Zur Ausgabe
Artikel 72 / 114

MEDIZIN »Die Zeit ist reif für die Wahrheit«

Alle Kliniken müssen einer Zentralstelle melden, ob eine Operation gelang oder nicht. Funktionäre verhindern die Veröffentlichung des Datenschatzes - wo geschludert wird, soll geheim bleiben.
Von Carsten Holm
aus DER SPIEGEL 3/2006

Die Diagnose war eindeutig: Im Herz von Burckhard Jockel, 62, arbeitete die Aortenklappe nicht mehr richtig, nur eine Operation konnte die Insuffizienz beseitigen. Der Familienvater aus dem schleswig-holsteinischen Elmshorn stand vor einer schwierigen Entscheidung. Welchem Krankenhaus sollte er sich anvertrauen? Und, die wichtigste Frage: In welcher Klinik würde er die größte Chance haben zu überleben?

Jockel ging online. Im Internet fand er heraus, dass es große Herzzentren unter anderem an der Berliner Charité, in Essen, in Leipzig, in Dresden, im westfälischen Bad Oeynhausen und, in der Nähe seines Wohnorts, in der Hamburger Universitätsklinik Eppendorf (UKE) gibt. Alle schienen in guter Übung zu sein, manche

behandeln viele hundert, andere sogar Tausende Herzpatienten pro Jahr. Die Zahlen immerhin fand er in den sogenannten Qualitätsberichten, die alle Spitäler 2005 erstmals veröffentlichen mussten.

Ansonsten waren die Berichte für Jockel nutzlos: Die Kliniken müssen etwa darstellen, wie viele Betten sie haben - über die Qualität ihrer Arbeit dürfen sie sich in den vermeintlichen Qualitätsberichten aber ausschweigen. In welcher Klinik selten Komplikationen vorkommen und welche bei Herzklappenoperationen die geringste Sterberate hat, erfuhr Jockel nicht. Die Ärzte dürfen für sich behalten, ob sie zu den Könnern, zum Mittelmaß oder zu den Versagern ihrer Zunft gehören.

Jockels Kardiologe riet ihm zum UKE, die Herzchirurgie habe einen guten Ruf. Als Jockel im Internet-Forum »Die Herzklappe«, in dem Patienten Erfahrungen austauschen, nichts Negatives über die Uni-Klinik fand, ließ er sich im September im UKE operieren - mit Erfolg.

Der Elmshorner Herzpatient und sein Arzt hätten es bei der Suche nach einem geeigneten Hospital leichter haben können. Es gibt, unter strengster Geheimhaltung, eine Datenbank, die detailliert darüber Auskunft geben kann, in welchem der rund 2100 deutschen Krankenhäuser Eingriffe meistens fehlerfrei gelingen und in welchem oft etwas schiefgeht.

Überall im Land sitzen Ärzte nach Operationen am Computer und kreuzen an, was sie der in Düsseldorf residierenden Bundesgeschäftsstelle Qualitätssicherung (BQS) und deren 16 Landesgeschäftsstellen übermitteln müssen: Überlebte der Patient? Gab es Komplikationen? Kam es zu einer oberflächlichen oder gar zu einer tiefen Wundinfektion? Die Auswertung der Antworten durch die BQS ermöglicht unter anderem einen Überblick über die Behandlung von rund 887 000 Patienten mit Herz- und Kreislauferkrankungen, von rund 405 000 Patientinnen mit Frauenkrankheiten und lässt erkennen, wie viele von 662 000 Neugeborenen und ihren Müttern gut oder schlecht versorgt wurden.

»Ein in der deutschen Medizingeschichte einmaliger Datenschatz liegt da vor«, sagt die frühere Gesundheitsministerin Andrea Fischer (Grüne), die Deutschlands Operateure im Zuge der Gesundheitsreform 2000 zur Rechenschaft über ihre Arbeit verpflichtete.

Das Problem: Für die Allgemeinheit darf der Schatz nicht gehoben werden. Nur ein paar Qualitätssicherer erfahren, wo gut und wo schlecht operiert wird. Sie dürfen in einem behutsamen Verfahren, das den sanft klingenden Namen »Strukturierter Dialog« trägt, das Gespräch mit Kliniken suchen, denen häufig Fehler unterlaufen. Dabei müssen sie auf die vielerorts noch immer höchst sensiblen Chefarztseelen Rücksicht nehmen, wenn sie vorsichtig versuchen, auf die Operateure einzuwirken - aber auch das geschieht stets unter Ausschluss der Öffentlichkeit.

