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Psychologie Die Macht der Pointe

Psychologen erforschen die erstaunliche Wirkung des Humors: Was haben Scherze mit Verführung und Unterdrückung zu tun? Gibt es eine Heilkraft des Lachens? Und was löst ein Witz im menschlichen Gehirn aus? Das Fazit der Wissenschaftler: Humor ist erlernbar - und macht glücklich.
aus DER SPIEGEL 8/2009
Karneval in Köln

Karneval in Köln

Foto: Rupert Oberhäuser/ imago images

Die Kalauerdichte ist hoch an diesem Abend im Kölner E-Werk. Bei der »Olympiade der Religionen« messen sich »mit Weihrauch gedopte« Katholiken und buddhistische Mönche in der Disziplin »Selbstmord« (Schiedsrichter: Jürgen Möllemann). Jecken, als gelbe Atommüllfässer aus dem Bergwerk Asse verkleidet, klagen über »Inkontinenz« und 24 000 Jahre Halbwertszeit ("Das zieht sich").

Oskar Lafontaine geht derweil als Freibeuter auf Fahrt, wild entschlossen, politische Gefangene zu machen ("Kapitän, da kommt eine Westerwelle"). Am Ende dümpelt »Moby Beck« im Ozean, und die Menge johlt über Gregor Gysi mit Affenschwanz, der immerfort sein Mantra spricht: »Ich bin nicht bei der Stasi gewesen. Ich bin nicht bei der Stasi gewesen.«

Karneval ist derb und laut. Doch ob Nonne, Engel oder Seemann: Genau so lieben die verkleideten Zuschauer die Kölner Stunksitzung, eine alljährliche Alternativparty zu den Prunksitzungen der traditionsreichen Karnevalsvereine.

Wenn in diesen Tagen die Narren wieder durch das Rheinland toben, ist Heiterkeit oberstes Gebot. Lachsalven hallen durch die Festsäle, ansteckend wie Windpocken. Doch was genau geschieht da? Was treibt Millionen Menschen zur kollektiven Heiterkeit?

Weltweit erforschen Psychologen und Neurowissenschaftler die umfassende Bedeutung von Witz und Lachen. Dabei zeigt sich: Humor ist eine universelle Sprache, deren Bedeutung weit über Unterhaltung und Zeitvertreib hinausgeht. Einen ganzen »Kontinent des Humors« gebe es zu entdecken, sagt Willibald Ruch, Persönlichkeitspsychologe an der Universität Zürich. »Heitere Gelassenheit« nennt er den freudvollen Zustand, der stressige Situationen und Schicksalsschläge erträglicher macht.

»Menschen mit Sinn für Humor sind angesehen und gelten als sympathisch«, ergänzt der US-Neuropsychologe Robert Provine von der University of Maryland in Baltimore. Doch Provine betont auch die »dunkle Seite« des Humors. »Wir lachen, um das Verhalten anderer zu beeinflussen«, sagt der Forscher. Kalauer, Spott und Ironie formten Hierarchien und Koalitionen. Die Macht der Pointe sei groß genug, um zu manipulieren und zu verführen.

Tatsächlich scheint die Lust, andere zu verhöhnen, zu verletzen und auszugrenzen, eine der stärksten Triebfedern für Humor zu sein. Schon der Philosoph Thomas Hobbes glaubte, dass die Essenz des Humors im »plötzlichen Triumph« liege, den Menschen fühlen, wenn andere zum Gespött werden.

»Lachen kann ein Werkzeug sein, um Freund und Feind gleichermaßen zu rösten«, bestätigt Emotionsforscher Jaak Panksepp von der Bowling Green State University im US-Bundesstaat Ohio. Heiterkeit im Unglück anderer zu suchen, »exklusive Gruppenidentitäten« zu etablieren, das werde bereits im Kindesalter angelegt.

Vergleichsweise harmlos sind dabei Scherze, die sich etwa mit den vermeintlichen Eigenarten von Ostfriesen oder Blondinen beschäftigen ("Was sind 50 Blondinen Ohr an Ohr? Ein Windkanal").

Ganz anders jedoch liegt der Fall, wenn Witze bösartig und verletzend sind, Vorurteile manifestieren oder maßloses Unrecht verulken. Dann bleibt das Lachen im Halse stecken. Und dennoch müssen viele schmunzeln - und schämen sich dafür.

