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»Erfreue dich der Symmetrie«

Rätselraten um ein neues mathematisches Geduldspiel In New York und Tokio wie in der deutschen Provinz wird wieder Denksport geübt: An »Rubik's Cube«, einem dreidimensionalen Puzzle, drehen schon Millionen Spieler. Der bunte Würfel des Budapester Design-Professors Ernö Rubik birgt 43 Trillionen verschiedene Muster - Pennäler und Mathematiker wetteifern um Lösungsmöglichkeiten. Der SPIEGEL bietet erste Hilfe.
aus DER SPIEGEL 4/1981

Weil das Ding aus Ungarn kommt, sollte Amerika dafür mit Pußta-Folklore a la Hollywood gewonnen werden. US-Premiere für »Rubik''s Cube«, den Zauberwürfel, feierte der Spielzeug-Konzern Ideal Toy deshalb in Beverly Hills bei Kohlrouladen, Paprikahuhn und Zigeunergeigen mit Zsa Zsa Gabor als Zugnummer.

Konnte das rundliche Alt-Starlet (derzeit siebte Ehe) mit der eckigen Denksport-Neuheit etwas anfangen? »Wenn ich ein Genie wäre, Darling«, gurrte Zsa Zsa, »würde ich nicht Spielzeug verkaufen.«

Verkauft hat sich der bunte Plastik-Kubus von 5,7 Zentimeter Kantenlänge indes wie von selbst. Trotz Preisen um und über 20 Mark wurde der knarzend in sich bewegliche Schnickschnack, der offenbar ein süchtig machendes Gehirn-Knacken erzeugt, ein interkontinentaler Erfolg.

Rund vier Millionen Stück setzte Ideal Toy seit März letzten Jahres weltweit ab, darunter bis Jahresende knapp eine Million über die deutsche Schwestergesellschaft Arxon allein in der Bundesrepublik -- nicht nur als pfiffiges Weihnachts-Präsent.

»Der Boom ist ungebrochen«, berichtet Arxon-Geschäftsführer Hans Stahler. »Wir liefern nun etwa 50 000 Stück pro Woche aus, alles, was Ungarn schicken kann.«

Was da in deutschen Läden und Kaufhäusern nicht anders als in den USA, in England und Japan als begehrte Mangelware gehandelt wird, ist ein zwar im Design ansprechendes, doch zunächst anspruchslos anmutendes dreidimensionales Puzzle. Der sechsfarbige Würfel scheint aus 27 Würfelchen zu bestehen, die sich allseits gegeneinander verdrehen lassen.

Der Witz liegt in doppeltem Sinne im Verborgenen: in der Innenkonstruktion und in einer Unzahl von Spielmöglichkeiten.

»Erfreue dich der hübschen Symmetrie, solange sie da ist«, warnte das US-Wissenschaftsmagazin »Omni« ahnungslose Kubologie-Neulinge. »Vielleicht siehst du sie nie wieder, sobald du zu spielen begonnen hast.«

In der Tat: Kaum hat der Anfänger probiert, warum das 3-D-Puzzle nicht auseinanderfällt, sind die insgesamt 54 Farbflächen kunterbunt durchmischt. Bereits nach den ersten vier oder fünf unbedachten Drehungen an dem gelenkigen Kunststoff-Würfel finden selbst Experten auf den einschlägigen mathematischen Gebieten Gruppentheorie und Kombinatorik nicht mehr zur anfänglichen Ordnung zurück -- es sei denn, sie verstünden es, knifflige Strategien ("Algorithmen") anzuwenden.

Ersonnen hat das kleine Wunderwerk der Bildhauer und Innenarchitekt Ernö Rubik, 36, schon vor sechs Jahren. Er hatte eigentlich nicht Spaß im Sinn, sondern ein Lehrmittel.

Weil auch in Ungarn die Studenten zunehmend schwächere Geometriekenntnisse von der Schule mitbringen, wollte der Professor an der Budapester Hochschule für Angewandte Künste ihr räumliches Vorstellungsvermögen S.182 trainieren. Mit dem magischen Würfel, erkannte Rubik, war ihm allerdings eine ungewöhnliche Erfindung gelungen, die er sich patentieren ließ.

Der Kubus besteht nämlich (siehe Abbildung) in Wirklichkeit nur aus 21 Teilen:

* Halt gibt dem Ganzen eine Art Stern aus drei sich kreuzenden Achsen, auf deren Enden die sechs einfarbigen Mittelstücke der Würfelseiten mit gefederten Schrauben befestigt sind; jedes Mittelstück kann zwar auf seiner Achse rotieren, ihre Lage zueinander aber verändern diese Platten nie -- jede bestimmt denn auch die Farbe einer Würfelseite.

* Zwölf zweifarbige Kantenstücke und acht dreifarbige Eckstücke hingegen können allseits um das Würfelzentrum verschoben werden. Sie greifen mit Nocken derart unter die schmaleren Mittelstücke, daß alle Teile stets ineinander hängenbleiben.

Dadurch läßt sich der Würfel in jeder Lage in je drei waagerechten und drei senkrechten Ebenen verdrehen. Jedes Teilstück kann so von seinen ursprünglichen Nachbarn getrennt, aber auch wieder mit ihnen vereinigt werden.