So kommt es, dass Patienten nicht erfahren, um welches Hospital sie besser einen Bogen machen sollten - und wo Deutschlands beste Kliniken residieren. Ärzte-Funktionäre und die Interessenvertreter der Krankenhäuser sorgen dafür, dass die Leistungsbilanz der Operateure gehütet wird wie ein Staatsgeheimnis.

Ihr Kernargument: Die Wahrheit über die Qualität der Hospitäler würde Patienten verunsichern, negative Daten könnten den Ruf ganzer Häuser ruinieren und in ihrer Existenz bedrohen. Die frühere Ministerin Fischer versteht solche Sorgen: »Viele Kliniken haben Angst, dass grelles Licht in ihre dunklen Ecken fällt, wenn die Daten sofort veröffentlicht werden.« Die Gesundheitsexpertin findet jedoch: Nach einer Übergangsfrist, in der die Krankenhäuser Mängel beheben können, sollte die Zahlensammlung frei zugänglich sein. »Die Zeit ist reif für die Wahrheit«, sagt Fischer, »in zwei Jahren könnte das machbar sein.«

Auch Christoph Kranich, Leiter der Fachabteilung Gesundheit in der Hamburger Verbraucherzentrale, plädiert für mehr Offenheit. Das Eingeständnis von Fehlern »kann doch auch ein Qualitätsmerkmal einer Klinik sein«, sagt Kranich, »wer nichts zu verbergen hat, braucht doch auch nichts zu befürchten«. Kranich kennt die Debatte um die Düsseldorfer Daten sehr genau, er gehört dem Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) an, in dem Kassen, Krankenhäuser, Ärzte, Patienten und Pfleger gemeinsam die Richtlinien für die Qualitätskontrolle festlegen. Mit ihrer Forderung nach Transparenz stehen Patientenvertreter wie er oft auf verlorenem Posten.

Dabei ist das Interesse der Patienten riesengroß. Als rund die Hälfte der Krankenhäuser im Ruhrgebiet 2004 erstmals den Mut hatte, die von der BQS ausgewerteten Daten freiwillig dem neuen »Klinik-Führer Rhein-Ruhr« zur Verfügung zu stellen, waren 32 000 Exemplare innerhalb von drei Wochen vergriffen. Zudem luden sich 190 000 Internet-User die Informationen herunter.

Die Wirklichkeit in manchen Operationssälen ist erschreckend. Immer wieder stoßen die Düsseldorfer Qualitätssicherer auf haarsträubende Fehler. Im Zuge einer bundesweiten, anonymisierten Auswertung fanden sie unter anderem heraus:

* In 614 von 691 Krankenhäusern wurde bei Krebsoperationen an der weiblichen Brust der Sicherheitsabstand zwischen dem gesunden und dem von einem Mammakarzinom befallenen Gewebe entgegen allen Vorschriften nicht gemessen oder nicht dokumentiert; oft blieb völlig offen, ob genügend befallenes Gewebe entnommen wurde.

* Patienten laufen in etlichen Kliniken Gefahr, eine Thrombose oder eine Infektion zu erleiden, weil Ärzte die sogenannten Leitlinien ignorieren und vorbeugende Medikamente nicht geben.

* In einer Klinik trat bei fast jedem fünften Hüftprothesen-Wechsel eine frühzeitige Ausrenkung des Hüftgelenks schon im Krankenhaus auf - rund siebenmal so oft wie im Bundesschnitt.

* In etlichen Häusern wurden Patienten mit einer Schenkelhalsfraktur zu spät operiert, obwohl ein Eingriff innerhalb von 24 Stunden das Risiko einer Thrombose, einer Lungenembolie oder eines Druckgeschwürs verringert.

Ohne Schwächen ist die Methodik der BQS indes nicht. Das Fiasko, das etliche Kliniken mit dem sogenannten Robodoc erlebten, wäre den Qualitätssicherern kaum aufgefallen. Jahrelang hatten etliche Orthopäden den Operationsroboter für den Einsatz künstlicher Hüftgelenke genutzt

und geradezu hymnisch gepriesen. Tatsächlich säbelte das Gerät überdurchschnittlich oft fehlerhaft an Muskeln und Nerven herum, bis es 2004 flächendeckend stillgelegt wurde.

Die Schäden wurden vielfach erst nach der Entlassung sichtbar - die Qualitätssicherer jedoch dürfen nur Komplikationen während des Klinikaufenthalts erfassen. Mehr ist ihnen allein aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht erlaubt.

