MEDIZIN Erfolge mit Alpha
Jahrelang war das Mittel wertvoller als Gold und Diamanten. Ein Gramm davon kostete 100 Millionen Mark. Der todkranke Schah Resa Pahlewi von Persien verlangte vergebens nach einer vermeintlich lebensverlängernden Dosis. Patienten flehten ihre Ärzte an.
Erst als genetisch manipulierte Kleinstlebewesen (Coli-Bakterien) Anfang der achtziger Jahre die Produktion des Stoffes übernahmen, wurde er in größeren Mengen herstellbar, der Preis sank. Wird Interferon demnächst zum Kassenschlager in der Apotheke?
Der körpereigene, hormonähnliche Botenstoff, den britische Mediziner vor knapp 30 Jahren als Agenten des menschlichen Abwehrsystems entdeckten, hat die Hoffnungen, die Krebskranke in ihn setzten, nicht erfüllt. Nun wird er auf einem anderen, banalen Gebiet der Medizin ausprobiert: als Vorbeugungsmittel gegen Erkältungskrankheiten. Husten, Schnupfen und Heiserkeit ließen sich abwenden, wenn sich bestätigen
sollte, was amerikanische und australische Wissenschaftler bei Untersuchungen herausfanden.
Familien, so der Test, bei denen Mitglieder Erkältungssymptome zeigten, begegneten einer möglichen Ansteckung mit einem Nasenspray, das Interferon vom Typ Alpha 2 enthielt. Zum Vergleich diente eine Gruppe von Probanden, die sich gegen die Erreger mit einem völlig wirkungslosen Spray zu schützen suchten.
Das Interferon hielt, wie die Ärzte jetzt im »New England Journal of Medicine« mitteilten, die Virenplage erstaunlich gut in Schach. Bei den Getesteten die das Alpha-Interferon an sieben Tagen hintereinander inhaliert hatten, zählten die Mediziner 40 Prozent weniger Atemwegserkrankungen als bei der Vergleichsgruppe. Der vorbeugende Schutz wirkte sogar bei 80 Prozent der Versuchspersonen, wenn die Infektion ihrer Verwandten ausschließlich von Rhinoviren herrührte. Diese »Schnupfen«-Viren verursachen 30 bis 50 Prozent aller Erkältungen.
Daß die von der Schering-Plough Corp., dem amerikanischen Interferon-Hersteller, finanzierten Versuche auf beiden Kontinenten nahezu identische Ergebnisse lieferten, stimmt die beteiligten Wissenschaftler optimistisch. Die Tests, so Gordon Douglas, Spezialist für Erkältungskrankheiten am New York Hospital-Cornell Medical Center, seien der erste Beweis dafür, daß Interferon gegen Krankheiten dieser Art einen Schutzschild aufbauen könne.
Frühere Anläufe, bei denen das Mittel einen ganzen Monat lang verabreicht werden sollte, waren weit weniger ermutigend verlaufen: Noch vor Ablauf der Frist hatten die Testpatienten über kleinere Blutungen und Geschwüre in der Nase geklagt; Skepsis verbreitete sich darauf unter den Medizinern.
Die jüngste Testserie könnte dem Wirkstoff ein neues Anwendungsgebiet erschließen - nachdem der Einsatz als Anti-Krebs-Mittel bislang nur bei wenigen, relativ seltenen Krebsarten Erfolge gezeigt hat: Bei der sogenannten Haarzell-Leukämie, einer bestimmten Form von Blutkrebs, und beim multiplen Myelom, einer mit schweren Knochenschmerzen verbundenen Krebsart, gilt Interferon auch weiterhin als Mittel der Wahl.
»Gute Erfolge« mit Interferon verzeichneten die Mediziner auch bei bestimmten Viruserkrankungen wie zum Beispiel der »Gürtelrose«, einer durch Viren hervorgerufenen schmerzhaften Nervenentzündung, bei Masern, Infektionen des Innenohrs und bei Gehirnentzündungen (Virusenzephalitis).
Der Einsatz des Virenkillers gegen Erkältungen kann nach den jüngsten Tests erwogen werden. Noch ist das Spray der amerikanischen Pharmafirma im Experimentierstadium. Mindestens ein Jahr, so rechnen Beobachter, werde es dauern, ehe das Mittel von der US-Arzneimittelbehörde zugelassen werde. Auch dann würde es wohl fürs erste nur Asthmatikern und Schwerkranken verabreicht, deren Zustand sich durch eine hinzukommende Erkältung bedrohlich verschlechtern könnte.
Als wohlfeiles Hausmittel für die Mehrheit der Hustenden und Schniefenden sehen die Wissenschaftler Interferon einstweilen nicht. Um mit der hochkarätigen Wirksubstanz auf einen gewöhnlichen Frühjahrs- oder Herbstschnupfen zu schießen, dazu, so Jonathan Spicehandler, Vizepräsident der Schering-Plough Corp., sei der Stoff nun doch wieder zu teuer.