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SEUCHEN »Die Besorgnis nimmt zu«

Der WHO-Epidemiologe Klaus Stöhr über die Ausbreitung der Lungenkrankheit SARS
aus DER SPIEGEL 16/2003

Stöhr ist Projektleiter des Globalen Influenza-Programms der Weltgesundheitsorganisation (WHO). -------------------------------------------------------------------

SPIEGEL: Vor einer Woche haben Sie SARS zur Krankheit am Scheideweg erklärt: Mit konsequenter Seuchenhygiene werde man sie wieder dorthin schicken können, wo sie hergekommen ist. Hoffen Sie das jetzt, eine Woche später, immer noch?

Stöhr: Ich bin noch immer vorsichtig optimistisch, aber die Besorgnis hat zugenommen. Inzwischen ist SARS in vier Ländern neu aufgetreten, in Hongkong gab es innerhalb von 24 Stunden 61 Neuerkrankungen. Zudem ist noch völlig unklar, wie sich in dem Hongkonger Wohnblock E über 130 Menschen infizieren konnten - wenn so etwas an einem anderen Ort wieder passieren sollte, hätte sich damit auf einem Schlag die Situation komplett geändert.

SPIEGEL: Wie wichtig ist die Lage in China?

Stöhr: Dort wird die eigentliche Schlacht um SARS geschlagen. Inzwischen ist klar: In Regionen mit gut funktionierendem Gesundheitssystem lässt sich SARS unter Kontrolle bringen. Dazu zähle ich sowohl Hongkong als auch die Provinz Guangdong, wo sich die Lage nach Einschätzung unseres WHO-Teams sichtbar stabilisiert. Aus dem Rest Chinas jedoch kommen teilweise beunruhigende Nachrichten. Darüber müssen wir dringend mehr erfahren. Denn die größte Gefahr ist die: Wenn der SARS-Erreger den Weg in ein wirkliches Drittwelt-Land finden sollte, dann wird es einen Flächenbrand geben.

SPIEGEL: Inzwischen ist das Erbgut des SARS-Erregers, ein neues Virus aus der Familie der Coronaviren, fast vollständig entschlüsselt. Hilft das, die Krankheit einzudämmen?

Stöhr: Auf der Basis dieser Daten wird zurzeit ein Test entwickelt, der eine zuverlässige und frühzeitige Diagnose der Krankheit erlauben soll. Allerdings wird er frühestens in ein bis drei Wochen fertig sein. Außerdem wissen wir jetzt, dass der neue Erreger genetisch irgendwo zwischen den Coronaviren, die bei Rindern Schnupfen, und dem Virus, das bei Mäusen Hepatitis verursacht, liegt. Trotzdem muss das neue Virus nicht zwingend von diesen Erregern abstammen. Es könnte genauso gut das Coronavirus, das Husten beim Huhn, oder das, das Durchfall beim Schwein verursacht, gewesen sein. Denn Coronaviren mutieren sehr leicht.

SPIEGEL: Der neue Erreger könnte sich also auch im Menschen noch verändern?

Stöhr: Natürlich. Prinzipiell sind Viren genauso Gegenstand der Evolution wie wir auch. Es gibt zum Beispiel die Hoffnung, dass sich der SARS-Erreger im Laufe der Zeit abschwächt. Ein paar Einzelinformationen deuten darauf hin, aber schlüssig sind die bisher nicht. Zumindest wäre es plausibel, wenn sich schwächere Mutanten rascher ausbreiten als die sehr krank machenden - denn wenn ein Virus seinen Wirt einmal umgebracht hat, kann der keine weiteren Menschen mehr anstecken.

SPIEGEL: Wovon hängt denn ab, wie schwer ein Infizierter erkrankt?

Stöhr: Da gibt es drei Faktoren: die Stärke des Erregers, die Abwehrkräfte des Patienten und Umweltfaktoren wie die Virendosis. Vielleicht kann auch ein junger Patient mit guten Abwehrkräften sterben, wenn er mit einer hohen Virendosis infiziert wird. Vielleicht ist es einigen Ärzten so gegangen, die, noch ahnunglos, ohne Schutzmaßnahmen die ersten Patienten untersuchten.

SPIEGEL: Warum ist es so wichtig herauszufinden, woher der Erreger stammt?

Stöhr: Vor allem um zu wissen, ob das Virus außerhalb des Menschen noch ein Reservoir hat. Stellen Sie sich vor: Wir sind mit der Bekämpfung beim Menschen vielleicht fertig, und nach einem halben Jahr geht die ganze Geschichte wieder los, weil sich das Virus in irgendeiner Tierpopulation vermehrt hat ...

SPIEGEL: Was würden Sie sonst noch gern über den SARS-Erreger wissen?

Stöhr: Wir wissen zum Beispiel nicht, mit welchen Körperflüssigkeiten das Virus in welchem Krankheitsstadium ausgeschieden wird. Wir wissen auch nicht, wie lange sich der Erreger in der Umwelt hält. Andere Coronaviren können zum Beispiel locker zehn Stunden lang pralles Sonnenlicht aushalten - oder bei minus 20 Grad ein ganzes Jahr lang überdauern.

SPIEGEL: Was ist, wenn wir uns auf ein Leben mit SARS werden einstellen müssen? Gibt es eine Therapie?

Stöhr: Es gab klinische Hinweise darauf, dass das Anti-Viren-Mittel Ribavirin wirken könnte. Doch in Zellkulturen zeigte sich: Das SARS-Virus ist gegen das Mittel resistent. Andere Substanzen werden zur- zeit noch getestet.

SPIEGEL: Und wann gibt es einen Impfstoff?

Stöhr: Etwa in ein bis drei Jahren. Die ersten Schritte laufen schon, denn wir müssen uns auf das Schlimmste vorbereiten. Dennoch sollten wir alles daransetzen, die Krankheit jetzt endgültig zu eliminieren.

SPIEGEL: Müssen wir uns noch auf weitere neue Infektionskrankheiten einstellen?

Stöhr: Davon gehe ich aus. In den letzten 20 Jahren ist fast jedes Jahr ein neuer Erreger hinzugekommen. Allerdings blieben sie, abgesehen von HIV, immer entweder geografisch beschränkt, oder aber die Infektion übertrug sich nur schwer von Mensch zu Mensch. Das ist diesmal anders. Insofern ist SARS auch ein Probelauf für andere neue Krankheiten - oder auch für einen bioterroristischen Angriff. Wenn wir uns gegen so etwas wappnen wollen, dann brauchen wir ein effizientes Überwachungssystem und internationalen Austausch von Informationen. Vor fünf Jahren hat die WHO begonnen, ein solches System zu etablieren, und die Reaktion auf SARS zeigt: Wir sind besser gerüstet als früher. SARS zeigt aber auch, dass alle Beteiligten unbedingt an einem Strang ziehen müssen: Das System ist immer nur so gut wie seine einzelnen Teile. INTERVIEW: VERONIKA HACKENBROCH

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