Aber wenn sie die aus allen Teilen der Republik eingehenden Berichte über Operationen auswerten, entdecken die Kontrolleure auch mit ihrem jetzigen Überwachungssystem immer wieder, wie fahrlässig Ärzte mit Patienten umgehen - und oft sind Frauen davon betroffen. So sollte eine Gewebeprobe vor Brustkrebsoperationen Standard sein, weil sie Aufschluss über die Art des Tumors geben kann.

In Hessen aber mussten die Qualitätssicherer mehr als ein Drittel der Kliniken, die Mammakarzinome operieren, mahnen, weil die sogenannte präoperative Histologie unzureichend erschien. »Manche Ärzte operieren leider drauflos, ohne zu wissen, welcher Tumor sie erwartet«, sagt Björn Misselwitz, Leiter der Landesgeschäftsstelle Qualitätssicherung in Hessen.

Auch in Geburtskliniken stießen die Prüfer auf furchterregende Zustände. In kleineren Häusern, in denen Gebärende ohnehin mit einem größeren Risiko von Komplikationen rechnen müssen als in größeren, fehlten Apparate zur Blutgasanalyse von Ungeborenen oder waren defekt - die

Geräte zeigen an, wann ein bedrohlicher Sauerstoffmangel vorliegt und ein Kaiserschnitt geboten ist. In Nordhessen fiel zudem eine Klinik auf, die eine hohe Rate von schweren Dammrissen hatte. Die Ursache: Fehler einer Hebamme, die Jahre nicht praktiziert hatte.

Immerhin: Die Qualitätssicherer erreichten, dass die Hebamme entlassen und ein Blutgasanalyseapparat angeschafft wurde. Nur: Mütter erfuhren nichts von den Risiken, denen sie und ihre Kinder ausgesetzt waren.

Ahnungslos waren auch Frauen, die eine Frühgeburt befürchteten und sich Ärzten anvertrauten, die gegen elementare Regeln der Kunst verstießen. Unstrittig ist, dass Schwangere, die ihr Kind vor der 34. Woche gebären werden, zur Verbesserung der Lungenreife des Fötus mit Hormonen (Kortikosteroiden) behandelt werden müssen. Den Ungeborenen drohen sonst schwere Schäden, schlimmstenfalls sterben sie. Und doch erhielten in einigen Geburtskliniken nur fünf bis zehn Prozent der betroffenen Frauen diese Hormone, im Bundesdurchschnitt wurden sie vor gut jeder dritten Frühgeburt nicht verabreicht.

All diese werdenden Mütter ahnten nicht, in welche Gefahr sie sich begaben. Und sie werden, wenn ihr Frühgeborenes zu Schaden kam oder starb, womöglich nie erfahren, ob es bei der Entbindung einen Täter und zwei Opfer gab.

Zur ärztlichen Routine gehört die Entfernung der Gallenblase. Laut den anonymisierten BQS-Daten nahmen Chirurgen 2004 in 1101 deutschen Kliniken 102 372 solcher Eingriffe bei Patienten mit geringem Infektionsrisiko vor. Im statistischen Durchschnitt erlitten bundesweit nur gut 8 von 1000 Patienten Wundinfektionen. Die Zahl ist beruhigend, denn nach Referenzdaten aus deutschen und amerikanischen Infektionsüberwachungssystemen gilt sogar eine Zahl von 20 Wundinfizierten pro 1000 Patienten als akzeptabel.

Doch die Leistung schwankt von Klinik zu Klinik. Jedes siebte Krankenhaus nimmt die Gefahr von Wundinfektionen offensichtlich nicht ernst genug. In einzelnen Hospitälern werden rund 100 von 1000 Gallenblase-Patienten im OP-Saal kränker, als sie vorher waren - fünfmal so viele, wie nach internationalem Maßstab tolerabel ist. Im BQS-Qualitätsreport 2003 hatten die Qualitätssicherer zudem von einem Spital berichtet, in dem fast jeder zweite Patient ohne sichere Diagnose operiert worden war. Aber außer einem kleinen Kreis von Insidern erfährt niemand, in welchem Krankenhaus geschlampt wird.

