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ASTRONOMIE Erbe der Natur verspielt

Die Lichter der Großstädte trüben zunehmend den Blick aufs Firmament. Amateurastronomen wollen jetzt den Sternenhimmel retten.
aus DER SPIEGEL 5/1997

Als Lord Kelvin, der britische Pionier der Elektrophysik, vor hundert Jahren New York besuchte, erregte er sich heftig über die elektrischen Straßenlaternen. Ihr neumodisches Kunstlicht, nörgelte der Erfinder der Untersee-Telegrafie, strahle so hell, daß es »wohl noch den Marsmenschen ins Auge sticht«.

So gesehen müßten sich empfindliche Außerirdische heutzutage geradezu geblendet fühlen. Illuminiert wie ein Musikdampfer treibt die Erdkugel mittlerweile durchs All. Gewaltige Licht-Glocken, so zeigen es Satellitenaufnahmen, überwölben vor allem die Metropolen und Ballungsgebiete auf der Nordhemisphäre.

Am Boden bilden die Lichter der Großstädte einen diffusen Schleier, der zunehmend den Blick aufs Firmament trübt. Selbst in einer wolkenlosen Winternacht sind vielerorts nur noch die hellsten Sterne zu erkennen.

»Es ist schon ein Jammer«, klagt Andreas Hänel, Leiter des Planetariums in Osnabrück, »wir sind dabei, ein wunderbares Naturerbe zu verspielen.« Immer häufiger erlebt er, daß »Besucher bei unseren Vorführungen das erste Mal in ihrem Leben die Milchstraße sehen«.

Hänel will den schleichenden Verlust der Nacht nicht länger hinnehmen. Zusammen mit rund 30 Amateurastronomen hat er jetzt eine »Initiative gegen Lichtverschmutzung« gestartet. »Rettet den Sternenhimmel!« fordern sie in ihrem Aufruf. Einer von ihnen, der Tübinger Biologe Wolfgang Wettlaufer, hat sich sogar mit einer Petition an den Bundestag gewandt.

»Viele von uns haben allerdings schon resigniert«, berichtet Jost Jahn von der Vereinigung der Sternfreunde, dem 3000 Mitglieder zählenden Verband der deutschen Amateurastronomen. Er selber, so berichtet der Zahnarzt, der in einem Dorf in der Lüneburger Heide lebt, habe zwar nächtens noch fast ungetrübte Sicht. »Aber sogar bei uns auf dem Lande«, so Jahn, »hat sich die Lage in den letzten Jahren dramatisch verschlechtert.«

Gründe für die anschwellende Lichterflut gibt es viele. Tag für Tag verschwindet rund ein Quadratkilometer Bundesrepublik unter Straßen und neuen Siedlungen, das entspricht pro Jahr der Fläche von München - der größte Teil davon wird hinfort ordentlich in Licht gebadet. Laternengesäumte Ausfallstraßen, neonbestückte Tankstellen, angestrahlte Gewerbebauten und beleuchtete Eigenheimghettos verwandeln die Landschaft in einen schwarzweißen Flickenteppich. Aus Angst vor Einbrechern rüsten zudem viele Bürger und Firmen ihre Häuser mit Flutlichtern zu strahlenden Trutzburgen um.

Längst sind die Berufsastronomen in weit entlegene Gegenden geflohen. Ihre modernen Riesenteleskope errichten sie in Chile oder auf Hawaii. Den Hobby-Sternguckern bleiben solche Fluchtwege versperrt.

Um die dunklen Orte in Deutschland aufzuspüren, hat Winfried Kräling, Mitbegründer der Anti-Licht-Kampagne, deshalb am Computer Satellitenfotos ausgewertet. Seine so erstellte »Lichtverschmutzungs-Karte« zeigt, wo in Deutschland, auch mit kleinen optischen Teleskopen, lichtschwache Kometen oder entfernte Galaxien beobachtet werden können. Noch am günstigsten ist die Sicht in den dünnbesiedelten Gebieten Mecklenburgs oder des Bayerischen Waldes.

Zu seiner Überraschung fand der hessische Konstrukteur aber auch in seiner Nähe, am Vogelsberg, nur 65 Kilometer von der lichtübersäten Mainmetropole Frankfurt entfernt, einen dunklen Fleck. Dort geht er neuerdings auf Kometenjagd - beim Aufspüren von Schweifsternen kommen die Freizeit-Astronomen oft den Profis zuvor. Den spektakulären Kometen Hale-Bopp beispielsweise, der in den nächsten Wochen sogar mit bloßem Auge zu sehen sein soll, haben zuerst amerikanische Hobby-Astronomen gesichtet.

»Doch auch aus den letzten Nischen, in die wir uns zurückgezogen haben, werden wir neuerdings verscheucht«, klagt Kräling. Hauptärgernis sind sogenannte Sky-Beamer, die sich in den letzten Jahren über das ganze Land ausgebreitet haben. Vor allem Diskotheken und Restaurants richten diese riesigen Scheinwerfer gen Himmel, um Werbung für sich zu machen.

Häufig werden die von ihnen erzeugten tanzenden Lichtflecken am Firmament von Spaziergängern für Ufos gehalten. Mit Reichweiten von bis zu 30 Kilometern hellen die 2500-Watt-Strahler, die an Flak-Scheinwerfer erinnern, noch die letzten Winkel der Walachei aus.

Die Himmelsleuchten sind auch Todesfallen für Vögel und Insekten. Vor allem Zugvögel kreisen um die Lichtfackeln, verletzen sich dabei oder sinken ermattet zu Boden. Im hessischen Lauterbach gerieten letzten November mehrere Kraniche in den Bann eines Disko-Strahlers. Erst als die alarmierte Polizei den Scheinwerfer ausschalten ließ, setzten die erschöpften Tiere ihre Reise nach Süden fort.

Die Sterngucker wollen sich nun mit Naturschützern verbünden, um für ein Verbot der Sky-Beamer zu kämpfen. Kräling fordert: »Der Nachthimmel darf nicht als Werbefläche mißbraucht werden.«

Die Amateurastronomen haben aber auch Ideen, wie die ganz normale Straßen- beleuchtung eingedämmt werden könnte. Mit einfachen Blenden ließe sich etwa erreichen, daß Laternen wirklich nur die Straßen beleuchten und ihr Licht nicht in alle Richtungen streuen. »Die meiste Lichtverschmutzung«, sagt Kräling, »entsteht durch Gedankenlosigkeit.«

Für die Sterngucker ist vor allem Gelb die Farbe der Hoffnung. Sie setzen darauf, daß Städte und Gemeinden die Straßenlaternen nach und nach auf sogenannte Natriumdampf-Niederdrucklampen umrüsten. Das angenehme Licht der Natriumlampen strahlt nur in einem winzigen gelben Bereich des Farbenspektrums ab und kann deshalb von den Hobby-Astronomen leichter herausgefiltert werden. Die sanften Leuchten stören auch die Tierwelt erheblich weniger.

Ein weiterer Vorteil: Verglichen mit den bislang gebräuchlichen, gleißend hellen Quecksilberdampflampen verbrauchen die Natriumdampflampen über 40 Prozent weniger Energie. Mit den gelben Straßenlaternen ließe sich mithin eine Menge Geld sparen - rund 1,1 Milliarden Mark geben allein die alten Bundesländer jährlich aus, um den Asphalt zu beleuchten.

* Satellitenaufnahme; die roten Lichtflecken, zum Beispielin der Nordsee und in der Sahara, zeigen Gasabfackelungen überErdölfeldern.

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