Eiserne Kur
Er steht auf vier seltsam abgespreizten Beinen und ragt 300 Meter hoch in den Himmel von Paris. Die Franzosen blickten von jeher voll Stolz auf das weltberühmte Bauwerk, aber längst nicht alle haben es geliebt.
»Ich flüchtete aus Paris, ja sogar aus Frankreich«, klagte einst der französische Schriftsteller Guy de Maupassant, »weil mich der Anblick dieses Eiffel-Turms so sehr belästigt.« Sogar sein Erbauer, der französische Ingenieur Gustave Eiffel, betrachtete das Metallgebilde mit zwiespältigen Gefühlen. »Eigentlich sollte ich eifersüchtig sein«, so Eiffel kurz vor seinem Tode im Jahre 1923, »weil er berühmter ist als ich.«
Das Stahlgerüst, erbaut im Jahre 1889 für umgerechnet 3,5 Millionen Mark, blieb berühmt, mit seiner Anziehungskraft auf Liebende, Protestler, Filmemacher, Künstler und Selbstmörder. Aber es begann auch allmählich zu vergammeln.
Bis in die jüngste Zeit hatten die Ingenieure keine einzige der 2,5 Millionen Nieten erneuert; statt dessen wurden - liebloses Flickwerk - immer neue Betonschichten auf das Stahlgerippe gepappt, bis es zum architektonischen Fettwanst wurde. Statt ursprünglich 7175 Tonnen wog das Bauwerk am Ende rund 11 000 Tonnen - die Ingenieure sorgten sich um die Tragfähigkeit der Turmbeine.
Umgerechnet rund 65 Millionen Mark kostete, zwei Jahre dauerte die Entschlackungskur, mit der das alte Eisengerippe, Wahrzeichen von Paris, wieder fit gemacht wurde: Um mehr als 1000 Tonnen verminderte sich sein Gewicht.
Die Ingenieure ließen die Betonbürden durch leichtere, gleichwohl festere Stahlplatten ersetzen. Die schweren alten Fahrstühle, die umständlich mit einer Hydraulik betrieben wurden und im Winter meist nicht funktionierten, mußten modernen Fahrkörben mit Elektroantrieb weichen.
»Ich bin stolz, schon heute sagen zu können, daß sich der Eiffel-Turm zu seinem 100. Geburtstag in Top-Form vorstellen wird«, verkündete Bernard Rocher, Präsident der stadteigenen Eiffel-Turm-Gesellschaft. Noch diesen Monat soll der hundertmillionste Turmbesucher die Aussichtsplattform erklimmen.
Die eiserne Turmkur sicherte den Fortbestand eines der meistbewunderten, doch auch umstrittensten Baudenkmäler des vergangenen Jahrhunderts.
Als der Turm seinerzeit, nach einer Bauzeit von 27 Monaten, pünktlich zur Weltausstellung und zum hundertsten Jahrestag der Revolution fertig wurde, konnte die Grande Nation das höchste Gebäude der Welt ihr eigen nennen - sehr zum Neid der Amerikaner.
Amerikas Baumeister ließen es sich nicht nehmen, das Pariser Jahrhundert-Bauwerk zu übertrumpfen. Der Ingenieur George Ferris baute ein Riesenrad von bis dahin unvorstellbaren Dimensionen: so hoch wie ein 26stöckiges Haus. Das Ferris-Rad wurde - neben dem Telephon, der Glühlampe, dem Phonographen und der Linotype-Setzmaschine - eine Attraktion der Weltausstellung 1893 in Chicago.
Zu der Zeit galt der hochaufragende Eiffel-Turm schon vielen als Ärgernis im Weichbild der Weltstadt Paris. Schon während seiner Bauzeit hatten Gegner,
vor allem Künstler, in einem offenen Brief über den »lächerlichen Turm« gewettert, »der wie ein riesenhafter Fabrikschornstein Paris dominiert«. Im Jahre 1909 wurde der Abriß des Turmes beschlossen. Dann blieb er doch stehen, weil Frankreichs Militärs ihn als brauchbare Sende- und Empfangsstation für den Funkverkehr entdeckten.
Mehr als 360 Personen sind bisher vom Eiffel-Turm gesprungen. Ein Pilot kam bei dem Versuch ums Leben, die Tragebögen des Turmes zu unterfliegen. Ein ungarischer Schneider, der durch einen Turmsprung die Vorzüge einer von ihm entwickelten Kombination aus Regenmantel und Fallschirm erweisen wollte, stürzte sich zu Tode.
Auf alle erdenkliche Weise ist der Eiffel-Turm über die Jahre hin erstiegen worden: rückwärts, auf Händen, auf Stelzen, huckepack und nackt. 1968 hielten demonstrierende Studenten den Turm eine Weile besetzt.
Wer in einem der Turm-Restaurants zu essen wagte, hatte von vornherein schlecht gewählt. »Das Essen, um es gnädig auszudrücken«, urteilte sogar ein amerikanischer »Newsweek«-Korrespondent, »war mittelmäßig.«
Die Hoffnung, daß es in Zukunft sehr viel besser werden könnte, scheint gering: Für die Speisung der Turmgäste sind nunmehr Köche einer Restaurant-Gruppe zuständig, zu der auch das »Maxim''s« gehört. _(Auf der Spitze des Eiffel-Turms. )
Auf der Spitze des Eiffel-Turms.