Dabei arbeiten die Qualitätssicherer höchst differenziert: Ihr Kontrollsystem schlägt an, wenn Kliniken schlechter sind als die Referenzwerte - aber auch, wenn ein Haus auffällig gut abschneidet. So suchten Fachleute der BQS im Herbst 2004 die Kerckhoff-Klinik im hessischen Bad Nauheim auf. Die Herzchirurgie hatte im zweiten Jahr hintereinander eine Sterblichkeitsrate von unter einem Prozent gemeldet - im Bundesdurchschnitt liegt sie fast viermal so hoch. Das kam den Prüfern, die wissen, dass bei der Datenerhebung gelegentlich gemogelt wird, seltsam vor.

»Wir waren verdächtig«, sagt Chefarzt Wolf-Peter Klövekorn. Aber die Überprüfung der Datenerfassung und der Abgleich mit Krankenakten zeigten, dass nicht geschummelt worden war. Nicht nur die Sterberaten waren niedrig. 85 von 100 Patienten konnten schon am ersten Tag nach der Operation aufstehen, mehr als doppelt so viele wie im Bundesschnitt.

Die Qualitätssicherer analysierten, wie Klövekorn und Kollegen arbeiten, und wollen deren Behandlungsabläufe anderen Kliniken mit schlechteren Ergebnissen als Vorbild zur Verfügung stellen. »Wir kochen auch nur mit Wasser«, sagt Klövekorn, »aber bei uns stimmt die Kooperation der Abteilungen.« Ein Chirurg könne noch so gut operieren - »wenn die Abstimmung mit den Anästhesisten nicht klappt, kommt er nicht zu guten Resultaten«.

Auch wer den Fortschritt in seinem Fach verschläft, fällt auf. So waren Experten der

Düsseldorfer BQS fast sprachlos, als sie darauf stießen, wie der Chefarzt einer der 77 Herzkliniken operierte. In den Fragebögen hatte der Chirurg angekreuzt, bei Bypass-Operationen an den Herzkranzgefäßen stets ein Stück der Beinvene einzusetzen - und nicht, wie üblich, die linksseitige innere Brustwandarterie.

Seit Anfang der achtziger Jahre ist bekannt, dass die Beinvene schlechteres Material für den Bypass bietet. Das Risiko eines Herzinfarkts oder einer Nachoperation ist höher als bei dem neueren Verfahren. Das wusste niemand, der sich dem Skalpell des Chef-Chirurgen anvertraute; und es war wohl so wie beim Autofahren vor der Erfindung des Sicherheitsgurts: Es geht gut, solange nichts passiert.

Die Düsseldorfer Qualitätssicherer zitierten den Herzspezialisten zu sich. Prompt gelobte er, fortan nur noch nach der modernen Methode zu operieren.

Aber darf ein solches Wissen über systematische Mängel in Krankenhäusern Patienten und einweisenden Ärzten vorenthalten werden? Ist es richtig, dass Patienten zwar einen Rechtsanspruch haben, darüber aufgeklärt zu werden, wie krank sie sind und wann sie voraussichtlich sterben müssen - dass sie aber nicht wissen dürfen, in welcher Klinik sie etwa eine Herzoperation eher überleben als in anderen?

Die Zahl misslungener Operationen wollen auch die Interessenvertreter der Krankenhäuser vermindern. Die Krankenhausgesellschaft aber, welche die Interessen fast aller deutschen Kliniken vertritt, möchte dies lautlos erreichen. Martin Walger, Geschäftsführer für den Bereich Organisation, warnt davor, Hospitäler zur Veröffentlichung von Ergebnissen zu zwingen. Die Diskussion über die Qualität von Operationen brauche »einen geschützten Raum«, das Verfahren der Qualitätssicherung sei zu sensibel, um es schon jetzt offenzulegen, und »zu differenziert, um es in einer Zahl begreiflich zu machen«.

Ob etwa der Ersatz eines Kniegelenks erfolgreich verlaufen sei, werde anhand von 16 Qualitätsindikatoren geprüft. »Reißt ein Operateur einen, heißt das nicht, dass der gesamte Eingriff misslang«, sagt Walger. Es bestehe die Gefahr, »dass eine Abteilung oder gar das ganze Krankenhaus einen schlechten Ruf bekommt, wenn einzelne ungünstige Daten bekannt werden«.

Die Geheimnistuerei um die Qualität der Hospitäler aber droht eine aufkeimende Debatte zu ersticken, in der es in Deutschland erheblichen Nachholbedarf gibt. Denn über Fehler wird hierzulande lieber geschwiegen. Matthias Rothmund, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie und Professor an der Uni-Klinik im hessischen Marburg, hält seinen Kollegen vor, dass in acht von zehn Häusern, die junge Chirurgen ausbilden, keine Morbiditäts- und Letalitätskonferenzen stattfinden - über den Zustand von Patienten und Sterblichkeitsraten also geschwiegen wird. England, die USA und Australien seien der Bundesrepublik beim Fehlermanagement »weit voraus«. Je kleiner das Krankenhaus hierzulande, so Rothmund, »desto seltener wird über Fehler gesprochen«.