Denn egal wie rassistisch oder menschenverachtend der Witz ist: Im ersten Augenblick fällt es schwer, dem Sog der Pointe zu widerstehen. Dazu nutzt der Witz das Moment der Überraschung. Der Hörer kann sich dem Tabubruch kaum entziehen. Er wird zum Komplizen, ob er will oder nicht.

»Witze werden immer machtvolle Waffen in den Händen geschickter Politiker oder Polemiker sein«, schreibt der US-Autor Jim Holt*. Kein Wunder, dass die Mächtigen die Kraft der Pointe seit je nutzen - aber auch fürchten.

Diktator Adolf Hitler etwa hielt in Berlin »Witzgerichte« (Holt) gegen jene ab, die es wagten, über das NS-Regime zu scherzen. Auch die katholische Kirche fürchtete lange die Macht des Lachens. In Umberto Ecos Roman »Der Name der Rose« will ein Mönch um jeden Preis verhindern, dass Aristoteles' verloren geglaubte Schrift über die Komödie öffentlich wird. Sein Motiv: »Lachen tötet die Furcht. Und ohne Furcht kann es keinen Glauben geben.« Wer den Teufel nicht mehr fürchte, brauche keinen Gott mehr: »Dann können wir auch über Gott lachen.«

Tatsächlich ist die Macht des Humors geradezu diabolisch, weil sie zumindest im ersten Augenblick den Körper gleichsam in Geiselhaft nimmt. Forscher glauben, dass die unmittelbare Reaktion auf Lustiges im Gehirn fest verdrahtet ist. Unabhängig vom Inhalt löst oftmals schon die Struktur des Witzes das Lachen aus.

Lustig ist demnach die unvorhersehbare Pointe: Menschen lachen, wenn der gewohnte Lauf der Dinge plötzlich abbricht. Kommt ein Mann zum Tierheim und fragt: »Sagen Sie, mag der Schäferhund dort auch kleine Kinder?« Darauf der Wärter: »Ja, aber kaufen Sie ihm besser Hundefutter; das kommt billiger.«

Mittels Kernspintomograf haben Neurowissenschaftler observiert, wie die Pointe eines solchen Witzes einschlägt. In einer Kaskade von Nervensignalen werden Gehirnregionen aktiv, die zum Belohnungssystem gehören. Botenstoffe lösen Euphorie und Erheiterung aus. Gleichzeitig feuern Nervenzellknoten, die die Mimik entgleisen lassen.

Unwillkürlich zucken dann die Mundwinkel nach oben. Fröhliches Glucksen entfleucht der Kehle, bevor der Verstand wieder das Kommando übernehmen kann (siehe Grafik).

Auch beim nächsten Verwandten des Menschen lässt sich das unwillkürliche Lachen beobachten. Schimpansen hecheln auf charakteristische Weise, wenn sie sich kitzeln oder Fangen spielen. Der Neuropsychologe Provine glaubt, dass das der Ursprung des Lachens sei: »Der älteste Witz der Erdgeschichte heißt: Gleich hab ich dich.«

So spontan ist das Lachen, dass es Provine für eines der machtvollsten Signale des menschlichen Verhaltensrepertoires hält. Entlarvend sei das Gelächter; und von ungewollter Ehrlichkeit. Das wusste auch Goethe: »Durch nichts bezeichnen die Menschen mehr ihren Charakter als durch das, was sie lächerlich finden.«

Der Psychologe Ruch ist dieser Aussage auf den Grund gegangen. Er hat untersucht, über welche Witze Menschen unterschiedlichen Charakters lachen. Das Ergebnis: Leute, für die Ordnung und Struktur im Leben wichtig sind, finden Witze komisch, die Bekanntes und Vorurteile widerspiegeln. Schottenwitze gehören beispielsweise zu diesem Witztypus, weil im Voraus klar ist, dass die Pointe auf den vermeintlichen schottischen Geiz hinausläuft: Was macht ein Schotte mit einer Kerze vor dem Spiegel? Er feiert den zweiten Advent.

