KORRUPTION Die Doktor-Macher
Bei dem Mediziner aus Süddeutschland war die Mutter schuld. »Junge, wann machst du endlich deinen Doktor?«, fragte die ehrgeizige alte Dame ihren Sohn immer wieder.
Der hatte zwar eine eigene Praxis, auf dem Klingelschild aber fehlten die beiden begehrten Buchstaben mit dem Punkt dahinter. Eine professionelle Promotionsberatung sollte Abhilfe schaffen, die Mutter bot an, sich an den Kosten zu beteiligen.
Über Anzeigen in der »Frankfurter Allgemeinen« und im »Deutschen Ärzteblatt« stieß der Mediziner auf das »Institut für Wissenschaftsberatung« in Bergisch Gladbach. Er ließ sich Informationsmaterial schicken, später gab es ein Treffen in einem Münchner Tagungshotel. Für 20 000 Euro vermittelte die Firma einen willigen Doktorvater, und so konnte der Mediziner seiner Mutter schließlich die ersehnte Urkunde präsentieren.
Dummerweise wurde die Kölner Staatsanwaltschaft auf den Fall aufmerksam, nun muss der Mediziner fürchten, dass ihm seine Universität den teuren Titel wieder abnimmt. Seine Arbeit gehört zu mindestens 315 dubiosen Promotionsverfahren, die die Kölner »Ermittlungsgruppe Doktor« derzeit untersucht.
Die Fahnder gehen dem Verdacht nach, dass etliche Hochschullehrer gegen Geld Kandidaten als Doktoranden angenommen haben. Das »Institut für Wissenschaftsberatung« soll in der Regel jeweils 4000 Euro an die Professoren gezahlt haben, die eine Hälfte für die Annahme zur Promotion, die andere bei erfolgreichem Abschluss. Ein so erworbener Doktortitel kostete die Kunden offenbar zwischen 12 000 und 36 000 Euro, die Differenz verblieb als Gewinn bei den Vermittlern.
Die Affäre könnte sich zum größten Wissenschaftsskandal der vergangenen Jahre in Deutschland ausweiten. Etwa hundert Doktorväter von rund einem Dutzend Hochschulen sollen mitgewirkt haben, die meisten von ihnen außerplanmäßige Professoren und Privatdozenten.
Besonders anfällig für diese ungewöhnliche Art der Titelbeschaffung sind offenbar die medizinischen Fakultäten. Etwa die Hälfte der betroffenen Kunden des Instituts sollen Human- oder Zahnmediziner gewesen sein. Zu den verdächtigten Hochschullehrern zählen ein Mediziner der Berliner Charité und ein Arzt, der mit der Medizinischen Hochschule Hannover verbandelt sein soll.
Die Affäre bringt Licht in eine Branche, in der ein akademischer Titel viel, Redlichkeit aber wenig zählt. Und sie offenbart den laxen Umgang vieler Professoren mit ihren Dienstpflichten.
»Ein Titel erspart dem Titelträger jede Tüchtigkeit«, spottete schon Kurt Tucholsky. Ein Doktortitel verspricht oftmals ein höheres Gehalt, viel Reputation und schmeichelt damit der Eitelkeit. Dafür ist vielen Menschen offenbar kein Preis zu hoch.
Und so fliegen immer wieder falsche Doktoren auf, allein in diesem Jahr zum Beispiel ein Mitglied der SPD-Stadtratsfraktion von Köln, ein CDU-Politiker im thüringischen Nordhausen, der ehemalige Büroleiter der niedersächsischen Sozialministerin und eine Schulrätin in Ludwigsburg, Baden-Württemberg.
In Köln geht es nun um mehr als Ehre und Eitelkeit. Die Ermittler wollen den Hochschullehrern Korruption nachweisen. Die Betreuung von Doktoranden gehört zu den Dienstpflichten eines Professors, wenn er dafür Geld nimmt, macht er sich strafbar. Aus Angst aufzufliegen, haben sich bereits fünf Professoren freiwillig den Kölner Ermittlern gestellt, einer, der fünf Doktoranden betreute, erhielt einen Strafbefehl über elf Monate Haft, bei weiteren wurde das Verfahren bereits gegen Zahlung eines Bußgelds eingestellt, bei anderen wird noch geprüft.
Doch dabei wird es nicht bleiben, denn bei einer Razzia in Bergisch Gladbach sicherten Beamte der Kölner Kriminalpolizei bereits vor anderthalb Jahren körbeweise belastendes Material, unter anderem etwa 1800 Kundenakten. Der Geschäftsführer des Instituts, Martin D., selbst promovierter Philosoph, hatte offenbar über manche Interessenten genau Buch geführt ("gepflegtes Äußeres, blauäugig, hoch motiviert") und notierte gern auch die Marke des gefahrenen Autos.
Die Fahnder fanden reichlich Schriftverkehr zwischen dem Institut und Doktorvätern, die sich unter anderem über die mangelnde Leistungskraft ihrer Schützlinge beklagten. »Es reicht einfach nicht
zur Promotion«, heißt es in einem Schreiben. In einem anderen weist ein Privatdozent darauf hin, dass er einen Doktoranden besonders streng prüfen müsse, um nicht in Schwierigkeiten zu geraten.
Für die Staatsanwaltschaft sind diese Sätze ein Hinweis darauf, dass den Professoren bewusst war, dass sie mauschelten. Dafür spreche auch, dass sich die Verdächtigten Geld auf Konten ihrer Ehefrauen, ihrer Eltern oder ihrer eigenen Firmen überweisen ließen, um die Zahlungen zu verschleiern.