Es kann im Gesundheitswesen durchaus auf die Größe ankommen, bei einigen Operationen macht erst Übung den Meister. Hohe Fallzahlen aber können kleine Hospitäler kaum vorweisen.

Nach langen, teils erbitterten Debatten beschlossen die Krankenhausplaner im Gemeinsamen Bundesausschuss vorigen Herbst, Kliniken, die jährlich weniger als 50 Knie-Totalendoprothesen operieren, die Erlaubnis dafür ab Januar 2006 zu verweigern. Für orthopädische und chirurgische Abteilungen, die zwischen 40 und 49 Erstimplantate von künstlichen Kniegelenken vorweisen konnten und den Referenzwert der Qualitätssicherer erreichten, gilt eine einjährige Ausnahmeregelung.

Was medizinisch sinnvoll scheint, führt mancherorts zu praktischen Nachteilen, vor allem in dünnbesiedelten Regionen: 20 von 32 Kliniken in Schleswig-Holstein, die diese Operation vornahmen, wird der Eingriff nun verwehrt. Bewohner der Insel Sylt dürfen künftig nicht mehr im Krankenhaus von Westerland eine neue Knieprothese erhalten, sondern müssen dafür aufs Festland reisen, etwa ins 120 Kilometer entfernte Flensburg.

Die schlechtere Versorgung auf dem Land ist ein Preis, der in Zukunft wohl häufiger für bessere ärztliche Leistungen zu zahlen ist. Denn auch die mächtigen Assekuranzen setzen die Kliniken immer mehr unter Druck. Die Barmer Ersatzkasse ist schon jetzt kaum noch bereit, die Geheimniskrämerei hinzunehmen. »Die Kliniken sollten verpflichtet werden, offen darzulegen, wie gut oder schlecht sie sind«, sagt Achim Kleinfeld, Verantwortlicher der Barmer für Qualitätssicherung.

Die Krankenkassen und die Verbände der Krankenhäuser, so Kleinfeld, sollten sich »schon bald« auf ausgewählte Indikatoren einigen, die für Patienten verständlich zeigen, wie es um eine Klinik bestellt ist. Der nächste Qualitätsbericht der Hospitäler, der 2007 erscheint, müsse von der anonymen Darstellung abrücken und zumindest ausweisen, »wer welche Wundinfektionsraten hat oder bei wem sich künstliche Hüftgelenke schneller lockern«, fordert Kleinfeld. Das oft höhere Operationsrisiko, das Kliniken bei älteren oder kränkeren Patienten haben, müsse berücksichtigt werden, um einen fairen Vergleich zu ermöglichen. Die Barmer hat schon rund 100 Verträge mit Kliniken geschlossen, in denen sie die Herausgabe der BQS-Daten verlangt.

Nur Häuser, die nachweislich gute Arbeit machen, erhalten dauerhafte Kooperationsverträge, die ihnen zusätzlich zur Budgetierung erhebliche Mehreinnahmen bescheren können. Hospitäler, die neben ihren üblichen 300 bis 500 Hüftoperationen bei Mitgliedern anderer Versicherungen pro Jahr noch weitere 100 bei Barmer-Patienten vornehmen, können rund eine Million Euro extra einnehmen. Die Barmer müsse darauf achten, dass gute Qualität abgeliefert werde, sagt Kleinfeld, »gleichzeitig soll sich die Qualität für die Häuser lohnen«.

Qualitätssicherer plädieren dafür, dass nachlässig arbeitenden Abteilungen der Krankenhäuser schon bald Grenzen gesetzt werden. Volker Mohr, gelernter Bauchchirurg und seit fünf Jahren Geschäftsführer der Düsseldorfer BQS-Zentrale, hält es für »sinnvoll, gesetzlich festzuschreiben, dass nur noch untersuchen und behandeln darf, wer qualitative Mindeststandards erreicht«.

Das wäre, sagt Mohr, »ein großer Schritt für die Versorgung der Patienten in Deutschland«. CARSTEN HOLM

* In der Bundesgeschäftsstelle für Qualitätssicherung in Düsseldorf.

Zur Ausgabe
Artikel 72 / 114
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten