärme-Fans ihre Bohrer also in Zukunft fernab der Zivilisation in die Erde treiben? Für die USA empfiehlt der Geophysiker Oppenheimer bereits die »Mitte von Nevada« für künftige Geothermieprojekte: »Dort wohnt niemand.«
Für Deutschland wird die Standortwahl schwieriger. PHILIP BETHGE,
CHRISTIAN LAUENSTEIN
* Gouverneur Arnold Schwarzenegger bei der Besichtigung in PasoRobles 2003.