Menschen dagegen, die eher kreativ sind, denen schnell langweilig wird und die neue Herausforderungen suchen, mögen beispielsweise Cartoons wie die von Gary Larson, unaufgelöste Pointen oder Nonsenswitze. Treffen sich zwei Kühe auf der Weide. Sagt die eine: »Na, du!« Sagt die andere: »Warum gerade ich?«

»Anhand von Witzvorlieben kann man sehr viel über den einzelnen Menschen erfahren«, sagt Ruch. Kein Wunder, dass Lachen auch beim Flirten und bei der Partnerwahl von großer Bedeutung ist. Lachexperte Provine hat in den USA über 4000 Kontaktanzeigen analysiert. Sein Fazit: Frauen suchen häufig Männer mit Sinn für Humor. Männer dagegen werben mit Humor.

»Frauen wollen Männer, die sie zum Lachen bringen«, sagt Provine. Einer Art »Vorsprechen« gleiche das Witzeln des Mannes beim Flirt. Manche Psychologen gehen sogar davon aus, dass die Vorliebe der Frauen für Witzbolde evolutionäre Wurzeln hat. Humor sei beim Menschen ein »Indikator für Intelligenz«, berichtet etwa der Psychologe Daniel Howrigan von der University of Colorado. Auf gut Deutsch: Ist der Mann witzig, ist er auch schlau - und damit womöglich erfolgreicher im Überlebenskampf.

Die biologische Erklärung ist umstritten. Einig sind sich die Forscher nur, dass Männer und Frauen sehr unterschiedlich bewerten, was witzig ist und was nicht.

Auf feinsinnige Weise scherzen Männer, wenn sie Frauen beeindrucken wollen. Doch wehe, sie sind unter sich. Der britische Psychologe Richard Wiseman sammelte im Internet 40 000 Witze und ließ sie von der Netzgemeinde bewerten. Dabei zeigte sich: Während Frauen eher über Geistreiches, Wortgewandtes lachen, mögen Männer den überheblichen und aggressiven Witz, gern auch mit sexuellen Anspielungen. Sagt der Arzt zur Nonne: »Herzlichen Glückwunsch, Sie sind schwanger.« Empört sich die Nonne: »Unerhört, was die Leute heutzutage alles auf die Kerzen schmieren.«

Männer - sofern sie unter sich sind - lachen Tränen über derlei Scherze. Die Pointe wird zur Demütigung. Zudem reizt das Verbotene und Obszöne. Wer lacht, lässt alle Hemmungen fallen, schrieb Sigmund Freud. Der innere Zensor verstummt.

Die Kulturwissenschaftlerin Helga Kotthoff von der Pädagogischen Hochschule Freiburg glaubt zu wissen, warum Männer solche Witze besonders gern erzählen. Soziale Interaktion und die Gesellschaft würden Witzvorlieben prägen, und das schon im Sandkasten. »Kinder bauen Humorarten aus, mit denen sie sozial erfolgreich sind«, sagt die Forscherin. Die groben, aggressiven Scherze würden bei Jungen weniger unterbunden als bei Mädchen. Männer hätten daher »eine härtere Gangart« in Sachen Humor.

Doch schleichend gleichen sich die Vorlieben offenbar an. »Frauen erzählen immer häufiger aggressive Witze und demonstrieren dadurch wachsendes Selbstbewusstsein«, sagt Kotthoff. Zudem würden sich Männer im Kontakt mit Frauen inzwischen auch mal als Zielscheibe anbieten. Als Folge kommt sogar der feministische Kalauer in Mode: Sitzt ein kleines Mädchen in der Badewanne: »Mami, wo ist denn der Waschlappen?« Die Mutter: »Der ist nur schnell Zigaretten holen.«

Was die Geschlechter allerdings im Scherz eint, ist der Wille, die Widernisse des Lebens besser zu meistern. Sexuelle Frustration, nervige Partner und Chefs, Einparkprobleme, Hängebrüste und mangelhafte Penisdimensionen werden erträglicher, sobald sie als Witz daherkommen.

»Man lacht über die kleinen Unwägbarkeiten des Lebens; dafür gibt es ein Grundbedürfnis«, sagt der Arzt und Kaba-

rettist Eckart von Hirschhausen (siehe Interview auf Seite 130).

Lachclubs und Kurse in Lachyoga künden von der heilsamen Wirkung des Gackerns. Lachen baut Stresshormone ab und stärkt die Immunabwehr. Zudem macht Spaß schmerztoleranter.