»Die elegante Einfachheit dieses Mechanismus ist wirklich bemerkenswert«, urteilte Mathematiker David Singmaster vom Polytechnic of the South Bank, einer Londoner Technischen Hochschule, »ein brillantes dreidimensionales Design.«

Die geniale Idee sprach sich zuerst unter Wissenschaftlern herum. Singmaster bekam »Rubik''s Cube«, der anfangs nur in kleiner Serie produziert wurde, 1978 von ungarischen Kollegen auf dem Internationalen Mathematiker-Kongreß in Helsinki gezeigt.

Der Brite wurde einer der eifrigsten Kubologen. Ein sechsfarbiges Puzzle, in dem sich 20 Teile ab- und aufwärts, vor und zurück und auch seitlich hin und her bewegen -- das war ein zu schönes neues gruppentheoretisches Problem.

43 252 003 274 489 856 000 verschiedene Farbkombinationen sind damit herzustellen, errechnete Singmaster: mehr als 43 Trillionen also. Und nur ein einziges Muster bildet den originalen, auf jeder Seite einfarbigen Würfel.

Seit der Plastik-Kubus in Massenproduktion ging, löste er eine Massenbewegung von Herumgefingere und Gedankengängen aus. All die blinkenden und piepsenden Elektronikspiele kamen dagegen nicht an.

Das Super-Puzzle faszinierte noch die unbedarftesten Köpfe. Alsbald, berichtete das »Hamburger Abendblatt«, fummelten damit sogar »die Lümmel von der letzten Bank während des Unterrichts heimlich unter dem Tisch«.

Das »erzieherisch wertvollste je erfundene Spielzeug« (Singmaster) verursachte schlaflose Nächte, Ehekrach und Mißbrauch von Computer-Rechenzeit. Kathleen Ollerenshaw, ehemals Bürgermeisterin von Manchester, bekam -- neuartiges Krankheitsbild -einen »Kubologen-Daumen«, eine Sehnenentzündung durch zu heftiges Würfeldrehen, die operativ behoben werden mußte.

»Ich steige aus, bevor ich den Trillionen-Triller kriege«, resignierte »Stern«-Redakteur Peter Juppenlatz: »Bei mir ist Mathe am letzten.«

Berufenere scheiterten.« Wir enträtseln den Zauberwürfel«, schrieb im November »Bild der Wissenschaft« -- und hatte zuviel versprochen.

»Verflixt -- noch mal«, betitelte das Blatt im Dezember einen korrigierenden Artikel. Aber nun mußte der Leser erst allerhand lernen: »Die Drehgruppe insgesamt ist nicht kommutativ«, hieß es da beispielsweise, »aber sie hat Elemente, die für eine Vertauschung verträglich sind.«

Gleichwohl zeichnete Bonns Familienministerin Antje Huber die bunte Herausforderung als »Spiel des Jahres« aus. Das New Yorker Museum of Modern Art nahm es -- gleichrangig mit Bauhaus-Klassikern -- in seine Geschenk-Kollektion auf.

Wirkliche Befriedigung, ob nun ästhetisch, mathematisch oder schlicht seelisch, findet freilich wohl nur, wer das Puzzle-Rätsel geknackt oder eine Lösung gezeigt bekommen hat. »Er ist freier geworden«, berichtete etwa der Hamburger Lehrer Jochen Fuhrmann über einen Schüler, der es geschafft hatte, »ja, der Würfel bedeutet in seinem Leben eine Wende.«

Strategien, »Rubik''s Cube« in den Originalzustand zu bringen, gibt es mittlerweile viele. Die meisten gebrauchen allerdings eine schwierige Notation der Spielzüge; nicht wenige erfordern raffinierte Kombinationen.

Das im folgenden veröffentlichte Schema geht dagegen schrittweise vor; S.183 wer es eingeübt hat, kann aber die räumlichen Bewegungen besser verstehen und dann rascher zum Ziel führende Zugfolgen entdecken.

Der SPIEGEL ist damit kein Spielverderber. Denn nach der Lösung des Hauptproblems gibt es viele weitere Spielereien mit dem Zauberwürfel.

Es gilt etwa, den Cambridge-Mathematiker John H. Conway zu übertreffen. Der fingert ein beliebiges Farbgemisch säuberlich auseinander, ohne mehr als vier- oder fünfmal hinzusehen.

Der Londoner Mathematiker Morwen B. Thistlethwaite wiederum hat ein Programm entwickelt, mit dem er für dieselbe Aufgabe einstweilen nur 52 Spielzüge braucht. Nötig, schätzt er, wären vielleicht sogar bloß 45.

Cube-Club-Gründer kündigen bereits eine deutsche Meisterschaft im Rubik-Wettwürfeln an. Schneller geht''s, so empfiehlt jedenfalls Singmaster, wenn man den Würfel behutsam auseinandernimmt, die Preßkanten der Plastikteile glattschleift und als Gleitmittel Silikon-Gel verwendet.

Aber Vorsicht: Die Chance, das Ding wieder richtig zusammenzubekommen, beträgt nur eins zu elf. Lösungsversuche mit einem falsch aufgebauten Kubus könnten im Wahnsinn enden.

S.182Mit Bundesfamilienministerin Antje Huber bei Verleihung des Preises"Spiel des Jahres 1980«.*

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