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AUTO-SILO Die Druckknopf-Garage

aus DER SPIEGEL 25/1958

Genau eine Stunde lang funktionierte am Vormittag des 10. Mai in der schweizerischen Grenzstadt Basel eine bauliche und technische Neuschöpfung, die von der örtlichen »National-Zeitung« als »städtebauliche Attraktion, um die uns die Welt beneiden wird«, gefeiert wurde: der »erste vollautomatische Autosilo der Welt«, der von einem einzigen Kontrolleur gesteuert werden kann.

Dann zeigten sich die Symptome technischer Störungen, und seitdem arbeitet der »vollautomatische Autosilo« nicht mehr vollautomatisch. Vielmehr muß er von einem halben Dutzend Angestellter betrieben werden, die sich dabei allerdings viele der elektronischen Einrichtungen des Wunderwerkes zunutze machen.

Der halbautomatische Zustand, in dem sich das Basler Autoparkhaus zur Zeit befindet, entspricht kurioserweise der ursprünglichen Planung. Mit einem Kostenaufwand von 8,5 Millionen Franken sollte das Wunderwerk des Schweizer Architekten Marcus Diener bereits im Sommer 1957 - nach zweieinhalbjähriger Bauzeit - fertig sein.

Die deutsche Firma Siemens & Halske AG jedoch, mit der Installierung der elektrischen Anlagen beauftragt, erbot sich, das vorgesehene halbautomatische System zur Vollautomatik weiterzuentwickeln. Konstruktion und Einbau des bis dahin unerprobten Mechanismus verzögerten die Eröffnung um fast ein Jahr und bewirkten eine Steigerung der Baukosten auf 15.5 Millionen Franken.

Hinter einem Vorderbau, der ein Hotel und ein Feinschmecker-Restaurant beherbergt, errichtete Architekt Diener zwei sich gegenüberliegende langgezogene Trakte, deren acht Stockwerke wabenförmig in Parkzellen gegliedert sind. Zwischen den beiden Waben-Trakten bewegen sich drei fahrbare Fördertürme. Sie sind mit einem Aufzug ausgestattet, der die Wagen in die Parkzellen hebt - ein Vorgang, den der Kunde des Autosilos nicht zu sehen bekommt.

An der leicht abschüssigen Silo-Einfahrt passiert der Autofahrer, der zu parken wünscht, einen glasverkleideten Kommandostand, in dem ein Kontrolleur ("Steuermann") einige hundert Knöpfe und Tasten bedient und überwacht. Von hier aus werden einem ausgeklügelten elektronischen »Gehirn« im Keller des Gebäudes die Impulse zu weiterem selbständigem Handeln gegeben.

Schon bevor der Automobilist den Kontrollpunkt an der Einfahrt des Parksilos erreicht, haben Lichtschranken die Höhe des Wagens abgetastet, denn Architekt Diener hat die Parkzellen verschieden hoch angelegt, um durch Nutzung niedriger Boxen für niedrige Wagen eine möglichst günstige Raumaufteilung zu erreichen. Der Bedienungsmann tippt Tag und Uhrzeit in sein Gerät und weist dann dem Fahrer eine der zehn Einfahrtboxen zu.

Derweil wählt das »Gehirn« im Gebäudesockel auf Grund der eingetasteten Mitteilung eine passende freie Parkzelle aus und meldet deren Nummer - eine vierstellige Zahl - dem Kommandostand. Alle Angaben sind auf einem Papierstreifen enthalten, der sich ruckweise aus einem Schreibautomaten herausgeschoben hat und nun abgerissen und dem Kunden als Ticket übergeben wird. Zusätzliche Kundenwünsche, wie Wagenwäsche, Abschmieren, sollen gleichfalls auf den Papierstreifen getastet und später außerhalb des elektronischen (Park-)Programms erledigt werden.

Der Silo-Benutzer steuert sein Auto in die ihm zugewiesene Einfahrtbox und stoppt vor einer mit Spiegeln versehenen Tür. Steht der Wagen genau in der gewünschten Position, leuchtet ein rotes »Stop«-Schild auf. Der Fahrer rückt den Schalthebel auf Leerlauf und steigt aus.

Nach einem Druck auf die Taste »Fertig«, die außen an der Box angebracht ist, senkt sich ein Gitter hinter den Wagen. Gleichzeitig pressen sich von links und rechts Zentrierrollen gegen die Reifen und rücken den Wagen millimetergenau in die Stellung, die Voraussetzung für den weiteren Park-Prozeß ist: Automatisch öffnet sich die Spiegel-Tür und aus einem der Fördertürme, der mittlerweile herangefahren ist, schiebt sich in einer Rinne der Einfahrtbox ein Schlitten - den Wagenhebern entsprechend - unter das Fahrzeug.

Zwei Greifer des Transportschlittens umklammern die Hinterräder des Wagens und heben sie einige Zentimeter in die Höhe. Der Schlitten fährt, das Auto mit den Greifern ziehend, in den Förderturm zurück, die Tür schließt sich, der Wagen ist bis zur Abholung verschwunden.

Hinter den Spiegeltüren vollzieht sich der zweite Abschnitt des Park-Vorgangs. Der Aufzug-Turm, durch das »Gehirn« im Keller zur vorher gemeldeten Zelle gelenkt, transportiert das Fahrzeug in die vorbestimmte Park-Wabe. In jeder der Zellen finden zwei beliebig breite Autos Platz; insgesamt kann der Autosilo fast 400 Wagen beherbergen - mehr als die vier größten Parkplätze der Basler Innenstadt zusammen.

Der Parksilo gibt den eingelieferten Wagen auf Kommando auch vollautomatisch heraus. Ein Knopfdruck in der Kommandostelle setzt das Elektronengehirn in Betrieb, das dann einen Förderturm vor die Parkzelle des abzuholenden Wagens dirigiert. Der Aufzug gleitet empor, und der Schlitten zieht das Auto selbsttätig aus der Wabe heraus. Der Förderturm transportiert den Wagen in eine der zwölf Ausfahrtboxen, und dort steigt der Besitzer ein und verläßt den Silo.

Alle diese Steuerungsautomatiken funktionierten jedoch nur am Eröffnungstag

eine Stunde lang, bevor technische Mängel die Inhaberin des Parkhauses, die Autosilo und Hotel International AG, zwangen, einen beträchtlichen Teil der automatischen Steuerungsanlage wieder stillzulegen. Jeder Förderturm wird vorerst von einem Mann gesteuert, der in einer Kabine am Fuße des Förderturm-Aufzuges hockt. Der »Steuermann« in der Kommandozentrale verständigt ihn über ein Sprechgerät, in welche Zelle ein Wagen zu transportieren ist oder aus welcher Wabe ein Wagen zurückgeholt werden soll. Der Förderturm -Fahrer teilt dann dem »Steuermann« mit, in welcher Ausfahrtbox der Kunde sein Automobil erwarten kann.

Das halbe Dutzend Angestellte, das die defekte Automatik ersetzt, wird das Autosilo noch so lange halbautomatisch betreiben müssen, bis die Ingenieure alle elektronischen und technischen Störungen ausgemerzt, haben. Dann allerdings soll der »Steuermann« in der Kommandozentrale durch Druckknopf-Steuerung den Verkehr in der 400-Wagen-Roboter-Garage allein bewältigen.

Die Parkpreise im Silo sind nicht höher als auf öffentlichen Plätzen: Der Autobesitzer zahlt einen Franken bis zu zwei Stunden Parkdauer, zwei Franken bis zu fünf Stunden, drei Franken bis zu zwölf Stunden und 4,50 Franken bis zu 24 Stunden. Wer den Silo als Dauergarage benutzen will, zahlt 70 Franken im Monat.

Indes, der Ansturm auf den zusätzlichen Parkraum im Autosilo entspricht nicht den Erwartungen der Erbauer. Der mangelnde Zuspruch mag in einer Tatsache begründet liegen, die den meisten Baslern bekannt ist, obwohl sie von der schweizerischen und der ausländischen Presse verschwiegen wird: Bei plötzlichem Stromausfall, der zum Beispiel durch eine Leitungsstörung im Basler Netz bewirkt werden kann, ist der Autosilo schlagartig stillgelegt. Denn die elektrische Anlage ist an das öffentliche Stromnetz angeschlossen; irgendein Notstrom-Aggregat ist nicht eingebaut worden. Das bedeutet, daß - bei guter Belegung der Silo-Zellen - 300 bis 400 Basler oder auswärtige Autobesitzer ihre Wagen nicht wiederhaben können, bis der Stromausfall beendet ist.

In ganz dringenden Ausnahmefällen soll es jedoch möglich sein, einen Wagen auszuliefern: Fünf Mann können mit vereinten Kräften den Förderturm durch Schieben und Kurbeln bewegen und notfalls den Aufzug durch Lockern der Bremsklappen und durch Belastung des auszuliefernden Wagens senken.

Schon bald nach der Eröffnung zeigte sich die Schwäche der automatischen Hochgarage. Ausgerechnet am Pfingstsonntag fiel der Förderturm Nummer 1 wegen eines kleinen Leitungsschadens aus. Damit waren sämtliche Zellen im Bereich dieses Aufzug-Gerüstes über alle acht Stockwerke hinweg nicht mehr zugänglich.

Zum Glück stand im Gebiet des Turmes zur Stunde der Panne nur ein Wagen. Er wurde, weil am Sonntag an eine Behebung des Schadens in kurzer Zeit nicht zu denken war, herabgehievt, damit sein Besitzer - ein Besucher aus Deutschland - wieder heimfahren konnte.

Elektronischer Kommandostand an der Silo-Einfahrt: Panne zu Pfingsten

Interieur des Basler Auto-Silos: »Die ganze Welt wird neidisch sein!«

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