Auch Mediziner nehmen die Heilkraft des Humors inzwischen ernst. Vor allem Kinder reagieren positiv auf die therapeutische Witzattacke. Die Ärzte des Altonaer Kinderkrankenhauses in Hamburg beispielsweise arbeiten mit Klinikclowns zusammen. Einmal pro Woche toben die Spaßmacher über die Stationen.

An diesem Wintertag zum Beispiel besucht Silke Mühlenstedt alias »Clownin Lili« die Kinderchirurgie. »Ich will, dass die kranken Kinder glucksend auf ihren Betten sitzen«, sagt die 42-Jährige vom Verein Klinik-Clowns Hamburg. Christopher etwa musste am Blinddarm operiert werden. Mit roter Nase, Zöpfen und Ringelstrumpfhose rückt Mühlenstedt dem Achtjährigen zu Leibe. Schließlich brütet sie ein »Dino-Ei« unter ihrer Wollmütze aus: »Ich glaub, mir hat was auf den Kopf gepinkelt!«

Die Wirkung bleibt nicht aus. Der Junge lacht und bekommt dadurch neuen Mut, wie Kinderarzt Rainer Süßenguth bekräftigt: »Die Klinikclowns sorgen dafür, dass sich die Kinder wohl fühlen, die Umgebung für einen Moment vergessen und nicht mehr so verzagt sind.«

Humor entspannt und ist Lebenshilfe. Wer über sein eigenes Schicksal lachen kann, erhebt sich über sein Los. Selbst in extremen Situationen helfe der Trick, sagt Psychologe Ruch. Er berichtet über Studien mit US-Soldaten, die im Korea-Krieg gefoltert wurden: »Je humorvoller die Leute ihre Lage sahen, desto geringer war der seelische Schaden, den sie davontrugen.«

Dass Humor Labsal für die Seele ist, hat Ruch auch experimentell bestätigt. Der Forscher ließ Probanden zum Humortraining antreten. An acht Abenden studierten die Schüler Scherz und Fröhlichkeit. »Es ging zunächst darum, das eigene Kind wiederzuentdecken und eine spielerische Haltung zum Leben zurückzugewinnen«, erläutert Spaßcoach Heidi Stolz.

Ringelpiez mit Anfassen für Erwachsene und Sketche der britischen Komikfigur Mr. Bean gehörten zum Trainingsprogramm. Schließlich übten die Eleven, durch Überoder Untertreibung oder Wortwitze lustige Effekte zu erzielen und über sich selbst zu lachen. Am Ende berechneten die Psychologen einen »Humorquotienten« der Probanden, hergeleitet aus einem wissenschaftlichen Fragebogen zum Thema. »Die Werte für Heiterkeit sind gestiegen, jene für Ernsthaftigkeit und schlechte Laune sind gesunken«, sagt Stolz. Auch Freunde und Bekannte hätten die Teilnehmer nach dem Kurs als humorvoller eingestuft.

Vor allem aber sei die Wirkung des Trainings nachhaltig gewesen: »Auch nach zwei Monaten waren die Leute mit ihrem Leben noch zufriedener als zuvor.«

»Humor lässt sich trainieren«, bilanziert Ruch. Heiterkeit sei erlernbar, vergleichbar etwa mit einer Sprache. Mit erfreulichem Ergebnis: »Mehr Humor bedeutet auch mehr Lebenszufriedenheit.«

Die Narren bei der Stunksitzung im Kölner E-Werk können sich also auf dem Weg zur Glückseligkeit wähnen. Im 5/4-Takt von Dave Brubecks »Take Five« schunkeln sie sich in die Nacht. Karikierte deutsche Synchronschwimmerinnen entfalten ein »Free Tibet«-Transparent im chinesischen Haifischbecken. Gegen Ende wird noch Renate Künast persifliert.

»Der grüne Arsch hat zwei Backen«, gibt die als humorresistent gefürchtete Grüne zum Besten. »Mit einer kann man sich ja nichts verkneifen.« PHILIP BETHGE

* Jim Holt: »Stop me if you've heard this. A history and philosophy of jokes«. W. W. Norton, New York; 144 Seiten; 15,95 Dollar. * Oben: im Altonaer Kinderkrankenhaus in Hamburg; unten: Szene aus »Der große Diktator« mit Charlie Chaplin, 1940.

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