Die Doktor-Macher von Bergisch Gladbach sind inzwischen pleite, nach der Razzia sprangen Kunden ab. Das Institut, über 20 Jahre lang im Geschäft, galt als Marktführer der Branche. D. ist praktischerweise Mitautor des Duden-Ratgebers »Wie verfasst man wissenschaftliche Arbeiten?«.
Ins Visier der Staatsanwälte gerieten die Promotionsberater durch einen Prozess vor dem Landgericht Hildesheim. Dort musste sich Anfang vergangenen Jahres Thomas A. verantworten, ein Juraprofessor aus Hannover. A. übernahm Doktoranden, die aus Bergisch Gladbach vermittelt wurden, und zwar gegen insgesamt etwa 150 000 Euro. Zudem habe er einer Studentin bessere Noten gegeben - als Gegenleistung für Sex. A. habe eigentlich ständig Doktorarbeiten gelesen, berichtete seine studentische Geliebte vor Gericht.
Die Recherchen gegen den geständigen Prof. Dr. iur., der zu drei Jahren Haft verurteilt wurde, offenbarten auch die Machenschaften des Dr. phil. D. und seines Instituts. D. bekam dreieinhalb Jahre Haft und 75 000 Euro Geldstrafe. Das Urteil ist rechtskräftig, nachdem der Bundesgerichtshof im Mai die Revision verworfen hat. D. hat vor Gericht den Vorwurf der Bestechung zurückgewiesen. Alle Promotionsverfahren seien korrekt verlaufen.
Der Streit um die Promotionen, denen die beiden gemeinsam den Weg bereitet haben, ist allerdings nicht ausgestanden. 14 Doktoranden, die ihm das Institut vermittelt hatte, brachte der Professor erfolgreich zur Promotion. Neun von ihnen erkannte die Universität den Titel ab. Sie hätten schließlich bemerken können, dass nicht alles mit rechten Dingen zuging. Die neun sind dagegen vor das Verwaltungsgericht gezogen, das bislang noch keine Entscheidung getroffen hat.
Die Universität Hannover verlangt nun von Promotionsbewerbern eine Zusicherung, dass sie ohne Hilfe eines Vermittlers an die Universität gelangt sind. Diese Erklärung aber wollen nicht alle abgeben, drei Kandidaten sind gar vor das Oberverwaltungsgericht gezogen und haben eine Prüfung der strengen Regelung beantragt - Juristen, ob promoviert oder nicht, kennen eben ihre rechtlichen Möglichkeiten.
Der Fall zeigt, dass es nicht leicht ist, Fehlverhalten von Wissenschaftlern zu sanktionieren. Bei den Kölner Ermittlungen konnte bislang nicht nachgewiesen werden, dass die Doktoranden wussten, dass mit ihrem Geld Professoren bestochen wurden. Außerdem gebe es, so der Kölner Oberstaatsanwalt Günther Feld, »keinen Anhaltspunkt dafür, dass Doktorarbeiten gekauft wurden«. Die geforderten wissenschaftlichen Arbeiten wurden geschrieben und abgenommen - wenn auch von wahrscheinlich wohlwollenden Betreuern.
Mit Strafverfolgung allein wird sich das Problem der wundersamen Titelvermehrung nicht eindämmen lassen. Kritiker bemängeln, dass die wissenschaftlichen Standards in den vergangenen Jahren immer stärker aufgeweicht wurden. 24 000 Promotionen werden inzwischen jedes Jahr abgenommen, doppelt so viele wie noch vor 30 Jahren. Die unübersichtliche Massenabfertigung lade zu Schummeleien geradezu ein. So
* wird bei Evaluationen von Hochschulen eine große Zahl von Promovierten belohnt, nicht die Qualität der Arbeiten;
* kann jede Fakultät sich ihre eigene Promotionsordnung basteln, während zentrale Regelungen fehlen;
* beschleunigen die Hochschulen die Entwertung der Grade, indem sie inflationär Honorarprofessuren und Ehrendoktorwürden vergeben.
Es ist kein Zufall, dass Tricksereien besonders häufig bei den Medizinern vorkommen, einem Fach mit hohem Leistungs- und Konkurrenzdruck und viel Standesdünkel. »Keine Profession ist so sehr vom Doktortitel abhängig«, sagt Ulrike Beisiegel, Humanbiologin und Ombudsfrau der Deutschen Forschungsgemeinschaft für wissenschaftliches Fehlverhalten. Nachwuchsmediziner stünden unter hohem Zeitdruck.
»Manche Dissertationen untersuchen irrelevante Fragestellungen mit unzulässigen Methoden und erhalten zu guter Letzt noch einen wohlklingenden Titel«, kritisierte der Mediziner Max Einhäupl als damaliger Vorsitzender des Wissenschaftsrats die Doktorinflation.
Das Gremium wettert schon seit Jahren gegen die Dünnbrettbohrer in der Medizin. Auch die Wissenschaftsexperten der Europäischen Kommission betrachten den deutschen Dr. med. als Abschluss zweiter Klasse, der in der Regel nicht mit dem international üblichen Ph. D. mithalten könne.
Deutsche Ärztevertreter kämpfen hingegen verbissen um das Privileg des leicht erworbenen Grades. Schließlich seien es die Patienten, die auf einen Doktortitel Wert legen würden. Weil er so vertrauenserweckend sei. JAN FRIEDMANN,
BARBARA SCHMID, MARKUS VERBEET
* Vor dem Landgericht Hildesheim 2008.