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Daumen drauf

Mehr als 25 Jahre nach dem Tode Albert Einsteins werden seine nachgelassenen Schriften und Papiere noch immer unter Verschluß gehalten. Die Affäre beschäftigt nun hohe amerikanische Gerichte.
aus DER SPIEGEL 6/1981

Princeton in New Jersey, 12 000 Einwohner, beinahe englisch-ländlich mit engen Straßen und weitläufigen Parks, war 1783 für vier Monate die Hauptstadt der Vereinigten Staaten. Berühmt wurde es seiner Universität und Forschungsinstitute wegen als ein geistiges Zentrum dieser Welt.

»Princeton«, schrieb Albert Einstein, der dort seine letzten 22 Lebensjahre verbrachte, an die »liebe Königin« Elisabeth von Belgien, »ist ein wundervolles Stückchen Erde und dabei ein ungemein drolliges zeremonielles Krähwinkel winziger stelzbeiniger Halbgötter.« Man könne sich jedoch »durch Verstoß gegen den guten Ton eine schöne Ungestörtheit verschaffen; dies tue ich«.

In diesem aufgeklärt-verwunschenen Ort spielt nun die moderne Inszenierung einer alten Sage: vom Drachen, der eifersüchtig einen Schatz hütet.

Denn als frühmorgens am 18. April 1955 der als Genie des Jahrhunderts gefeierte Einstein in Princeton starb, hatte der bescheidene und in bürgerlichen Ordnungen ziemlich lotterige Physik-Nobelpreisträger für seinen Nachruhm schlecht vorgesorgt.

Schon die letzten Worte -- gesprochen in der Sprache der verhaßten Heimat -- gingen verloren. Die amerikanische Krankenschwester Alberta Roszel verstand kein Deutsch.

Sein Gehirn, das Einstein der Wissenschaft vermacht hatte, wurde zwar seziert; die Befunde blieben aber zumeist unveröffentlicht. Zerstückelte Reste fand vor drei Jahren ein Reporter in Wichita/Kansas wieder -- im Büro des Pathologen Thomas S. Harvey, konserviert in einem Schraubglas und verstaut in einen Pappkarton mit der Aufschrift »Costa-Apfelmost« (SPIEGEL 36/1978).

Als Verwalter seiner schriftlichen Hinterlassenschaft schließlich hatte Einstein testamentarisch einen seiner Mitarbeiter, Dr. Otto Nathan, eingesetzt. Dem ließ er anscheinend freie Hand, und der hält seither den Daumen drauf.

Geschrieben hatte Einstein fleißig. Er veröffentlichte selbst 274 wissenschaftliche Arbeiten und 332 Artikel zu politischen und gesellschaftlichen Problemen, vom ersten Aufsatz über die Spezielle Relativitätstheorie 1905 in den »Annalen der Physik« bis zu Stellungnahmen etwa zum Zionismus oder dem Traktat »Why War?« ("Warum Krieg?") von 1933.

Er hinterließ allerdings noch Konvolute von Aufzeichnungen und Briefen, darunter Korrespondenz mit den führenden Forschern seiner Zeit, mit Staatsmännern und Persönlichkeiten wie Sigmund Freud, Bertrand Russell und George Bernard Shaw. Die rund 43 000 Dokumente werden im Princeton Institute for Advanced Study aufbewahrt, einem amerikanischen Elfenbeinturm, der nach der Emigration Einsteins Refugium wurde.

Nathan ist inzwischen 87 Jahre alt, doch nach Erkenntnis der »New York Times« noch immer »quicklebendig und energisch eigenwillig«. Nach wie vor sichtet und ordnet und bewacht er, zusammen mit der nur wenig jüngeren Helen Dukas, Einsteins Sekretärin von 1928 bis zu seinem Tode, die bedeutenden zeit- und wissenschaftsgeschichtlichen Zeugnisse.

Herausgegeben hat Nathan davon bislang nur eine kleine programmatische Auswahl, die Einstein als Pazifisten ausweist.

( Otto Nathan, Heinz Norden (Hrsg.): ) ( »Albert Einstein -- Über den Frieden«. ) ( Peter Lang Verlag, Bern; 680 Seiten; 45 ) ( Schweizer Franken. )

Nicht einmal etliche Photos und Briefe, die das Smithsonian Museum in Washington 1979 für eine Ausstellung zu Einsteins 100. Geburtstag als Leihgaben erbeten hatte, ließ er aus den Fingern.

Dabei hatte Nathan bereits 1971 der Princeton University Press vertraglich zugestanden, den Nachlaß, der wohl 20 Bände umfassen wird, zu publizieren. Anfang 1977 akzeptierte er auch den Physiker John Stachel von der Boston University als Herausgeber.

Nathan bestand freilich darauf, nur Stachel dürfe mit den Originalen umgehen. So mußte der Professor seine Zeit auch mit Arbeiten zubringen, die gewöhnlich Assistenten tun.

Noch im selben Jahr besann Nathan sich ganz anders: Dem Physiker Stachel, der alsbald mit dem Katalogisieren und Kopieren der Einstein-Dokumente begonnen hatte, mangele es an »Integrität«. Das beratende Wissenschaftler-Gremium hingegen fand den Herausgeber ohne Fehl.

Als Schlichter in dem absurden Streit hielt der ehemalige US-Generalstaatsanwalt und Bundesdistriktsrichter Harold R. Tyler dem Nachlaßverwalter zwar das hochmoralische Motiv zugute, er wolle Einsteins Andenken schützen. Doch er urteilte auch, Nathan habe »objektiv böswillig gehandelt, indem er es ablehnte, den Editionsvertrag zu erfüllen, und versuchte, das Projekt scheitern zu lassen«; die Ablehnung Stachels sei ein »willkürlicher, launischer« Vertragsbruch.

Den wenig weisen Nathan brachte das keineswegs von seinem Hort herunter. Der starrsinnige Greis rührte sich auch nicht, als Amerikas Nationale Wissenschafts-Stiftung erst einmal die Zahlung von Fördermitteln für die Edition einstellte.

Jetzt allerdings will die Princeton University sich nicht länger hinhalten lassen. Sie gab bekannt, ihre Bibliothek werde die Kopien der Einstein-Papiere »qualifizierten Forschern« zugänglich machen.

Dr. Nathan hofft indes, sein Lebenswerk auf seine Art zu krönen. Um die Veröffentlichung zu verhindern, erklärte er dieser Tage, werde er durch alle zuständigen Gerichtsinstanzen gehen, bis vor den New York State Supreme Court und den Court of Appeals.

Was Albert Einstein privatim bemerkenswert fand und bedachte, wird also weiterhin ein Rätsel bleiben. Sogar der Jurist Tyler hielt das, in einem Stoßseufzer während der scheiternden Schlichtungsverhandlungen, für eine »Tragödie der Menschheit«.

S.196Otto Nathan, Heinz Norden (Hrsg.): »Albert Einstein -- Über denFrieden«. Peter Lang Verlag, Bern; 680 Seiten; 45 SchweizerFranken.*

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